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Ideale der Präzision | Ein Interview mit Hermann Weizenegger - geführt von Constantin Schmidt

Ideale der Präzision | Ein Interview mit Hermann Weizenegger - geführt von Constantin Schmidt

Um die Fragen „Können Utopien für die Arbeit der Designerinnen und Designer wegweisend sein oder führen sie in das Nirgendwo? Inwiefern kann andererseits die konsequente Orientierung an Wahrnehmungsprozessen im Design sinnstiftend sein?” nachzugehen habe ich ein Interview mit Hermann August Weizenegger geführt.

Einleitung

Durch ein Praktikum bei Hermann und während der Zusammenarbeit an der Ausstellung German Design Graduates 2019 & 2020/21, hatte ich die Möglichkeit Hermann besser kennen zu lernen und finde seine Sicht auf die Designwelt interessant. 

Es bestehen durchaus Parallelen in Bezug auf die Herangehensweisen und den Ablauf des Designprozesses und der niederkomplexen brutalistischen Ästhetik von Objekten und Atmosphären. 

Allerdings gibt es auch Perspektiven und Ansichten, in denen wir uns klar unterscheiden. Durch das Interview sind diese Differenzierungen noch ersichtlicher geworden.

Hermanns Perspektiven

Am Anfang des Interviews habe ich versucht ihn direkt mit der Frage zu konfrontieren: “Was ist für dich ausschlaggebend, wenn man das Wort „Utopie“ hört? Was stellst du dir darunter vor?”.

Mir ist es wichtig gewesen einen ersten spontan Einblick auf einen unvorbereiteten Gedanken zu bekommen, um eine grobe gedankliche Richtung erfassen zu können. Auf diese Frage sind direkt die Stichworte “Zukunft” und “Gesellschaft” gefallen.

Im Ersten Moment scheint es, dass Hermann keinen bildlichen Ort vor Augen hat, wenn er allein das Wort Utopie hört. Mit der Aussage Hermanns „Zukunft und Gesellschaft“ kann es auch erstmal als Wunsch oder auch als ein Gefühl gesehen werden. Weniger als ein Ort oder mehr als der Weg zu einem Ort.

Im Laufe des Interviews kristallisiert sich heraus, dass diese Schlagwörter von Hermann eher die Überschriften seiner Utopien sind. Denn viele seiner Produkte und Konzepte setzen sich mit neuen Herstellungsverfahren auseinander oder er interpretiert traditionelle Handwerkstechniken neu. Die Eleganz in der technischen und handwerklichen Genauigkeit treibt ihn an aus den Herstellungsprozessen neue Möglichkeiten zu schöpfen.

Das bestätigt sich durch die Antwort meiner Frage, ob er am Anfang eines neuen Entwurfes konkrete Vorstellungen hat.

“… Also, die Weite meiner Vorstellungskraft für ein Objekt … da habe ich sehr oft eine konkrete Vorstellung vom Produkt. Eine Skizzierung dieser Vorstellung kann in einen Produktentwicklungsprozess münden, woraus sich das Produkt nochmal weiterentwickeln kann. Und der Kontext, in dem das Produkt steht, beispielsweise technologisch oder handwerklich, kann das Produkt ebenso wesentlich verändern. Aber der Ursprung ist immer eine konkrete Vorstellung von einem Produkt.”

Ein Beispiel dafür ist sein Schmuckdöschen in Zusammenarbeit mit Theresientahl.

Produktbeispiel: Schmuckdosekollektion »Aden«

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“Der erste Teil war, dass wir mit Pigmenten von diversen Firmen Experimente gemacht haben, mit dem Ziel einen neuen Glaseffekt zu kreieren. … Und da war dann irgendwann die Idee geboren, die Schmuckdose zu entwickeln. Und da gab es viel Spielraum in der Gestaltung und es entwickelte sich in die Richtung eines erhabenen Luxusartikels, der natürlich seinen Preis hat und gleichzeitig die handwerklichen Fähigkeiten Theresienthals präsentiert.”

An diesem Produkt ist gut zu erkennen das Hermann die für ihn wichtigen Parameter eines Prozesses, wie z.B. die Qualität des Handwerkes eines Betriebes oder aus Experimenten gewonnenen Technologien, zu einem neuen Bild zusammensetzt, um ein präzises Objekt zu schaffen.

Wenn man die Schmuckdose näher betrachtet, erscheint das Produkt makellos nahezu perfekt. Jedes Detail wie der Goldrand, der Pineapple-Schliff und vor allem die Transparenz auf der oberen Seite des Deckels sind elegant an seinen Platz gebracht. Die Ausgewogenheit der einzelnen Elemente untereinander schafft für den Betrachter ein ganzheitliches Bild. Die Details sind aber nicht nur dekorativ. Die Form, der Schliff am Rand des Deckels oder der Goldene Kranz an der Öffnung des Gefäßes haben auch funktionelle Eigenschaften, die für den Benutzer ein essentielles Gefühl der Nutzung schafft.

Seine Utopie bildet sich aber nicht nur aus Technologie und Handwerk. Neben den einzelnen Produkten hat er auch viele Ausstellungen umgesetzt. Im weiteren Verlauf des Interviews kommen wir auch auf eine seiner Ausstellungen zu sprechen. Neben den vielen Konzepten die Hermann bereits entworfen hat wie Atmoism, Valse Automatique, oder Der Prinz von Amundo gibt es ein Konzept, dass ihm besonders am Herzen liegt. Das Hotel Dresden.

Konzeptbeispiel: Hotel Dresden

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„… ich liebe über alles Hotel Dresden, weil da habe ich vielleicht die stärkste… Vorstellung von einem Projekt, oder einer Idee, wie könnte ich mich quasi in den Jugendstil mehr oder weniger beamen, oder wie ist meine Vorstellungskraft? Kann ich ein Hotel in meiner Vorstellungskraft kreieren … funktioniert es… Deswegen liebe ich Hotel Dresden. “

Das Hotel Dresden eröffnet einen guten Einblick in seine Utopie. Da das Hotel Dresden ein imaginativer Ort ist, schaffen die von ihn entworfenen Gegenstände eine Verbindung von seiner Utopie zur realen Welt.

In dieser Ausstellung bediente er sich an den Idealen des Jugendstils. Es war der Versuch die florale und geschwungene Stilistik des Jugendstils in den heutigen Zeitgeist gestalterisch zu übersetzen. In dieser gelungenen Übersetzung ist auch klar zu erkennen, dass Hermann nicht nur von technologischen Innovationen angetrieben wird oder dass er sich nur auf einzelne Produkte konzentriert. Auch das Schaffen von holistischen Konzepten ist für sein Prozess ein ausschlaggebender Teil.

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Vergleicht man die verschiedenen Objekte miteinander erklären sich schnell die Zusammenhänge und die Verbindung zueinander. Ob es die naturalistisch-statische Ästhetik des Barhockers Devon ist oder die von Hand gefertigte Vase “Regen” mit ihren geschwungenen Gravierungen oder das Konzept des Gemäldes der fiktiven Lobby des Hotel Dresdens, die formalen Überscheidungen sind klar zu erkennen.

Vor allem im Gemälde lässt sich erkennen welche Vorstellungen und Kompositionen er von dem Konzept zu diesem Zeitpunkt hatte. Das Arrangement seiner Objekte in der Lobby, in Verbindung mit den Farben und Lichtverhältnissen, geben ein von Hermann geprägten Jugendstil vor.

Aber nicht nur Technologie, Eleganz und die Ganzheitlichkeit einer Atmosphäre sind ihm wichtig. Denn nach dem romantischen floralen Thema des Jugendstils setzte er sich mit dem, man könnte sagen einem Gegenstück des Jugendstils auseinander, dem Brutalismus. Thematisch ist Hermann also sehr flexibel. Das demonstriert Hermann in einem seiner neueren Produkte. Den X-Chair aus seiner Ausstellung Atmoism.

Produktbeispiel: Stuhl »X-Chair«

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„… Es ging darum, dass wir gesagt haben, wir schauen uns Beton Strukturen in der Architektur vom Brutalismus an. Daher wusste ich, dass wenn es ein Stuhl wird, dieser sehr voluminös sein muss und wirkt, sozusagen wie in Beton gegossen. ... Und zweitens, wollte ich ein ikonografisches Objekt schaffen. ... Ich fände es interessant, wenn es ein X gäbe in die man eine Sitzfläche einschiebt um dadurch eine Art Ikonografie, einen Wiedererkennungswert zu entwickeln.”

Aus einer grafisch simplen Form ein Gegenstand zu entwerfen ist natürlich nichts Schwieriges für Designer*innen aber die Auswahl der Umsetzung ist in dieser Situation meiner Meinung nach eines der entscheidenden Aspekte, ob ein Produkt mit niederkomplexer Geometrie Erfolgschancen hat oder nicht.

Daher hat Hermann neben dem seriellen X-Chair auch eine Limitierte Edition des Stuhls herausgebracht. Der ›X-Chair N°1‹ wurde vom Unternehmen Metallbau Arnold produziert. Sie sind bekannt durch ihre Präzision und der Realisierung von nahezu perfekt verspiegelten Oberflächenveredelungen und besitzen ein breites Kundenportfolio mit unter Künstler wie Jeff Koons oder Olafur Eliasson.

Hermann hat sich diese Qualität der Oberfläche zunutze gemacht, um seine Utopie der Perfektion in diesem Stuhl zum Ausdruck zu bringen. Jede Kante und jeder Radius und Winkel, alles ist im hohen Maße perfekt umgesetzt. Fast so als wäre der Stuhl kein reales Objekt. Die verchromte Oberfläche verstärkt diese Wirkung umso mehr. In diesem Objekt spiegelt sich Wortwörtlich Hermanns Ideale und Utopie wieder.

Zusammenfassung Hermanns Ideale

Hermanns Utopie ist bis zu einem bestimmten Maße klar definiert. Zumindest seine Design-Utopie. Die von ihm am Anfang des Interviews formulierten Schlagwörter der Zukunft und der Gesellschaft im Zusammenhang seiner gestalteten Objekte und Atmosphären, lässt sich eine Utopie geformt aus Idealen wie Perfektion, Reinheit, Ganzheitlichkeit, Innovation und Edle Ästhetik ableiten. Je nach Entwurf können diese Ansprüche variieren. Durch diese Ideale gestaltet er seine Welt und Umgebung seit über 30 Jahren, um sich aber auch andere zu begeistern.

Meine Perspektive

Wie am Anfang erwähnt, teilen Hermann und ich einige Ideale miteinander. Die Bedürfnisse nach Perfektion in der Fertigung oder das Verlangen nach Innovation, um hier nur einige Parallelen zu nennen.

Eventuell bestehen diese Parallelen, da wir beide vor dem Design in handwerklichen Bereichen tätig waren. Mein Schwerpunkt lag im Metallbau. Ich war vor allem an den Möglichkeiten des Materials interessiert. Ein Material das bis zum Atom genau verarbeitet werden kann.

Während meiner Ausbildung zum Metallbauer/Konstruktionstechniker habe ich für mich selber erkannt, dass die verschieden Fertigungstechniken einen unglaublichen Umfang an gestalterischen Möglichkeiten bieten kann, wenn diese Fertigungsarten präzise und sauber ausgeführt werden. Aus diesem Grund versuche ich jedes Detail eines Entwurfs so genau wie möglich zu definieren.

Ein weiteres Bedürfnis ist für mich vor allem taktile und visuelle Kontraste zu schaffen. Hart und Weich, glatt und rau, hell und dunkel. Die Thematik des Kontrasts ist auch in meinen Objekten klar erkennbar. Ein gutes Beispiel ist die von mir entworfene Sitzbank BENSCH.

Produktbeispiel: Sitzbank »BENSCH«

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Mein Ziel war es eine Sitzbank zu entwickeln die aus konstruktiver Sicht, reduziert und einfach aufzubauen ist. BENSCH besteht aus fünf Einzelteilen, die einfach ineinandergesteckt werden können. Der Kontrast entsteht durch die kantige und glatte Ästhetik des Untergestells in Kombination mit der weichen und abgerundeten Sitzfläche.

Durch die Konstruktionsweise des Untergestells ist die Sitzbank extrem stabil und kann weder kippeln noch umgestoßen werden. Ebenso wenig, wenn (die Hauptbelastung nur auf einer der vier Ecken erfolgt) man sich an einen von den beiden Enden setzt. Die robuste Optik entsteht durch die Dicke bzw. Stärke des Materials und die Wirkung wird durch die schwarz gebeizte Buche zusätzlich unterstützt.

Im Gegensatz zu dem Untergestell ist die Sitzfläche mit einem weichen und pelzigen Stoff bezogen. Der helle Bezug steht in Kontrast zu der Unterkonstruktion und ist über ein voluminöses Polster gespannt, um eine große, anschmiegsame und komfortable Sitzfläche zu schaffen.

Wie an BENSCH zu sehen ist, wird der Kontrast durch verschiedene Ebenen des Produkts erzeugt. Die Farbe, die Form und das Gefühl sind die ausschlaggebenden Punkte, an welchen ich versucht habe, eine interessante Spannung zu erzeugen.

Aber nicht nur Kontraste, Präzision, Reduktion und Innovation sind mir wichtig. Eine tragende Roll meiner Utopie spielt das Licht. Licht in Form von Installationen wie Christopher Bauders Ausstellung “Dark Matter”, lassen in mir ein intensives Gefühl der Euphorie aufkommen. Diese Euphorie versuche ich auch durch meine eigenen Entwürfe zu erzeugen. Ein Produktbeispiel ist Proxima. Ein Ambient Light das eine poetische Brücke zu den roten Zwerg Proxima Centauri schlägt.

Produktbeispiel: Ambient Light »Proxima«

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“Wenn unser Stern - die Sonne - untergeht, geht ein anderer Stern auf. Proxima - benannt nach dem nächstgelegenen Stern bzw. roten Zwerg im Sternzeichen Centaurus, ist eine Interpretation der Flares und dem Licht dieser kleinen roten dunklen Sonne.“

Dieses Produkt reflektiert am stärksten meine gestalterischen Bedürfnisse und Ideale. Auch hier ist gut zu erkennen, dass mein Streben nach kontrastreichem Design und eine niederkomplexe, in diesem Falle auch monolithische Form, Einfluss auf die Gestaltung der Leuchte hatte. Der Gegensatz zwischen dem warmen Licht der Geborgenheit und dem sterilen menschengroßen und fremdartig wirkenden Totem könnte größer nicht sein. Diese Komponenten in Einklang zu bringen, um so meine utopischen Visionen zu realisieren ist für mich jedes Mal mit Nervenkitzel verbunden.

Aber nicht nur aus Formaler Sicht spiegelt die Leuchte meine Begeisterung für Kontrast wider. Das Lichtspiel erzeugt durch die langsam ineinanderfließenden Bewegungen eine beruhigende Atmosphäre. Sobald das Licht die Decke des Raums trifft, entsteht ein kaustischer Effekt, eine ähnliche illuminierte Erscheinung wie die Reflektion des Lichts auf einer Wasseroberfläche oder auf der Oberfläche eines roten Zwergs bzw. eines Sterns. Ein Versuch die unerreichbaren und physikalisch sehr beeindruckenden, mäandernden Flares eines Sterns einzufangen und auf Wunsch zu projizieren.

Solche physikalischen Phänomene oder das Orchester der Dinge bzw. der Natur, sind durchaus ein Quell der Inspiration. Es kommt auch vor, dass Aufnahmen aus der Mikrobiologie oder Bewegungsabläufen von Systemen oder Organismen für einen musischen Ansatz sorgen. Daher versuche ich auch je nach Produkt und Konzept Bewegungen in meinem Designprozess mit einzubeziehen. Wie in dem Video des Produktbeispiel der Leuchte Proxima zu sehen ist.

Zusammenfassung Meiner Ideale

Meine Utopie besteht aus gegensätzlichen Gefühlswelten, die je nach Produkt und Atmosphäre, oberflächlich oder visuell Spannung erzeugen sollen. Es sind gerade, massive einfach gehaltene Objekte, die mich reizen. Nach dem Motto “so wenig wie möglich, so viel wie nötig”. In der Ausarbeitung - verfangen im Mikro-Management - versuche ich jedes Detail wie Kanten, Kurven, Verbindungen, Oberflächen, usw. aufeinander abzustimmen, bis jedes Detail sitzt.

Vor allem Licht ist für mich ein wichtiges Mittel, um mein Verlangen nach Faszination, Ausdruck verleihen zu können. Aber auch die Wissenschaft ist ein Teil meiner Utopie. Durch die fachliche aber auch spielerische Auseinandersetzung mit Kräften, Bewegungen, Zuständen und anderen Eigenschaften eines Dinges entdeckt man jedes Mal etwas Neues. Mit diesen verschiedenen Parametern versuche ich Objekte zu erzeugen die hoffentlich nicht nur mich begeistern.

Sind Utopien also wegweisend oder nicht? Ja und Ja!

Durch die vermittelten Kursinhalte von Dr. Reiner Funke, das Interview mit Hermann und der Auseinandersetzung mit Hermanns und meinen Idealen, haben sich meine Annahme zu der am Anfang gestellten Frage des Kurses erhärtet und bestätigt. Ja! Utopien sind für Designer essentiell! Ohne Utopien wären wir Menschen gar nicht in der Lage, über kreative Prozesse, Objekte oder Situationen zu schaffen, die in diesen Artenvielfalten in unserer Gesellschaft aufkommen.

Auch Hermann bestätigt indirekt diese Frage mit der Aussage “Die Neugier für das Neue - das ist meine Treibkraft.” Jeder Designer wird durch ein bestimmtes Gefühl, Verlangen oder Interesse getrieben, um etwas zu schaffen, dass ästhetischer, innovativer, optimierter, et cetera ist. Durch unsere ständige Unzufriedenheit als Mensch versuchen vor allem Designer neue Welten zu schaffen.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Theorie

Art des Projekts

Studienarbeit im zweiten Studienabschnitt

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2022