Incom ist die Kommunikations-Plattform der Fachhochschule Potsdam

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synthetic memories

Zwischen den 1950er- und 1990er Jahren wurden bis zu 12 Millionen Kinderverschickungen in der BRD und etwa 2 Millionen in der DDR durchgeführt. Dabei wurden Stadtkinder zur Erholung, Genesung oder Gewichtszunahme für meist 6 Wochen in Kurheime entsandt. Was als Urlaub gedacht war, entpuppt sich häufig als Ort des Schreckens und Gewalt.

Erst in den letzten 15 Jahren wurde das Leid der ehemaligen Verschickungskinder sichtbar.

Abstract

Wie kann eine visuelle Repräsentation von Erinnerungen aussehen?

Meine Bachelorarbeit widmet sich der Frage, wie Erinnerungen, die keine eigene visuelle Form haben, dennoch visuell dargestellt werden können. Mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz wird versucht, eine gestalterische Antwort auf diese Frage zu finden. Die Grundlage bildet die Biografie meiner Mutter, die in den 1970er Jahren als Arbeiterkind in Dortmund aufwuchs. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf ihren Erfahrungen als sogenanntes „Verschickungskind“ in einem Kurort am Timmendorfer Strand, wo sie – wie viele millionen weiterer Kinder – Missbrauch erlebte. Diese oft verdrängten, fragmentierten Erinnerungen prägen nicht nur ihr eigenes Leben, sondern haben auch einen nachhaltigen Einfluss auf meine eigene Lebensgeschichte.

Um diese Erlebnisse für Außenstehende erfahrbar und nachvollziehbar zu machen, untersuche ich die gestalterische Frage, wie sich solche Erinnerungen visuell ausdrücken lassen.

Abstract english

My bachelor's thesis is dedicated to the question of how memories that lack a visual form of their own can still be represented visually. With the help of artificial intelligence, I attempt to find a creative answer to this question. The foundation of the project is my mother’s biography, who grew up as a working-class child in Dortmund during the 1970s. A particular focus is on her experiences as a so-called „Verschickungskind“ (a child sent to convalescent care) in a spa town on the Timmendorfer Strand, where – like many millions of other children – she experienced abuse. These often repressed, fragmented memories not only shape her own life but have also had a lasting impact on my own life story.

In order to make these experiences tangible and comprehensible for outsiders, I explore the design question of how such memories can be expressed visually.

Die Zeit bei den Nonnen

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Mit meiner Beule, und dass die mir einfach ne Spritze gegeben haben. Das hat keine Sau interessiert.

Ausschlaggebend für die Auseinandersetzung mit dem Leid der Verschickungskinder ist die Verschickungsgeschichte meiner Mutter und ihren Schwestern. 

Drei mal wurde meine Mutter verschickt, und obwohl alle ihr negativ in Erinnerung geblieben sind so spricht sie immer wieder von den Nonnen.

Die Nonnen sind die Thuiner Franziskanerinnen die mehrere Kurheime betrieben, die beiden am Timmendorfer Strand waren wohl Ort des Schreckens für weit mehr Kinder als meine Mutter. Die Journalistin Lena Gilhaus widmet diesem Kurheim ein gesondertes Kapitel in ihrem 350 Seiten langen Buch über Verschickungskinder. Und auch die Aufarbeitung startet durch den Selbstmord eines Mannes der in dieses Kurheim verschickt wurde und dort schlimmsten Missbrauch erlebte. Seine Witwe startete daraufhin einen Aufruf nach weiteren Betroffenen, seitdem haben sich tausende gemeldet. Das Ausmaß wurde nach und nach sichtbar und schnell wurde klar, dass es überall schlimm war. Die Aufarbeitung hat gerade erst begonnen..

Prozess

Während ich diese Arbeit schreibe, wird die Welt von zahlreichen Krisen erschüttert: Kriege wüten im Sudan, in der Ukraine und in Gaza, während Donald Trump erneut zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Diese Ereignisse werfen drängende Fragen nach ihrer langfristigen Wirkung auf kommende Generationen auf. Trotz des kollektiven Wunsches nach Frieden erleben wir weiterhin Gewalt, Blockaden und Massaker – auf allen Seiten. Die Syrienkrise, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die instabile Lage im Nahen Osten zeigen, wie zerbrechlich die Hoffnung auf eine bessere Welt ist. Trumps Wiederwahl gibt extremistischen und frauenfeindlichen Strömungen Auftrieb, und die globalen Auswirkungen seiner Politik sind noch nicht absehbar. Auch wenn Konflikte irgendwann enden und in Literatur oder Geschichte aufgearbeitet werden, bleiben sie Teil eines immer wiederkehrenden Kreislaufs von Gewalt, Hass und Unterdrückung.

Bereits erfahrene Traumata verbinden sich heute mit neuen Unsicherheiten. Gefährdete Gruppen – Frauen, Schwarze, trans* Menschen, Kinder, Juden – erleben eine Wiederkehr alter Ängste. Trauma wiederholt sich – in der Gesellschaft ebenso wie in der Familie. Fragen nach der eigenen Familiengeschichte, nach verdrängten Erlebnissen wie Krieg oder Missbrauch, sind schmerzhaft, aber notwendig. Denn familiäres Schweigen erzeugt neue Bilder, oft gespeist aus Angst und Fantasie. Die Familie ist der erste Ort, an dem Trauma sichtbar wird – und lange Zeit kein Ort, dem man entkommen kann.

Wie lässt sich Trauma erzählen? Wie kann man es sichtbar machen, ohne es zu verfälschen oder zu banalisieren? Die ästhetische und ethische Auseinandersetzung mit diesen Fragen steht im Zentrum meiner Arbeit.

Ich habe den Berichten von ehemaligen Verschickungskinder vor allem in Hinblick auf Trauma besondere Beachtung geschenkt, um den Fokus ein Stück weit weg von dem Erlebten ins Jetzt zu richten und die Notwendigkeit der Anerkennung zu untermauern.

Ergebnis

Entstanden ist ein DIN-A5 Buch mit dem Titel “ein ehemaliges Kind, das jetzt sehr traurig ist”. Es basiert auf Erinnerungen und Berichten ehemaliger Verschickungskinder, auf Internetforen, Zeitzeugenberichten aus Büchern und Dokus und den Erfahrungen meiner Mutter und Tante.

Das Buch ist eine Sammlung von Erfahrungsberichten, die systematisch nach Themen geordnet sind. Die Berichte sind unterteilt in Kategorien wie: Essen, Trauma, Heimweg etc.

Ziel ist es, sowohl die Vielzahl und Einheitlichkeit der Erfahrungen als auch die individuellen Schicksale sichtbar zu machen.

Diese Textsammlung wird regelmäßig unterbrochen von Bildgenerierungen bzw. sogenannten Prompts, die sich ebenfalls auf die Beschreibungen der Betroffenen stützen. Die Bilder dienen als visuelle Interpretationen der Erinnerungen – etwa an Orte, bestimmte Personen (z. B. „Tanten“), das Essen oder sogar erlebten Missbrauch.

Die Textsammlung wird regelmäßig unterbrochen von Bildgenerierungen und Prompts, die sich ebenfalls auf die Erzählungen der Betroffenen stützen. Diese visuellen Elemente beruhen auf Erinnerungen an Orte, Personen wie die „Tanten“, das Essen oder an erlebten Missbrauch. Ziel dieser künstlerischen Interventionen war es, eine sensible visuelle Ergänzung zu schaffen, die die Aussagen der Berichte auf eine andere Ebene überträgt, ohne dabei konkret zu sein. Die Darstellungen sind bewusst vage gehalten: Konkrete Objekte und Subjekte wurden entfernt, sodass die Bilder zwar etwas zeigen, aber nicht explizit werden. Sie beanspruchen keine Wahrheit, sondern öffnen einen Raum für Assoziation und Mitgefühl, ohne eine erneute Traumatisierung zu riskieren oder sich respektlos gegenüber den Erlebnissen der Betroffenen zu verhalten.

Die Intention war die, den Opfer ihre Erzählung zu überlassen und ihnen Ihre Stimmen wiederzugeben. In den Forenbeiträgen wird eine kollektive Betroffenheit und ein starkes Gefühl der Verbundenheit spürbar. Viele der heute erwachsenen ehemaligen Verschickungskinder berichten davon, jahrzehntelang geglaubt zu haben, das, was sie erlebt hatten, sei ein Einzelfall, ein persönliches Unglück oder gar ihre eigene Schuld gewesen. Erst durch den Austausch mit anderen wurde ihnen klar, dass sie mit ihrem Leid nicht allein sind – und dass sie keine Schuld tragen. Diese neue Sichtweise ermöglicht es vielen von ihnen, das Erlebte erstmals richtig einzuordnen. Es bedeutet für sie, endlich gehört zu werden und ihre Stimme zurückzuerlangen.

Die Auseinandersetzung mit diesen Reaktionen und Prozessen steht im Zentrum des Projekts. Ich sehe die öffentliche Anerkennung des Erlebten und die gesellschaftliche Verurteilung des Geschehenen als einen wichtigen Schritt in der Verarbeitung von Trauma. Das Buch will daher zeigen, was geblieben ist – was viele der Betroffenen mit sich tragen, oft ein Leben lang. Die ausgewählten Bilder, die Erinnerungen an spezifische Aspekte wie Orte, Bezugspersonen, Nahrung oder Missbrauch aufgreifen, bilden zusammen mit den Berichten eine dichte, aber zurückhaltende Dokumentation dieses dunklen Kapitels deutscher Nachkriegsgeschichte.

Die Sammlung versteht sich als Ergänzung zur bisherigen Aufarbeitung der Kinderverschickung. Sie erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder dokumentarische Objektivität, sondern möchte durch ihre künstlerische, sensible Herangehensweise einen Raum schaffen, in dem das Unsagbare eine Form finden kann. So wird sichtbar, was lange unsichtbar war.

Theorieteil.pdf PDF Theorieteil.pdf

Praktischer Teil

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Danksagung

Danke an meine Mutter und ihre Schwester für eure Zeit, das Vertrauen unsere Gespräche, dessen Grund-lage diese Bachelorarbeit bildet.

Danke an Wiebke Loeper für den Input, die Gespräche und die richtigen Fragen die eine Ordnung in meine vielen Ideen gebracht haben.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Kommunikationsdesign

Art des Projekts

Bachelorarbeit

Betreuer_in

foto: Hendrik Spohler foto: Prof. Wiebke Loeper

Zugehöriger Workspace

2.25-BA Prüfung Bachelorarbeit und Präsentation

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2025