In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
Eine typographische Auseinandersetzung mit der Geschichte und Gegenwart des Bahnhofs Westhafen an der Ubahn-Linie 9 in Berlin.
Aufgabe des U-Type Projekts war eine typografische Auseinandersetzung in freier Form mit einer U-Bahn-Linie in Berlin.
Unsere Wahl fiel auf die Linie U9. Die U9 verläuft im Westen von Berlin von der Station Osloer-Straße bis zum Rathaus Steglitz. Beim Abfahren der Strecke fanden wir wenig spannende Typografie, jedoch mit den Haltestellen Zoologischer Garten und Westhafen interessant gestaltete Stationen. Wir begannen zu überlegen, wie man die Gestaltung der Stationen aufgreifen könnte, um dort über wichtige Themen zu informieren. Gerade der Bahnhof Westhafen bot sich hier aufgrund seiner historischen Vergangenheit an. Während des zweiten Weltkriegs wurden von hier aus jüdische Menschen in Vernichtungslager deportiert, woran heute ein Mahnmal auf der Putzlitzbrücke erinnert. Die Station wurde von der französischen Künstlerinn Françoise Schein gestaltet und beschreibt in den Gängen die Auswanderungserfahrungen von Heinrich Heine und wie dieser dabei seine Identität verlor. An den Gleisen findet sich die Menschenrechtscharta. Charakteristisch für die Gestaltung ist, dass pro Wandfliese ein Buchstabe verwendet wurde und sich so unregelmäßige Umbrüche in den Texten ergeben.
Wir fanden, dass die Deportations-Geschichte des Bahnhofs im ähnlichen Stil auch im U-Bahnhof selbst aufgegriffen werden sollte und entschlossen uns, eine eigene typografische Nachricht anzubringen.
Im Bahnhof Westhafen über den Gleisen sind die Artikel der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte in Großbuchstaben und ohne Punktuation oder Wortlücken an die Fliesen der Wände gesetzt – Ein Buchstabe pro Fliese. Um in den Dialog mit diesen Menschenrechten zu treten soll unser Text auf gleiche Weise an die Wände gebracht werden. Dadurch entsteht direkt ein visueller Zusammenhang – viel näher als in anderen möglichen Darstellungsarten.
Ziel unseres Projektes war unter anderem, den Tausenden täglichen Besuchern dieses Bahnhofs die Historie des Ortes in Erinnerung zu rufen und somit auch die Menschenrechte an den Wänden (und somit das gesamte Kunstwerk von Francoise Schein und Barbara Reiter) in den Fokus zu rücken. Die Flächen hinter den Gleisen sind ausschließlich mit den Artikeln der Menschenrechte versehen (und einer Anmerkung der Künstlerin). Die Gänge im Gegenzug enthalten einen Auszug aus den Schriften von Heinrich Heine.
In Anbetracht des Mediums und des oben erwähnten Kontexts, fiel die Wahl des Ortes/der Fläche/Wand somit auf eine Wand unmittelbar angrenzend an die Gleise. Dadurch bleibt die visuelle Verbindung der Menschenrechte im Zusammenspiel mit unserem Text erhalten.
WAHL DES INHALTS:
Unser Text soll informieren, aber gleichzeitig eine Haltung zeigen. Natürlich muss er aber auch in den von uns vorgesehenen Wandbereich passen. Zur einfacheren Ideengenerierung erstellten wir ein Mockup der Fläche und iterierten verschiedene Texte.
Textentwürfe:
„AB 1942 WURDEN AM BAHNHOF PUTLITZSTRASSE HEUTE WESTHAFEN 30.000 JUEDISCHE MENSCHEN IHRES RECHTS AUF LEBEN BERAUBT UND IN VERNICHTUNGSLAGER DEPORTIERT UND ERMORDET.
SCHULD VERJÄHRT NIE. BETROFFEN SIND WIR ALLE. NIE WIEDER.“
-----------
„AB 1942 WURDEN AM BAHNHOF PUTLITZSTRASSE HEUTE WESTHAFEN 30.000 JUEDISCHE MENSCHEN IHRER RECHTE BERAUBT UND IN VERNICHTUNGSLAGER DEPORTIERT UND ERMORDET.
SCHULD VERJÄHRT NIE. BETROFFEN SIND WIR ALLE. NIE WIEDER.“
-----------
„AB 1942 WURDEN AM BAHNHOF PUTLITZSTRASSE HEUTE WESTHAFEN 30.000 JUEDISCHE MENSCHEN IN VERNICHTUNGSLAGER DEPORTIERT (SÄMTLICHER MENSCHENRECHTE BERAUBT) UND ERMORDET.
SCHULD VERJÄHRT NIE. BETROFFEN SIND WIR ALLE. NIE WIEDER.“
-----------
Im finalen Text greifen wir Mit dem Satz „Schuld verjährt nie. Betroffen sind wir alle. Nie wieder“, Formulierungen aus dem Mahnmal an der Oberfläche auf.
ERSTE HANDSCHRIFTLICHE ENTWÜRFE:
Hier probierten wir, wie wir mit Textinhalt und Textsatz die Fläche füllen konnten.
ERSTE DIGITALE ENTWÜRFE:
Mit dem finalen Text mussten wir nun eine passende Schriftart finden. Dazu übertrugen wir den Text in digitale Entwürfe und wägten Vor- und Nachteile diverser Schriften ab.
SCHRIFTWAHL
Kriterien für unsere Schriftwahl waren, dass sich die Schrift gut in das Gesamtbild einfügt, im Zusammenspiel mit der bereits existierenden Schrift funktioniert und die Gesamtgestaltung der Station ähnelt. Dabei sollte sie diese jedoch nicht 1:1 kopieren, sondern den neuen Inhalt auch visuell differenziert darstellen.
Ein Ansatzpunkt in Anbetracht des historischen Kontextes unseres Projektes war die Nutzung von Schriften im Nationalsozialismus (dazu bspw. hier).
Jedoch untersuchten wir auch weniger aufgeladene Ansätze. Nachfolgend ein Auszug aus unserer Auswahl an Schriften, welche wir in Betracht zogen, sowie unsere einhergehenden Gedanken:
Tannenberg:
- Pro: Kontrast zur Futura // Inhaltliche Nähe zum Thema (Offizielle Propaganda und Amtsschrift im Dritten Reich) // Schreckliche Message, schreckliche Schrift, bzw. „Täterschaft“ liegt in Gestaltung und im Holocaust bei den Nazis
- Contra: Schlecht lesbar (kann auch als pro gedeutet werden) // Zu aggressiv und negativ conotiert für das sensible Thema
Futura:
- Pro: Im Dritten Reich verbotene Schrift // Gut lesbar
- Contra: Gleiche Schrift wie im restlichen Bahnhof -> Aneignung künstlerischer Autorschaft // Wenig Kontrast zu den Menschenrechten -> Hebt sich nicht ab -> Unterstützt den inhaltlichem Kontrast nicht
Schwabacher
- Pro: Verbotene Schrift im Dritten Reich aufgrund von „Judenlettern“ (aus jüdischer gestalterischer Hand) // Hoher Kontrast zur Futura, was den inhaltlichen Kontrast abbilden würde
- Contra: Schlechte lesbarkeit // Kann der allgemeine Betrachter zwischen verschiedenen Frakturschriften differenzieren? Oder ist auch eine Schwabacher aufgrund der im NS verwendeten Tannenberg negativ konotiert?
Mono (Serif) - Schreibmaschinenschrift
- Pro: Neutral und archivarisch // Ernst // Monoschriften bieten sich an durch das Fliesen-„Template“
- Contra: -
Mono (Sans Serif)
- Pro: Monoschriften bieten sich an durch das Fliesen-„Template“
- Contra: Zu modern, geht in Teilen ins digitale und kann an Code erinnern
Handschrift
- Pro: Hat etwas subjektives // persönlicher Bezug // leicht machbar
- Contra: wirkt weniger sachlich // keine historische Objektivität // wird dem sensiblen Thema nicht gerecht
Die verschiedenen Schriften probierten wir an 2D-Mockups aus und übertrugen unsere Favoriten auf ein Foto. Dort konnte man die Gesamtwirkung nochmal besser beurteilen.
Wir entschieden uns final für die Office Times, eine Serifenschrift. Durch die Serifen hebt sie sich von der im restlichen Bahnhof verwendeten Futura ab und hat ein historisches Aussehen. In Anlehnung an das bestehende Kunstwerk entschieden wir uns für Versalien, verwendeten allerdings Leerzeichen zwischen den Wörtern, um die Lesbarkeit besser gewährleisten zu können.
Wir waren von unseren digitalen Mockups überzeugt und beschlossen das Schriftbild auch tatsächlich vor Ort anzubringen. Dazu Druckten wir die einzelnen Sticker auf Klebefolienbögen. Das ließ sich an den Uni-Druckern gut machen, man sollte nur darauf achten hitzebeständige Folien zu verwenden. Die einzelnen Sticker wurden dann ausgecutted und entsprechend der Zeilen sortiert. Vor Ort begann dann ein längerer Prozess des Klebens. Über 14 Zeilen klebten wir 192 Buchstaben auf die Fliesen was insgesamt ca. 3 Stunden dauerte.
VIDEOGRAPHISCHE DOKUMENTATION DER INSTALLATION
FOTO VOM ENDRESULTAT
Schon während des Anbringens erhielten wir mehrfach positives Feedback von Passant*innen und konnten ein Interesse für den Text bemerken. Das bestärkt unsere ursprüngliche Idee, dass sich U-Bahnhöfe nicht nur für Werbung, sondern auch für die Vermittlung von Inhalten bestens eignen.
Die offene Themenstellung des Projektes war für uns im Endeffekt sehr hilfreich, da wir so in verschiedene Richtungen denken mussten. Der Prozess sehr lehrreich, vor allem in der Herangehensweise an eine typografische Installation dieser Größe.