In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
Wie sähe eine Stadt der Zukunft aus, wenn an all ihren Orten und bei den an ihnen geltenden Regeln, die Liebe im Fokus stünde?
In der Projektwoche „Liebesschutzgebiete“ (WS 2024/25), haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie man die verschiedenen Formen der Liebe – ähnlich wie auch Teile der Natur – ortsgebunden schützen, bewahren und bereichern kann. Im Berliner Bezirk Neukölln diente der Schillerkiez als Beobachtungsgrund für zwischenmenschliche Beziehungen, sowie für die Koexistenz von Mensch und Natur im urbanen und sozial-ökologischen Raum. Dabei haben wir insbesondere untersucht, inwieweit die Orte im Kiez und deren Lage zum individuellen und kollektiven Wohlbefinden beitragen können.
In der kommenden Woche sollten plakative Konzepte unterschiedlicher Liebesschutzgebiete entstehen, die dies visualisieren.
In Anbetracht der städtischen, aber auch der sozial-politischen Veränderungen unserer Zeit, die die Gesellschaft immer mehr zu spalten scheinen, führten wir im Rahmen der Projektwoche ein Gedankenexperiment durch, um Orte der Liebe identifizieren zu können und Regeln zu deklarieren, die das Miteinander fördern. Dafür haben wir die Liebe abstrakt gedacht und in fünf verschiedene Arten unterteilt: die romantische Liebe, die Liebe zur Natur, die Liebe zu Freunden und Familie, die Liebe zu Mitmenschen und die Selbstliebe.
Mehrere Beobachtungsspaziergänge durch den Schillerkiez ermöglichten es, sich den fünf Formen der Liebe im öffentlichen Raum anzunähern und ein tieferes Verständnis für sie zu entwickeln. Durch einen stetigen Austausch in der Gruppe, sowie mit den Lehrenden, wurde die Idee einer an-der-Liebe-orientierten Stadt nahbebar gemacht. Im Kiez hielten wir Ausschau nach Akteur*innen, Orten, Zitaten und Gegenständen die potentiell Liebe transportieren können.
Ich habe mich spezifisch mit der romantischen Liebe auseinandergesetzt und wie Personen diese im öffentlichen Raum ausleben und wie dieser Raum wiederum Menschen die Möglichkeit bietet sich gegenseitig Zuneigung zu zeigen. Dabei hat mich besonders die tabuisierte Seite romantischer Liebesbeziehungen interessiert.
Wo zieht die Liebe ihre Grenzen, und inwieweit dürfen wir uns anmaßen diese auch selber zu bestimmen?
Heteronormativität, strenge Monogamie und die Vorstellung, ein Mensch sei zu jung oder zu alt für Liebe und Sexualität, sind tief verwurzelte Einschränkungen, die in unserer Gesellschaft nachbestehen. Unsere Aufgabe ist es, diese Grenzen zu hinterfragen und den Raum für Liebe zu erweitern.
Beim Spaziergang durch den Schillerkiez fiel die Auswahl an Plätzen für romantische Begegnungen positiv auf. Neben den vielen Cafés und Bar liegt das Tempelhofer-Feld in unmittelbarer Nähe – oft genügt ein angenehmes Umfeld und ein Ort zum Verweilen für ein erfolgreiches Treffen. Die erste Hürde entsteht jedoch, sobald wir auf gesellschaftliche Tabus verwiesen. Nicht jeder Mensch fühlt sich wohl dabei, seiner Liebe in der Öffentlichkeit Raum zu geben. Faktoren wie das Alter, die Herkunft und Kultur oder sexuelle Orientierung können dazu führen, dass ihre Liebe nicht nur tabuisiert, sondern auch stigmatisiert und diskriminiert wird. Im Kiez stießen wir auf die Initiative „Rat und Tat“, eine Beratungsstelle, die lesbischen Frauen Schutz bietet und den Personen sowohl ein Ohr als auch eine Stimme schenkt, wenn es um ihre Liebe und Sexualität geht.
Liebe und Sexualität sind zentrale Begriffe, die meinen Entwicklungs- und Gestaltungsprozess geprägt haben. Während unseres Austauschs über romantische Liebe kam uns der Gedanke an den Photoautomaten, der einen alltäglichen Raum darstellt, welcher sich dadurch auszeichnet, halbwegs geschlossenen, jedoch trotzdem für alle zugänglich zu sein. Da Aufklärungsarbeit und das Aufbrechen von Tabus durch sex-positive und queere Bewegungen langwierige Prozesse sind und nur schrittweise vorangetrieben werden können, entstand die Idee, ein Konzept zu entwickeln, das Personen eine Alternative bereitstellt, wenn es ihnen nicht möglich ist, sich offen und laut zu lieben. Gleichzeitig soll damit die Integration und der Diskurs gefördert werden.
Mein Plakat stellt einen Photoautomaten da, verbunden mit dem Appell, mehr Privatsphäre im öffentlichen Raum zu schaffen. Zielgruppe sind insbesondere Personen, die diesen Schutz benötigen oder sich danach sehnen. Um diese Privatsphäre zu gewährleisten, sollen die Vorhänge der Automaten verlängert werden, sodass den Menschen ein Rückzugsort geboten wird. Sie werden dadurch nicht direkt, aber im gesellschaftlichen Gefüge gesehen und anerkannt.
Der Fokus des Plakats liegt auf der Illustration des Photoautomaten. Die überdimensionale Länge der Vorhänge und ein rausgestrecktes Bein betonen die Intimität und körperliche Nähe, in dem Raum stattfinden kann – geschützt vor den Blicken anderer. Ein Schild fordert „mehr Privatsphäre zum Knutschen“, fast wie in einem Akt des Widerstands hin zur Freiheit. Ich habe bewusst das Wort „Knutschen“ anstatt „Küssen“ gewählt, da damit die impulsive, jugendlich-ungehemmte Form der Sinnlichkeit konnotiert wird, welche aufgrund dessen, dass sie häufig belustigt wird, im Phototautmaten (der als Liebesschutzgebiet umfunktioniert wird) Platz bekommen soll.
Abschließend machten wir einen Zukunftsspaziergang durch den Schillerkiez, der die neuen Liebesschutzgebiete vorstellen und einweihen sollte. Ich mochte die Idee sich in die Rolle eines/einer Stadtführers/-in zu versetzen und sein Konzept aus Zukunftsperspektive zu erläutern, als sei es realisiert gewesen.
Die Arbeit in der Gruppe ist immer sehr angenehm gewesen und so auch die Anleitung durch Myriel und Jasmin. Am Anfang hat es mich noch einwenig eingeschüchtert, wie offen uns das Thema der Projektwoche vorgestellt wurde und wie viele Freiheiten wir während des kreativen Parts hatten. Rückblickend fand ich diese Herangehensweise doch sogar am besten, da ich es sehr mag gestalterisch nicht an ein Layout gebunden zu sein, sondern mit dem Stil und der Komposition rumzuprobieren. Trotzdessen kamen mega eindrucksvolle Plakate am Ende raus, die in ihrer Gesamtheit auch einheitlich und als Reihe zu erkennen waren.
Es klingt etwas kitschig, doch die Konversation über Orte die potentiell als „Liebesschutzgebiet“ gekennzeichnet werden können, eröffnete für mich ein weiteres Liebesschutzgebiet, das über das Physische hinaus geht. Während der Projektwoche entstand im respektvollen Austausch und liebevollen Umgang miteinander ein neuer geschützter Raum, um offen über Liebe zu sprechen und ihre Diversität und Vielschichtigkeit hervorzuheben, während jede/r die Liebe für sich individuell definieren und reflektieren durfte. Ich habe einiges mitgenommen und vor allem waren es die Schnittpunkte von Design und Politik, die besonders für mich herausstanden. Sie erweiterten mein Blickfeld und auch wie ich den Studiengang angehen möchte in dem Sinne, dass ich motiviert wurde die Themen, die mich interessieren, besorgen, wachhalten und berühren in künstlerische Arbeiten jeder Form, einfließen zu lassen und damit meine Gedanken und Anliegen nach außen zu tragen.