Incom ist die Kommunikations-Plattform der Fachhochschule Potsdam

In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre

Incom ist die Kommunikations-Plattform der Fachhochschule Potsdam mehr erfahren

Deutungsweisen einer Stadt

Im Kurs Stadtmuseum Berlin - Personalisierte Wissensräume beschäftigten wir uns mit den verschiedenen Dimensionen und Möglichkeiten der Personalisierung, vor allem in Kontext von Ausstellungen und Museen. Entwickelt werden sollten Konzepte und Prototypen, die eben diese Möglichkeiten ergründet. Dabei kooperierten wir mit der der Stiftung Stadtmuseum Berlin, genauer dem Märkischen Museum.

Mein Projekt thematisiert den physischen Stadtraum Berlins, und wie Menschen ihn erleben. Es sollen vor allem Perspektiven Platz finden, die von Architektur, Stadtplanung, Design, Politik und Gesellschaft vernachlässigt werden. Ein physisches Modell des Stadtraums Berlin und die Stadt selbst werden durch AR (augmented reality) ergänzt. Kreative Umsetzungen ganz persönlicher Erfahrungen werden eingefügt und bieten dem Publikum die Möglichkeit, eigene Deutungs- und Verhaltensweisen in Bezug auf Berlin abzugleichen.

Prozess

In einem frühen Brainstorming entwickelten Peter Schwarz und ich die Idee von einem physischen Stadtmodell, das durch AR und VR erweitert wird und so Daten und Narrationen auf verschiedenen Ebenen vermitteln kann.

Parallel beschäftigte ich mich mit der Frage, wie Inhalte und Exponate in Museen im weitesten Sinne inklusiver sein könnten.

In einer Hausarbeit aus dem vorherigen Sommersemester kombinierte ich zwei Ideen, die Modelle von Behinderung aus den Disability Studies und das ontologische Designdiagramm von Bonsiepe aus der Designtheorie.

Kombination der Modelle 2 redesign correction.jpgKombination der Modelle 2 redesign correction.jpg

Konkret wurden Spezifika der drei Modelle von Behinderung (das individuelle/medizinische, das soziale und das kulturelle) in das ontologische Designdiagramm eingefügt, sodass dessen Domänen schlüssig besetzt sind. Entstanden sind zwei Schemata, die als Werkzeug dienen können, um Gestaltungsprozesse zu begleiten oder bestehendes Design in Bezug auf Inklusivität zu reflektieren. Je Domäne kann überprüft werden, welches Modell von Behinderung ein Design am ehesten widerspiegelt.

In diesem Kursprojekt habe ich versucht, möglichst im Sinne des kulturellen Modells von Behinderung zu konzipieren.

Stadtmuseum Konzept Sketch 1.pdf PDF Stadtmuseum Konzept Sketch 1.pdf

Nach einigem Brainstormen darüber, wie die Domänen des ontologischen Designdiagramms im Sinne des kult. Modell von Behinderung besetzt werden können, entstand das folgende Schema.

Stadtmuseum Designdiagramm.pdf PDF Stadtmuseum Designdiagramm.pdf

Projekt

Der Prozess bis zu diesem Punkt ist schon zentraler Inhalt des Projekts. Es war der erste Versuch, meine selbst entwickelte Kombination anzuwenden. Vor allem die Domänen so zu besetzen, dass sie sowohl dem Thema, hier der Berliner Stadtraum, als auch dem kulturellen Modell von Behinderung entsprechen, hat sich als anspruchsvoll herausgestellt. Andererseits zwangen mich die Spezifika auch dazu, grundlegende Annahmen über die Gestaltungsaufgabe zu überdenken. Zum Beispiel, wer eigentlich die Designer*innen sein sollen, und wie z.B. eine „Entprofessionalisierung“ und somit Inklusion im Gestaltungsprozess erreicht werden kann. Genauso stellt sich die (immer präsentere) Frage, welche Rolle Designer*innen mit Berufsabschluss einnehmen.

Es würde den Rahmen sprengen, auf die theoretischen Grundlagen und meinen Entscheidungsprozess für die Besetzung der einzelnen Domänen einzugehen. Deshalb hier nur die stichpunktartige Verschriftlichung meiner handschriftlichen Notizen:

Aufgabe/Handlung
Aufbrechen patriarchaler, ableistischer, kolonialer etc. Deutungsmuster

Nutzer*in/soziale*r Agent*in
Gesellschaftsmitglieder, insbesondere marginalisierte Teile der Gesellschaft; in Berlin und darüber hinaus

Werkzeuge
Abbilden diverser Stadtbezüge

Interface
Raum, Interaktion, Introspektion

Designer*in
„professionelle“ Designer*in mit Erstentwurf, der kollektiv diskutiert, geändert, bestätigt oder verworfen werden kann

Wissen
diskriminierungssensibel und machtkritisch; race, disability, class, gender, …

Für den weiteren Verlauf des Projekts konzentrierte ich mich darauf, den Inhalt der Domäne Interface genauer auszuformulieren, und einen ersten Prototypen für eine Umsetzung zu konzipieren.
Bonsiepe beschreibt das Interface als „die Dimension, in der die Interaktion zwischen Körper, Werkzeug (…) und Handlungsziel gegliedert wird“, und als „zentrale(n) Bereich, auf den der Designer seine Aufmerksamkeit richtet.“ Ich bestimmte für diese Domäne Raum, Interaktion und _Introspektion _als Dimensionen für die Verknüpfung der anderen Domänen.

Als Raum dient zum einen das Museum und dessen Gebäude, bzw. ein Exponat in diesem. Sie bieten einen interessenbasierten Begegnungsraum, und auch das Potential eine Konfrontation oder Provokation zu bewirken.
Zum anderen soll auch der (physische) Stadtraum selbst zur Verknüpfung von Aufgabe, Werkzeug und Nutzer*in dienen. Zum einen entfallen hier bestimmte Exklusionsmechanismen, die mit dem Besuch einer Institution Museum verbunden sind, sodass mehr Menschen teilhaben können. Zum anderen sehen sich Nutzer*innen so direkt mit dem Gegenstand konfrontiert, das in einem Museumsgebäude bzw. Exponat nur stärker abstrahiert dargestellt werden kann.

Die Interaktion wird durch die Erstellung von Inhalten (z.B. in Workshops), die zwischenmenschliche Interaktion am Exponat und die Interaktion im und mit dem physischen Stadtraum realisiert.

In der Introspektion wird die eigene Positioniertheit reflektiert. Die eigene Perspektive wird mit der von weiteren Gesellschaftsmitgliedern abgeglichen und so ggf. das Nachdenken über Privilegien, Marginalisierungen und Verantwortung angeregt.

Museum_Modell_2022-Jan-17_07-57-06PM-000_CustomizedView33240322903.jpgMuseum_Modell_2022-Jan-17_07-57-06PM-000_CustomizedView33240322903.jpg
Museum_Modell_2022-Jan-17_07-58-37PM-000_CustomizedView24962602110.jpgMuseum_Modell_2022-Jan-17_07-58-37PM-000_CustomizedView24962602110.jpg
Museum_Modell_2022-Jan-17_07-58-00PM-000_CustomizedView26484901304.jpgMuseum_Modell_2022-Jan-17_07-58-00PM-000_CustomizedView26484901304.jpg
untitled.308.pnguntitled.308.png
untitled.305.pnguntitled.305.png
untitled.306.pnguntitled.306.png

Der konkrete Vorschlag für ein Exponat versucht also die oben aufgelisteten Domänen zu verknüpfen, mittels der Dimensionen Raum, Interaktionen und Introspektion. 

Das Exponat könnte als zweiteilig beschreiben werden. In beiden Fällen wird der Stadtraum durch AR erweitert, um diverse und ganz persönliche Erlebnisse im und mit dem Stadtraum darzustellen. Dabei handelt es sich zum einen um den physischen Stadtraum selbst, und zum anderen um ein physisches (3D-gedrucktes oder gefrästes) Modell der Stadt, also eine abstrahierte Replikation, das im/am Museumsgebäude platziert wird.

Jeweils werden kreative Umsetzungen persönlicher Erfahrungen im und mit dem Stadtraum in diesem ergänzt bzw. eingefügt. In den obigen Renderings ist zu sehen, wie ein Modell vom Stadtmuseum und der näheren Umgebung erweitert wird. Die roten, stacheligen Elemente symbolisieren die Unzugänglichkeit, das Gefühl des Ausgeschlossen- und Abgewiesenwerdens. Es ist nur ein Beispiel einer kreativen Transformation meiner ganz persönlichen Erfahrung als Rollstuhlfahrer. 
Und so könnten im Stadtraum und im Modell verschiedenste Perspektiven und Deutungsmuster Platz finden, die sonst unsichtbar sind. Auf diese Weise könnte das Exponat einen Beitrag leisten für den Diskurs um Stadtgestaltung und -entwicklung.

untitled.312.pnguntitled.312.png
untitled.314.pnguntitled.314.png
untitled.313.pnguntitled.313.png

Ausblick/Reflexion

Für mich persönlich war es sehr spannend, mein vorher selbst entwickeltes Schema zum ersten mal zu nutzen. Wie so oft war zu Beginn gar nicht klar, ob es überhaupt funktionieren würde, bzw. ob es einen Mehrwert hat.

Kritisch würde ich vor allem ansehen, dass sich bei mir, während der Ausarbeitung des konkreten Exponats, ein recht visuelles Verständnis von AR eingeschlichen hat. Das zeigt mir, dass ich mich mit dem Schema der Inklusivität zwar inhaltlich/thematisch nähern konnte, jedoch gleichzeitig die Interaktion zwischen Mensch und Exponat vernachlässigt und somit eher exklusiv ausgefallen ist. 

Dazu sei gesagt, dass durchaus vielschichtige Interaktionsmöglichkeiten denkbar wären. So könnten neben den digitalen AR-Objekten z.B. auch Klänge und Gesprochenes, Geschriebenes und Haptisches konzeptuell eingebettet werden. Mein Anspruch, an mich und an inklusiveres Design, ist aber, nicht im nachhinein die Interaktion inklusiver zu machen, sondern sie von Anfang an und organisch entstehen zu lassen.

Dennoch würde ich konstatieren, dass sich das Schema eignet, um zu beeinflussen, in welche „Richtung“ man entwirft, und wie radikal Projekte an Inklusivität (im weitesten Sinne) ausgerichtet werden können.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Interfacedesign

Art des Projekts

Studienarbeit im zweiten Studienabschnitt

Betreuung

foto: Prof. Dr. Sebastian Meier

Entstehungszeitraum

Wintersemester 2021 / 2022