In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
»Wie ein so lästiger Regen schweigen kann – Der erste Frankfurter Auschwitz Prozess« Animation als Mittel zur Darstellung des Holocaust
Als Otto Dov Kulka mit 11 Jahren den Todesmarsch von Auschwitz nach Groß-Rosen antreten musste, sieht er einen Häftling, der mit einem gebrochenem Bein auf Befehl des Angeklagten Baretzki liegen gelassen und wahrscheinlich erschossen wird. Anders als dieser Unbekannte Häftling, schaffte es Kulka auf unwahrscheinliche Weise dem Tod zu entkommen.
19 Jahre später sagte er neben 210 weiteren Überlebenden von Auschwitz gegen 20 angeklagte ehemalige SS-Bedienstete aus und beteiligte sich damit an einem Prozess, der die deutsche Bevölkerung mit ihrer Vergangenheit konfrontierte und dem Schweigen eine Stimme gab.
In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit der Frage nach der Darstellbarkeit des Holocaust im Animationsfilm und animiere – basierend auf der originalen Tonbandaufnahme der Zeugenaussage von Otto Dov Kulka – einen dokumentarischen Animationsfilm.
»How such an annoying drizzle can be silent – The First Frankfurt Auschwitz Trial« Animation as a way of depicting the Holocaust
When Otto Dov Kulka was 11 years old and had to start the death march from Auschwitz to Groß-Rosen, he sees a prisoner lying with a broken leg on the orders of the defendant Baretzki who probably shot him. Unlike this unknown prisoner, Kulka managed to escape the almost certain death.
Nineteen years later, he testified alongside 210 other Auschwitz survivors against 20 indicted former SS officials, participating in a trial that confronted the German people with their past and gave voice to silence.
In this work I deal with the question of the presentability of the Holocaust in animated film and animate – based on the original tape recording of the testimony of Otto Dov Kulka – a documentary animated film.
» Man sollte den Holocaust studieren, weil sein Schauplatz und sein Motor für die heutige Welt höchst relevant sind. «
Seit über 30 Jahren beschäftigt sich Peter Hayes mit dem Holocaust und versucht in seinem Buch »Warum?« Antworten auf häufig gestellte Fragen zu finden. Es geht darum zu verstehen wie es zu dem Massenmord gekommen ist, um die Sicherung vor einer Wiederholung zu gewähren. Die Tatsache, dass Deutschland im 20. Jahrhundert als ein fortschrittliches Land galt, verhinderte den Holocaust nicht. Rassismus und Antisemitismus waren Antrieb für die Entwicklungen – Gleichgültigkeit und Egoismus in der breiten Gesellschaft waren der Nährboden für die Nationalsozialisten. Peter Hayes macht darauf aufmerksam, dass sich alles wiederholen könne, das schon einmal passiert sei. Um eine Wiederholung zu verhindern, müssen wir verstehen wie es dazu gekommen ist.
Ein Blick in die heutige Gesellschaft zeigt, dass Rassismus und Antisemitismus noch existieren. Rechtsextreme und antisemitische Gewalttaten nehmen zu. Die Partei »Alternative für Deutschland« ( AfD ) – welche laut einem Urteil des Landgerichts Gießen offiziell als rechtsextrem bezeichnet werden darf – ist die stärkste Opposition im Bundestag. Björn Höcke wurde in der Landtagswahl 2019 als Spitzenkandidat der AfD mit 23,4 Prozentpunkten die zweitstärkste Kraft – und das obwohl seine Rhetorik kaum von der der Nationalsozialisten zu Hitlers Zeiten unterscheidbar ist:
» Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der ›wohl-temperierten Grausamkeit‹, wie es Peter Sloterdijk nannte, herumkommen. Das heißt, dass sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden. «
23,4 % der Wähler:innen in Thüringen entschieden sich für eine rechtsextreme Partei und tolerieren damit einen Politiker, der von einer » wohl-temperierten Grausamkeit « spricht. Das könnte zeigen, dass ein Teil der Deutschen aus den Folgen des faschistischen Regimes der NS-Zeit noch nichts gelernt hat und diese menschenverachtende Politik duldet oder sogar befürwortet.
Die Entstehung und die Bekämpfung nationalsozialistischen Gedankenguts ist komplex. Ein Aspekt ist vermutlich immer notwendig, sowohl für die Prävention, als auch für die Bekämpfung : Aufklärung. Im konkreten Bezug auf den Holocaust können besonders die Erfahrungsberichte von Überlebenden eine Rolle spielen. Nicht nur geben sie uns eine Vorstellung von den Folgen des Holocaust aus erster Hand, sie können uns auf einer menschlichen Ebene erreichen. Damals fehlte den Deutschen Empathie, b z w. sie wurde ihnen genommen – heute können die Leidtragenden uns Empathie lehren, wenn wir ihnen zuhören.
Diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist ein Prozess, der für uns als Gesellschaft wichtig ist. Der Holocaust und der Nationalsozialismus gehören zu der deutschen Geschichte. Dies gilt es nicht zu verdrängen, sondern darüber zu sprechen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, damit ein kollektiver Prozess entsteht, der nicht von einer » Schlussstrich «-Mentalität geprägt ist, sondern der Gesellschaft erlaubt sich zu entwickeln.
Der erste Frankfurter Auschwitz–Prozess ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Es war nicht der erste Prozess, der sich mit der Verfolgung der Täter:innen befasste, doch es ist bis heute einer der bedeutendsten und umfangreichsten dieser Art. Zwischen 1963 und 1965 wurden 360 Zeug:innen gehört, von denen 211 Überlebende aus Auschwitz waren. Angeklagt waren 11 Angeschuldigte wegen Mordes und 11 weitere wegen Beihilfe zum Mord. Zur Gedächtnisstütze des Gerichts wurden insgesamt 430 Stunden Tonbandaufnahmen mitgeschnitten, die bis heute konserviert wurden und seit wenigen Jahren im Internet verfügbar sind. Die Zeug:innen, die aus verschiedenen Ländern angereist waren, versuchten ihre Erlebnisse zu schildern und blickten tief in ihre Erinnerungen. Demgegenüber standen die Aussagen der Angeklagten, die häufig behaupteten von nichts gewusst zu haben und nur Teil einer Befehlskette gewesen wären. Die Zeug:innen berichteten von der Selektion an der » Rampe «, auf der SS-Angehörige die Menschen zur Exekution schickten oder zur Zwangsarbeit einteilten, während der Verteidiger im Schlussplädoyer versucht diese Einteilung als Rettung darzustellen. Zeug:innenberichte, Verteidigungen, Geständnisse und letztendlich die Urteile demonstrieren dieses grässliche Verbrechen und zeigen die tiefen Wunden der Opfer und die kalte Unerbittlichkeit der Angeklagten. Das Aufeinandertreffen der Zeug:innen, Angeklagten, Richter und Verteidiger erzeugt beim Hören der Tonaufnahmen eine große Spannung. Reue seitens der Täter ist nicht zu erkennen.
Den heute noch existierenden Antisemitismus und Rechtsextremismus und die Berichte der Zeug:innen des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses möchte ich zum Anlass nehmen, unter Verwendung der originalen Tonbandaufnahmen einen dokumentarischen Animationsfilm zu gestalten. Um eine ausreichende Sensibilität für das Thema zu erhalten, blicke ich zur Orientierung zuvor auf die Darstellungsformen in den Dokumentarfilmen »Nacht und Nebel« und »Shoa«, sowie auf den Comic-Klassiker »Maus«. Die beiden Filme können Einblicke in die Möglichkeiten der visuellen Darstellungen im filmischen Medium geben, dessen Prinzipien ebenso für Animationsfilme gelten könnte. Der Comic »Maus« ist ein sehr wichtiges künstlerisches Werk, das sich mit der Erzählung von einem Auschwitzüberlebenden befasst und kann als Schnittstelle zwischen Illustration und dramaturgischer Narration gesehen werden. Anschließend analysiere ich drei animierte Dokumentarfilme auf dessen Wirkungen und Darstellungen von Animation mit Bezug auf den Holocaust.
Designer:innen und Filmemacher:innen müssen sich mit der schwierigen ethischen Fragestellung auseinandersetzen, inwieweit sich diese schrecklichen Ereignisse visualisieren und interpretieren lassen. Daher möchte ich in dieser Arbeit folgenden Fragen nachgehen:
In welcher Form wird der Holocaust dargestellt?
Welche visuellen Mittel werden eingesetzt und wie wirken diese auf die Zuschauer:innen?
Wie werden die Opfer und Täter dargestellt?
Welche Gefühle, Emotionen werden vermittelt?
Was ist die Zielgruppe?
Ist Animation für die Darstellung des Holocaust geeignet?
Wie lassen sich die Erkenntnisse auf den 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess übertragen?
Wie kann ich die Geschichte von Opfern visualisieren, wenn ich es selber nicht miterlebt habe?
Der Holocaust ist ein sehr sensibles Thema, bei dem nur die Menschen, die Opfer waren, fassen können, wie schrecklich es in den Konzentrationslagern gewesen ist. Ich, als jemand der etwa 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, kann das Leid der Menschen nur schwer verstehen. Die Taten der Nationalsozialisten und die Leiden der Jüd:innen und anderer verfolgter Gruppen kenne ich nur aus Geschichtsbüchern, Filmen oder Interviews mit Überlebenden.
Bedeutet das, dass ich nicht in der Position bin mich künstlerisch, aufklärend mit diesem Thema zu befassen?
Die Regisseurin und Professorin einer Tochter von Holocaust-Überlebenden, Annette Insdorf, ist der Meinung, dass nur Überlebende den Horror von Auschwitz nacherzählen können – aber dass es die Empathie eines Außenstehenden benötige, diesen Erinnerungen einen allgemeingültigen Stellenwert und eine Unvergänglichkeit zu geben. Meine, im Studium angeeignete Fähigkeit mit visuellen Mitteln zu kommunizieren, geben mir eine gute Grundlage, um mich dem Thema zu widmen. Carolin von der Heiden, M. A. Jewish Studies/Holocaust Studies, konnte mir in einem Interview die Wichtigkeit der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema bestätigen. Es brauche Geschichten mit Identifikationsfiguren, damit die Gesellschaft eine Möglichkeit habe, daran teilzunehmen. Auch im Hinblick darauf, dass die Überlebenden in einigen Jahren aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr in der Lage sein werden aus erster Hand über den Holocaust zu sprechen, braucht es Medien, die darüber berichten und aufklären. Mit dem Versterben der Überlebenden darf die Auseinandersetzung mit dem Holocaust nicht verloren gehen.
Jedoch besteht die Gefahr, den Holocaust in ein falsches Licht zu rücken, das nicht der Realität entspricht. Im schlimmsten Fall führt es dadurch zur Verharmlosung oder Verklärung. Der Historiker Peter Hayes plädiert dazu, den Holocaust » gewissenhaft und nüchtern, ohne Sentimentalität oder Verklärung « zu studieren.
Doch wie schafft man es faktenbasiert, empathisch, aber dennoch frei von Sentimentalität das Thema zu behandeln? Mit dem Ziel einen Animationsfilm zu gestalten, lohnt sich ein Blick in die Darstellungsmöglichkeiten des Holocaust, wie sie in den Dokumentarfilmen »Nacht und Nebel« und »Shoa«, sowie dem Comic »Maus« genutzt wurden.
»Nacht und Nebel« ( engl. Night and Fog, 1955 ) ↗ Abb. 01 von Alain Resnais und »Shoa« ( 1985 ) von Claude Lanzmann sind zwei wichtige Dokumentationsfilme, die den Holocaust auf ganz unterschiedliche Weisen darstellen. Dennoch finden beide auf ihre eigene Art den richtigen Ton, die Leiden der Opfer mit Respekt und Sorgfalt zu beleuchten.
»Nacht und Nebel« hat eine Länge von c a. 33 Minuten. In einer Mischung aus langsamen Kamerafahrten in Auschwitz aus der Gegenwart nach dem Zweiten Weltkrieg, Archivaufnahmen der Nationalsozialisten und Archivaufnahmen von dem Elend zur Zeit der Vernichtung, beschreibt ein Erzähler den Ablauf des Holocaust in einem sachlichen Ton. Besonders schwer zu ertragen sind die Bilder und Filmaufnahmen der Menschen in den Konzentrationslagern. Die Leichen mit ihrem entgeistertem Ausdruck werden in Massengräber geworfen – diejenigen, die noch leben, sind schrecklich ausgehungert, krank oder wurden für Experimente eingesetzt. Den Horror der Bilder lässt der Erzähler häufig für sich alleine sprechen, denn für manche Szenen benötigt es keine weiteren Worte. ↗ Abb. 02
So sehen wir enthauptete Menschen und einige Zeichnungen auf Papier-ähnlichem Material, während der Erzähler seinen Satz unterbricht :
» Aus den Leichen – aber es ist nichts hinzuzufügen – aus den Leichen wollen sie Seife herstellen. Was die Haut betrifft … «.
Die Bilder lassen uns verstehen, dass die Haut der Toten als Papier verwendet wurde. ↗ Abb. 03 Man erkennt an der Stimme des Erzählers, dass er um die Schwierigkeit des Ertragens der Bilder weiß.»Nacht und Nebel« lässt uns mit diesen Schwarzweiß-Aufnahmen und der eher nüchternen Stimme des Erzählers selbst Zeug:in von den Taten der Nationalsozialisten werden. In den authentischen Aufnahmen aus der NS-Zeit zeigt uns Alain Resnais die Vergangenheit, schneidet aber immer wieder zu Farbaufnahmen aus der Gegenwart. In langsamen Kamerafahrten aus Auschwitz schweben wir entlang des Stacheldrahts. Wir sehen die Baracken und schauen in das tiefe Schwarz der geöffneten Krematorien. Wir gehen den unscheinbar wirkenden Wegen in Auschwitz entlang und sehen an der Decke der Gaskammer Kratzspuren, die die vergasten Menschen im Todeskampf dort hinterließen. Im Kontrast zu den Schwarzweiß-Aufnahmen holen uns die Farbaufnahmen zurück in die Gegenwart. ↗ Abb. 04 Der stille, verlassene Ort und die ruhigen Bewegungen der Kamera scheinen den Schrecken von Auschwitz leugnen zu wollen. Die Aufnahmen aus der Vergangenheit zeigen uns immer wieder, dass es dennoch der Realität entspricht. Annette Insdorf zitiert den Filmkritiker François Truffaut, der diesen Kontrast als » furchtbare Zartheit « beschreibt. Auch Insdorf selbst lobt diese Art der Erzählung und erklärt, dass »Nacht und Nebel« an die » Klugheit der Zuschauer appelliere « und » über eine banale Stimulation von hilflosen Tränen hinausgeht «. Die schrecklichen Bilder dienen also nicht dem Selbstzweck, sondern sind ein Teil einer Intention, die uns zwingt, durch die irreführende Gelassenheit der Farbaufnahmen, hinter dessen Fassade zu schauen. Der Erzähler zwingt uns zu reflektieren, indem er fragt:
» Wer von uns wacht hier und warnt uns, wenn die neuen Henker kommen? Haben sie wirklich ein anderes Gesicht als wir? «
und verdeutlicht, dass allein das »menschlich« sein, dass sowohl wir als auch die Täter besitzen, nicht vor solchen Handlungen schützt. Weiter appelliert er, dass wir verantwortlich dafür sind, dass das Geschehen nicht in Vergessenheit gerät und sich nicht erneut wiederholt:
» [ … ] – und es gibt uns, die wir beim Anblick dieser Trümmer aufrichtig glauben, der Rassenwahn sei für immer darunter begraben – uns, die wir tun, als schöpften wir neue Hoffnung, als glauben wir wirklich, dass all das nur einer Zeit und einem Lande angehört – uns, die wir vorbei sehen an den Dingen neben uns und nicht hören, dass der Schrei nicht verstummt. «
Der Appell ist unterschwellig und keineswegs platt. Der Erzähler spricht von » uns « und erhebt sich nicht vor den Zuschauer:innen. Das verhindert, dass die Mahnung von diesen abgeblockt wird.
Dies macht Resnais »Nacht und Nebel« nicht nur zu einem historisch-erklärenden Werk, das von der Vergangenheit berichtet, sondern zu einem Werk, das an unsere heutige Gesellschaft appelliert und an alle weiteren Generationen danach.
Insdorf deutet auf eine Aussage des Filmemachers Jean Renoir, der sagte, dass je emotionaler das Material wäre, desto weniger emotional dessen Bearbeitung sei. Das verdeutlicht auch die Musik von »Nacht und Nebel«, dessen Orchester uns durchgehend begleitet, aber nie zu emotionalisierend wirkt. Dazu zitiert Insdorf den Regisseur Alain Resnais, der sagte, dass je brutaler das Material wäre, desto schonungsvoller die Musik sei.
Alain Resnais hat den Holocaust selbst nicht miterlebt. Jean Cayrol, ein Überlebender von Auschwitz, schrieb das Script. Das verleiht der Dokumentation im Nachhinein eine hohe Authentizität, weil wir die Worte aus der Sicht eines Opfers wahrnehmen können.
Claude Lanzmanns »Shoa« ↗ Abb. 05 ist aus dem Jahre 1985 und neuneinhalb Stunden lang. Interviews von Überlebenden des Holocaust, Tätern und Zuschauer:innen erklären uns die Struktur und den Horror der Vernichtungslager. Ebenso wie in »Nacht und Nebel« leitet uns die Kamera gelegentlich durch die ehemaligen Vernichtungslager von Sobibor, Treblinka, Chelmno, Auschwitz und weiteren Lagern.
Im starken Kontrast zu »Nacht und Nebel« wird uns in der gesamten Zeit kein Archivmaterial gezeigt. Lanzmann verzichtet bewusst auf die Verwendung von solchem Material, da er der Meinung ist, dass neutrales Material nicht existiere, weil es durch die Nationalsozialisten oder später durch die Alliierten bei der Befreiung entstanden sei. Er möchte damit eine Mythologisierung umgehen, damit die Ereignisse historisch real bleiben. Im Bezug auf »Schindlers Liste« sagte Lanzmann sogar, dass jeder Versuch den Holocaust darzustellen ein Verrat sei, » ein Akt von Leugnung und Relativismus «. So könnten Szenen von den Massentötungen in den Gaskammern kein Mittel zur Darstellung des Holocaust sein, weil diese niemals den wahren Charakter des Holocaust wiedergeben könnten. Dass diese Darstellungsformen nicht notwendig sind um intensive Momente zu erzeugen, beweist Lanzmann mit den Interviews der Überlebenden. Die Kamera fängt mit sehr nahen Portraitaufnahmen jedes Detail der Gesichter ein.↗ Abb. 06 Das Ringen mit der Fassung und den Tränen der Interviewten schneidet er nicht heraus, sondern zeigt es in voller Länge. Dadurch erleben wir die Grausamkeit durch ihre Gesichter und fühlen das Leiden der Opfer, die bis heute mit den schrecklichen Erinnerungen leben müssen.Auf Musik verzichtet Lanzmann komplett. Das ist dahingehend passend, dass Musik zu Emotionen führt, welche artifiziell von Außen hinzugefügt werden und die realen Emotionen der Menschen verfälschen könnte.
Mit den präzisen Interviewfragen lässt Lanzmann die Interviewten den Horror wiedererleben. Ebenso lässt er die Orte des Geschehens wiederbeleben, wenn wir gelegentlich – parallel zum Erzählten – durch die Vernichtungslager gehen. Wie auch in »Nacht und Nebel« wirken die unscheinbaren Orte unangenehm real. Ilan Avisar, Autor des Buches »Screening the Holocaust«, nennt dieses Zeigen der Gegenwart eine » obsessive Konzentration nach dem Realen «, da die Vernichtungslager mit der Zeit drohen zu einer unwirklichen Vergangenheit zu verkommen. Es gehe Lanzmann also um die Gegenwart der » Endlösung « – um den Effekt auf die Menschen und die Kultur heute.
Das beweist er auch mit den Interviews der Täter. Zwei ehemalige SS-Männer aus den Vernichtungslagern interviewt und filmt er heimlich.↗ Abb. 07 In dessen Unwissen aufgenommen zu werden, erklären sie den Ablauf der Vernichtungsprozesse. Im Bezug auf das Lager Treblinka korrigiert ein ehemaliger SS-Mann, dass es 12 000 bis 15 000 Menschen wären, die täglich vergast wurden und nicht 18 000, wie Lanzmann behauptet, und dass der Prozess von Ankunft bis Exekution, wenn alles reibungslos lief, etwa zwei Stunden dauerte. Im Umgang mit den Opfern sind sie dabei sehr unsensibel. Diese » außergewöhnliche Unsensibilität und der abscheuliche Umgang kreiert eine unerträgliche Spannung, Unglaubwürdigkeit und Empörung, wenn ihre gegenwärtigen Haltungen gegen den Hintergrund des vergangenen Horrors zum Ausdruck kommen«, schreibt Avisar. Dabei verzichtet Lanzmann auf jegliche Moralisierungen, da er die Täter » nur « nach den konkreten Details der Maschinerie befragt. Eine Empörung entstehe, wenn wir erkennen, dass nicht nur » unpersönliche Bürokratie «, sondern auch reflektierte, menschliche Handlungen den Holocaust ermöglichten, behauptet Avisar. Damit verfolgt Lanzmann in diesem Punkt die gleiche Intention wie Resnais mit »Nacht und Nebel«. Sie wollen die Zuschauer:innen zum Reflektieren animieren, indem sie uns bewusst machen, dass es »Menschen« waren, die diese Taten vollbrachten. Im Kern unterscheiden wir uns nicht von diesen. Lanzmann verdeutlicht dies auch mit den Interviews polnischer Menschen, die in den Städten der Vernichtungslager die Deportationen und die Judenverfolgung mitbekommen haben.Anhand der Aussagen zeigt sich, wie tief der Antisemitismus in der polnischen Kultur verankert ist, wenn Lanzmann nach deren Einstellung zu den Jud:innen fragt. Selbst 30 Jahre nach dem Holocaust und die besondere Betroffenheit Polens im Zweiten Weltkrieg, haben die tiefen antisemitischen Haltungen nicht beendet. So erzählen Pol:innen, dass sie die Jud:innen nicht vermissen würden, dass sie ihre Koffer voller Gold hätten und – in einer Szene sogar indirekt –, dass ihre Vernichtung gottgewollte Sühne für den Tod Jesus darstelle. Letzteres wird erwähnt während einer der zwei einzigen Überlebenden aus Chelmno ( c a. 300 000 Tote ) daneben steht und nicht nur mit den schrecklichen Erinnerungen leben muss, sondern auch mit dem heute immer noch gegenwärtigem Antisemitismus. Diesen Schmerz sehen wir in seinem Gesicht, das wir während der ganzen Szene beobachten. Sein unsicheres Lächeln und Nicken zeige sein Unbehagen, erklärt Avisar. Durch diese direkte Gegenüberstellung des Antisemitismus und dem davon Betroffenen wird deutlich, dass die Gesellschaft noch nicht frei von diesen Ressentiments ist und die Jud:innen noch immer darunter leiden.↗ Abb. 08/09
»Maus« ( 1980–1991 )↗ Abb. 10 ist ein Comic von Art Spiegelman, der der Sohn zweier Überlebender von Auschwitz ist. Ende der 1970 er Jahre führte er mit seinem Vater Wladek Interviews. Darin befragt Spiegelman ihn nach dessen Geschichte; wann er deportiert wurde; wie das Verhältnis in dem Lager zu Spiegelmans Mutter war und wie sie bis zur Befreiung überleben konnten.
Spiegelman versucht mit »Maus« zu begreifen, wie » beschädigt « Wladek sei und welche psychologischen Auswirkungen die Erfahrungen haben könnten, erklärt Art Spiegelman in einem Interview in »Meta Maus«.
Der Comic befindet sich auf zwei zeitlichen Ebenen. Es gibt die Gegenwart und die Vergangenheit. In der Gegenwart interviewt der Charakter »Art« seinen Vater, der aus der Vergangenheit zur Zeit des Zweiten Weltkrieges erzählt. »Maus« entstand aus der Motivation heraus die Geschichte des Vaters und der Mutter zu verstehen und zu erzählen, um dessen Auswirkungen auf ihn selbst und die Beziehung zu seinen Eltern nachzuvollziehen. Dabei versuchte Spiegelman die Geschichte so ehrlich und direkt wir nur möglich zu erzählen. Die Interviews, die »Art« im Comic mit seinem Vater führt, basieren auf wahren Begebenheiten. Er besuchte Polen zwei mal und las unzählige Bücher über den Holocaust. Die Zeichnungen der Häftlingen seien sehr wichtig gewesen, weil sie Informationen besäßen, die es sonst nirgends zu sehen gäbe – sowohl dokumentarisch, als auch künstlerisch. Sie besäßen eine » Dringlichkeit «, die sehr eindrucksvoll sei.
» Ich wüsste nicht, wie ich › Maus ‹ ohne diese Zeichnungen visualisiert hätte «,
erklärt Spiegelman in »Meta Maus«. Auch Fotografien waren eine große Hilfe. So hat er zum Beispiel ein berühmtes Foto von Leichen, die verbrannt werden, als Vorlage für eine Zeichnung verwendet.
»Maus« hat Kontroversen ausgelöst, weil Spiegelman sich dafür entschieden hat, die Geschichte als Fabel zu erzählen. Die Juden werden als Mäuse dargestellt,↗ Abb. 11 die Deutschen als Katzen,↗ Abb. 12 die Polen als Schweine. Diese Darstellung einer Rassentheorie, die die Nationalsozialisten befürworteten, ist tiefgründiger als sie für manche scheinen mag. Hillary Chute erkennt in »Meta Maus« an, dass das Faszinierende an der Metapher sei, dass sie zusammenbreche. Die Katzen besitzen die humanistische Gestalt in »Maus«, doch handeln inhuman – wohingegen die Mäuse anonyme Gesichter haben, aber charakterlich sehr individuell handeln. Spiegelman führt aus, dass die generelle, intuitive Entscheidung der Lesenden Katzen eher als angenehmere Identifikationsfigur zu empfinden, jene zu Komplizen der Nationalsozialisten mache, welches im Gegensatz zu der erzählten Geschichte stehe und daher eine Uminterpretation nötig sei. Üblicherweise gelten Katzen als den Mäusen deutlich überlegene Tierart – doch mit der Entscheidung die Mäuse so groß zu zeichnen wie die Katzen, bildet er sie zumindest auf einer Augenhöhe ab. Die Mäusen hätten zwar nicht die gleiche Macht wie die Katzen, aber ebenso nicht den totalen biologischen Nachteil.
Diese Entmenschlichung, die die Tiermetapher erzeugt, generalisiert die Charaktere. Wladek ist ein Opfer einer großen Menge an Opfern, die zusammen eine unvorstellbare Menge an Toten und Überlebenden darstellen. Das erlaube den Lesenden sich mit den Figuren zu identifizieren. Gleichzeitig ermögliche dies den Lesenden sich zu distanzieren, um ein tieferes Einsteigen in die Geschichte zu erlauben. Das Projizieren der Gefühle in die Gesichter der Mäuse überlässt Spiegelman den Lesenden selbst.
Der Charakter »Art«, den Spiegelman selber darstellt, sollte nie ein Charakter sein, mit dem man sich identifiziert. Er selber hat eine Distanz zum »Art« in »Maus«, was für manche nicht offensichtlich erscheine, behauptet Spiegelman. Er sieht sich als distanzierte, objektive Stimme, die der »Art« im Buch nicht darstelle. Er wollte klarstellen wer derjenige ist, der Zeug:in war und wer derjenige ist, der das Zeugnis überträgt. Daher sei der »Art« in »Maus« in keiner Weise heroisiert, sondern stelle auf eine ehrliche, akkurate Weise ihn und die Beziehung zu seinem Vater Wladek dar.
Ebenso wenig versuchte Spiegelman seinen Vater zu heroisieren. Ihm war es wichtig eine Klarheit zu bewahren. Außerdem gefiel es ihm mit dem ungewöhnlich komplexen Charakter seines Vater zu arbeiten. Dennoch war es für ihn schwierig den richtigen Ton zu treffen. Die Schwierigkeit Verzweiflung und Zynismus zu vermeiden, aber nicht einfältig zu werden, forderte ihn heraus. Popkultur neige zum » Holokitsch «, der sentimentalisiere und den Leuten einen banalen Weg zurück zu dem Gefühl erlaube, wie lebensbejahend das Leben doch sei. Er erklärt, dass es in der Popkultur häufig auf die Guten und Bösen reduziert werde und dass der Holocaust ein » perfektes Held – Schurke-Paradigma für Filme « sei. Daher empfindet er ein zufriedenes Ende unpassend, weil es so tun würde, als hätte all das Leid, all der Tod nicht stattgefunden.
Spiegelmann spielt am Ende des Comics mit der romantischen Vorstellung, dass Wladek und Anja wiedervereint werden, nur um direkt danach die harte Gegenwart zu präsentieren. Auf der gleichen Seite konfrontiert er die Lesenden mit dem Tod von Wladeks erstem Sohn und seiner Frau, um schließlich mit dem Grabstein von Wladek selbst abzuschließen. Die Realität zeigt, dass es in dieser Geschichte kein » Happy End « geben kann und dass jeder Versuch die Realität falsch darstellen würde.
Eine Schwierigkeit sei es gewesen die Exekutionen darzustellen, denn Comics hätten nicht die Macht den Tod anschaulich genug darzustellen. So erklärt Spiegelman:
» Es ist besser wenig zu sagen und mehr zu implizieren. «
Dennoch wollte er nicht zurückhaltend sein und den Tod dennoch darstellen. Er sagt, er hätte die Augen verschlossen, wenn er es nicht gezeigt hätte. Eine Exekution, die der Vater erzählt bekommen hat, sehen wir nur in der Bewegung eines SS-Mannes, der ein Kind gegen eine Wand schleudert – doch die eigentliche Exekution findet außerhalb des Sichtfeldes statt. Er habe die »Handlung« gemalt – nicht die Folgen.↗ Abb. 13 Er erhofft sich ein Vermeiden in das Abrutschen in einen Horror-Comic, welches der Geschichte nicht gerecht geworden wäre.
Das kleine Format von »Maus« habe ihn gezwungen weniger detailliert zu arbeiten. Dadurch und durch die lose Strichführung wirkt »Maus« handgemacht und verleiht der Arbeit eine Manuskript-Ähnlichkeit. In »Maus« sind Sprache und Bild zwei verschiedene Ebenen. Die Sprache verdeutlicht die Zeugenaussage seines Vaters und die Bildebene ist eine Untererzählung, die mehr darstellt, als die rein illustrative Funktion. Spiegelman verleiht der visuellen Ebene also eine weitaus größere Funktion als » nur « das Erzählte der Figuren wiederzugeben. Zum Beispiel macht Spiegelman das Fehlen von Informationen als Problem sichtbar. So benutzt er die Formsprache des Comics und verdeckt mit einer Sprechblase eine Lücke auf einem Zeitstrahl und zeigt den Lesenden, dass hier Informationen nicht aufgedeckt werden konnten. Spiegelman behält dadurch die Faktizität bei und macht die Lesenden gleichzeitig auf das Fehlen aufmerksam.
Bevor er mit »Maus« angefangen hat, schrieb Spiegelman einen Comic über diesen Selbstmord seiner Mutter, den er in »Maus« integriert. Das wird durch den unterschiedlichen Illustrationsstil deutlich und hebt diesen Teil der Geschichte hervor. Diese Illustrationen sind expressionistischer und emotionaler als der restliche Stil. Spiegelman sagt, die »Maus«-Zeichnungen seien im Vergleich neutraler. Er hätte sich dafür entschieden, weil er den Tod der Mutter – im Gegensatz zum Holocaust – miterlebt hat und einen emotionalen Zugang dazu habe. Somit beschreibt der Zeichenstil von »Maus« den Grad der Beteiligung aus sich selbst heraus.↗ Abb. 14
»Nacht und Nebel« verwendet schockierende Archivaufnahmen im Kontrast zu gegenwärtigen Aufnahmen aus den Konzentrationslagern und mahnt vor einer erneuten Wiederholung.
»Shoa« schafft es ohne Archivaufnahmen und Tötungsszenen einen Film zu kreieren, der allein durch die Aussagen der Interviewten die Gräuel des Holocaust wiedergibt.
»Maus« schafft dies durch die wahrheitsgetreue, authentische Vater–Sohn Beziehung, im Zusammenspiel mit einer sich selbst entlarvenden Metapher und einem kühlen Zeichenstil.
Das Bewusstsein über die eigene Perspektive scheint in »Shoa« und »Maus« wichtig zu sein. Aus einer sehr tiefen, persönlichen Haltung heraus, entstand bei beiden Filmemachern ein Verlangen nach Aufklärung der Vergangenheit. Sie machen ihre Erzählperspektive zur Handlung der Geschichte und offenbaren damit ihr Anliegen. Dies führt zu einer Identifikation mit den Figuren und erlaubt den Betrachter:innen ein Eintauchen in die Geschichte.
»Nacht und Nebel« verzichtet auf diese Form der Identifikation. Der Sprecher ist keine Figur, die den Betrachter:innen auf Augenhöhe begegnet. Vielmehr besitzt sie eine belehrende, appellierende Funktion, um einen konkreten Willen, nämlich das Verhindern einer erneuten Wiederholung, auszudrücken. Das könnte den Film, zumindest aus heutiger Sicht, weniger kraftvoll machen, weil ein eher direkter Appell und schockierende Bilder zu abblockenden Reaktionen führen könnte. Zu häufiges Wiederholen der Bilder könnte auf Dauer ihre Intensität schwächen und der mahnende Appell könnte seine Wirkung verlieren.Nacht und Nebel, Shoa und Maus hinterlassen uns definitiv betroffen und keineswegs befriedigt.
Dies scheint ein angemessenes Ende zu sein, wenn es um den Holocaust geht. Nichts daran war positiv. Die Ideologie der Nationalsozialisten zur Ausrottung jüdischen Lebens beruhte auf Hass. Die Folge der Vernichtung waren sechs Millionen getötete Jüd:innen und hinterließ unvorstellbares Leid bei den Überlebenden und Angehörigen. Diese Tatsache außer Acht zu lassen würde zynisch wirken und den Holocaust falsch darstellen.
Von dem ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess existieren nur wenige Video- und Fotoaufnahmen. Das allein stellt Filmemacher:innen vor eine Herausforderung:
Was wird gezeigt, wenn über den Prozess audiovisuell berichtet werden soll?
Der ehemalige Auschwitz-Häftling Hermann Langbein war Mitbegründer des Internationalen Auschwitz Komitees und Zeuge beim ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess. Vor allem aufgrund seiner Bemühungen wurden 103 Tonbänder, die zunächst zur Gedächtnisstütze des Gerichts erstellt wurden, vor der Vernichtung gerettet und wegen des großen historischen Wertes aufbewahrt. Diese 430 Stunden Audiomaterial dokumentieren den Prozess und sind für Berichterstattungen und Filme essenziell.
Die Dokumentation »Strafsache 4 Ks 2 / 63« von 1993 verwendet diese Tonaufnahmen und unterlegt das Audiomaterial mit Archivaufnahmen aus der NS-Zeit und von Auschwitz in Form von Video und Fotografie; abgefilmten Tonbandgeräten; Modellen aus dem Auschwitz-Museum und gegenwärtigen Aufnahmen aus dem Gerichtssaal. Der Film »183 Tage – Der Auschwitz-Prozess« ergänzt die Darstellungsweise des Prozesses mit nachgespielten Realaufnahmen von z. B. dem Einwerfen des Gases Zyklon B in die Gaskammern von Auschwitz und Illustrationen von der berüchtigten Foltermethode » Boger-Schaukel «. Diese dienen der zusätzlichen Darstellung der Erlebnisse der Zeug:innen.
Kann Animation ein Mittel sein, um diese Erlebnisse zu visualisieren oder sogar als Meta-Ebene das Gesprochene zu ergänzen?
Annabelle Honess Roe spricht im Bezug zu dokumentarischen Animationsfilm von mimetischer Substitution, nicht-mimetischer Substitution und Evokation als Form von dokumentarischen Animationsfilmen.
Mimetische Substitution beschreibt die nachahmende Funktion von Animation, die Bilder erzeugen, die sonst nicht filmbar wären oder von denen keine Aufnahmen existieren. Es geht vor allem darum, die Situationen in dessen Präsentation und Ästhetik so realistisch wie möglich darzustellen.
Nicht-mimetische Substitution besitzt ebenfalls einen Anspruch auf Realismus, verwendet jedoch die gestalterischen Möglichkeiten von Animation, um den Sinngehalt über die Ästhetik auszudrücken.
Evokation beschreibt die Verwendung von Animation als ein Mittel um Emotionen und Gefühle auszudrücken. Das erlaubt den Filmemacher:innen den Inhalt aus einer subjektiven Perspektive darzustellen. Gefühle, Intentionen und sonst unsichtbare Elemente können so visualisiert werden.
Im Falle des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses kann mit Animation nicht nur die Situation des Gerichtssaals rekonstruiert, sondern auch die subjektive Sicht und die Perspektive der Zeug:innen zum Ausdruck gebracht werden. Das ist besonders kraftvoll, denn diese Aussagen bestimmen maßgeblich den historischen Wert des Prozesses und ein Hineinversetzen in deren Lage erzeugt die identifizierende Funktion, die zu Empathie und Reflexion anregt.
Außerdem kann der dokumentarische Animationsfilm weitere Vorteile mit sich bringen. Yoni Goodman, Animator von »Waltz with Bashir«, beschreibt in einem Interview die scheinbare Irrealität des dokumentarischen Animationsfilms und schlussfolgert daraus eine unmittelbare Offenheit gegenüber dem Inhalt – etwas, dass der Realfilm meist nicht hervorbringen kann. Animation wirkt zunächst fiktiv und schafft dadurch Zugänglichkeit, bevor erkannt wird, dass es sich tatsächlich um reale Geschehnisse handelt und der verstörende Effekt bereits eingesunken ist.
John Canemaker, Professor für Animation an der Tisch School of the Arts in New York, beschreibt einen ähnlichen Effekt im Bezug zur Kinderfreundlichkeit des dokumentarischen Animationsfilms: schwierige Themen in Animationsfilmen verängstigen Kinder nicht, wodurch ein Zugang zu dem Inhalt gefunden werden kann.
Wenn es um die Erzeugung neuer Bilder geht, die das Innere einer Person ausdrücken sollen, braucht es Verständnis und Empathie. Gerade wenn es um die Darstellung der inneren Zerrissenheit der Opfer des Holocaust geht, dessen Schmerz ein Außenstehender niemals in Gänze nachvollziehen kann, ist Vorsicht geboten. Eine Interpretation ist zwar notwendig, um eine Brücke zu den Zuschauer:innen zu schlagen, aber es darf in keinem Fall zu einer Verfälschung kommen. Die Darstellungen und Metaphern sollten sorgfältig gewählt werden.
Einen Anhaltspunkt für mögliche Darstellungen bietet das Buch »Landschaften der Metropole des Todes. Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft« von Otto Dov Kulka. Als Kind überlebte er das Konzentrationslager Auschwitz und war Zeuge bei dem ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess. In dem Buch beschreibt er seine Erfahrungen als Kind aus der Sicht eines nun fünfzig- bis sechzigjährigen. Seine poetischen Erzählungen bieten durch dessen bildhafte, symbolische Kraft eindrucksvolle, visualisierbare Ansätze. Den letzten Augenblick mit seiner Mutter in Auschwitz, bevor er sie nie wieder sah, beschreibt er wie folgt:
»Vor meinem geistigen Auge sehe ich Bilder : ein Bild. Eigentlich sind es Sekunden, nur Sekunden, Sekunden eines hastigen Abschieds, danach wandte meine Mutter sich um und begann in die Ferne zu gehen, den grauen Lagerbauten entgegen. Sie trug ein dünnes Kleid, das in der leichten Brise flatterte, und ich sah, wie sie ging und in die Ferne entschwand. Ich erwartete, dass sie sich umdrehen würde, erwartete irgendein Zeichen. Mutter drehte sich nicht um, sondern ging weiter, ging, bis sie nur noch ein winziger Punkt am anderen Ende war, der Punkt, das wusste ich, war das leichte Sommerkleid – und dann verschwand sie. Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand. «
Im Bezug auf die Schwierigkeit der Darstellung des Holocaust könnte es sinnvoll sein, sich auf jene Erfahrungsberichte zu stützen, um geeignete Visualisierungen zu finden.
Animationsfilm als Darstellungsmittel des Holocaust ist bisher und im Vergleich zu den zahllosen Dokumentationen und Realfilmen ein wenig verwendetes Medium. Möglicherweise bietet diese Abwechslung die Chance sich von den bisherigen Werken abzugrenzen, um eine neue Generation anzusprechen.
In diesem Abschnitt werde ich die zwei Filme »I Was a Child of Holocaust Survivors« von 2010, »Silence« von 1998 und die Filmreihe »# Stolen Memory« von 2020 analysieren und vergleichen. Dabei gehe ich neben der filmischen, narrativen Gestaltung darauf ein, inwiefern der Holocaust explizit und implizit dargestellt wird und welche Wirkung dies auf die Zuschauer:innen hat.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass mir bewusst ist, dass die drei Werke zu unterschiedlichen Bedingungen und aus unterschiedlichen Motivationen heraus entstanden sind und dass Budget, Zeitplan und Vorgaben mir nicht bekannt sind. Da es in dieser Arbeit lediglich um die Frage nach der Darstellbarkeit des Holocaust geht, werde ich diese Faktoren nicht berücksichtigen und mich auf die gestalterischen Lösungen konzentrieren.
»I Was a Child of Holocaust Survivors« ( 2010, Canada ) wurde von Ann Marie Felming inszeniert und basiert auf den illustrierten Memoiren von Bernice Eisenstein, die gleichzeitig die Sprecherin des Filmes ist. In 15 Minuten bekommen wir einen Einblick in das Leben von Bernice, das von dem schweren Leid ihrer Eltern geprägt ist. Diese sind jüdisch und haben den Holocaust überlebt. Mit dem Tod ihres Vater als junge erwachsene Frau, erkennt sie die » unerträgliche Leichtigkeit «, die sie als Tochter von Holocaust-Überlebenden geerbt hat. Gespalten von dem Privileg den Holocaust nicht miterlebt zu haben und der Last unter dem Schmerz der Eltern und der Angehörigen aufgewachsen zu sein, versucht sie ihre Kindheit und das Verhalten der Eltern zu verstehen.
Ihre Geschichte erzählt sie aus der Ich-Perspektive. Auf eine poetische Art leitet sie uns durch ihre Vergangenheit und ihre Gedanken:
» Es gibt keinen Mittelpunkt in Erinnerungen. «
Buchstäblich bekommen auch diejenigen im Film ihre Stimme, mit denen sie im Dialog ist. So fragt ihr Vater in ihrer Stimme :
» Wie sehe ich aus? «
» Du siehst gut aus, Papa. «
In einer Szene im Film wendet sie sich sogar direkt an die Zuschauer:innen, als es um den Ausdruck » Oyf Simchas! « geht, der sowohl zu Feierlichkeiten, als auch zu Beileidsbekundungen verwendet wird. » Verwirrt? «, fragt sie uns und meint damit auch sich selbst, weil sie als Kind den Ausdruck und das Verhalten ihrer Angehörigen nicht nachvollziehen konnte.
Wir befinden uns als Zuschauer:innen in ihren Gedanken. Sie spricht aus ihrer Perspektive und lädt uns ein, gemeinsam mit ihr ihre Vergangenheit zu erforschen. Dadurch bekommen wir einen Zugang zu der Geschichte und empfinden Empathie für sie. Sie ist mit uns auf Augenhöhe. Sie erhebt sich nicht, sondern öffnet sich vor uns, damit wir für die Suche nach Antworten, die wir gemeinsam mit ihr aufnehmen, offen sind.
Die Illustrationen, welche in einer Mischung aus Cel-Animation und 2D-Collagen-Animation Bewegungen verliehen bekommen, werden sowohl in Schwarzweiß, ↗ Abb. 15 als auch in Farbe wiedergegeben.Dabei entstehen zwei Ebenen, deren Anwendung sich nicht eindeutig unterteilen lässt. Eine leichte Unordnung entsteht. Das verstärkt zwar das Gefühl von Verlorenheit, das sie als Protagonistin empfindet, die Anwendung von Farbe jedoch wirkt häufig zufällig und verleiht dem Filme eine nicht hilfreiche Inkonsequenz. In den meisten Fällen verdeutlicht die Schwarzweiß-Ebene ihre Erinnerungen und Vergangenheit. Die Farbebene verdeutlicht meist ihre Gedankenwelt, die sie mit Metaphern und Symbolen zum Ausdruck bringt. Diese Ebene wirkt durch die Farbe detaillierter und unmittelbarer, wodurch sie zugänglicher wird.
Die Illustrationen sind gezeichnete Konturen, die mit Wasserfarben koloriert und schattiert wurden. Sie haben eine sehr individuelle und persönliche Anmutung. Außerdem erfahren wir zu Beginn, dass die Protagonistin zeichnet, wodurch der Eindruck entsteht, dass die Zeichnungen aus ihrer Hand stammen. Das stützt das Gefühl, dass wir uns in ihrer ganz persönlichen Geschichte befinden. Auch die Texturen aus Tinten- und Wasserfarb-Klecksen geben den Zeichnungen eine raue, persönliche, skizzenbuch-ähnliche Note. ↗ Abb. 16
Ihre Erzählungen bestimmen hauptsächlich den Inhalt. Die Animationen werden häufig verwendet, um das Erzählte bruchlos zu visualisieren. Das unterstützt ihre Aussagen. Doch die wahre Stärke der Animation zeigt sich in den symbolischen Darstellungen ihrer Gedanken. Zu Beginn sehen wir ein nacktes Kind sitzend auf einem Berg. Dieser ist mit handgeschriebenen Worten bemalt und liegt auf der Erdkugel, bevor er samt Kind hinter dieser verschwindet. » Ich bin verloren in Erinnerungen «, spricht sie aus dem Off. Das Bild blendet zu dem Kind, das in einem schwarzen Meer steht und einen Stein auf die Oberfläche schnipst. ↗ Abb. 17 » Der Tod hinterlässt ein Loch, das mit Sehnsucht zuwächst «. Der Stein versinkt. Es entstehen kleine, runde Wellen, die sich in einen goldenen, rotierenden Ring verwandeln, bevor sich dieser schließlich zu einer Kerze verwandelt und angezündet wird. In diesen Szenen gibt uns die visuelle Ebene zusätzliche Informationen, die wir aus ihren Worten nicht entnehmen können. Der Berg und die Erdkugel, als auch der Ring, sind zunächst Symbole, die wir noch nicht einordnen können. Doch im Verlauf des Filmes begreifen wir, dass diese einen wichtigen Teil der Geschichte ausmachen. Dadurch, dass wir zu Beginn nicht wissen, was die Symbole aussagen sollen, entsteht eine Spannung, die später beim Wiederaufgreifen gelöst wird und wir befriedigende Antworten erhalten.
Am Ende des Filmes sehen wir wieder den Berg, der auf der Erdkugel liegt. Dieses mal sitzt ihr Sohn auf dem Gipfel. Der Berg verschwindet und die Erde dreht sich weiter. Mit der Szene zuvor, bei der der Sohn innerhalb des goldenen Ringes aufwächst, wird deutlich, dass das Erbe weitergegeben wird – dass die » unerträgliche Leichtigkeit « nicht mit den nächsten Generationen verschwindet. Diese Kommunikation findet ausschließlich auf der visuellen Ebene statt. Die Animationen ergänzen damit das Gesprochene über die bruchlose Visualisierung hinaus. Die Interpretation der Bilder bleibt uns selbst überlassen und sie fordern uns auf darüber nachzudenken.
Dies passiert an mehreren Stellen des Filmes. Im Bezug zu ihrem Vater, der seine gesamte Familie im KZ verloren hat und heute gerne Westernfilme schaut, sehen wir ihn in der Figur eines Cowboys, der nach Auschwitz reitet und die Menschen vor der SS rettet. Auch diese kurze Geschichte funktioniert ohne Gesprochenes. Wir erkennen in ihrem Vater den Wunsch, seine Familie gerettet haben zu wollen. Es zeigt, dass er nach der Befreiung von Schuldgefühlen verfolgt wurde, welche seine Wutanfälle erklären, die die Protagonistin zuvor erwähnte. Auch hier werden wir den Bildern überlassen und selber zum Denken angeregt. In solchen Momenten verbirgt sich die Stärke des Filmes – denn es benötigt genaues Hinsehen, um solche tiefen Probleme zu erkennen und es offenbart sich nicht ohne Weiteres. ↗ Abb. 18
Der Zusammenhang mit ihrer Geschichte und der Judenverfolgung wird unmissverständlich auf der bildlichen Ebene gezeigt. Es taucht Adolf Eichmann im Fernsehen auf und die am Unterarm eintätowierten Häflingsnummern ihrer Angehörigen. Als Kind malt sie eine Swastika auf ein Blatt Papier. In einigen Szenen tauchen Swastika auf, aus denen sich Vernichtungslager-Gebäude verwandeln. Stacheldraht wird häufig verwendet, um entweder Auschwitz darzustellen oder das Gefangen-Sein zu symbolisieren. Besonders ist ein Berg aus Leichen – die sich die Protagonistin im Fernsehen vorstellt ↗ Abb. 19 –,die durch Glitches und Rauschen verzerrt werden. ↗ Abb. 20 Es wirkt, als würde sie sich gedanklich in einen Bereich bewegen, der unvorstellbar zu bebildern scheint. Als würde die Vorstellung von der Unvorstellbarkeit des Grauens verzerrt werden. Sie selbst hat diese Schrecken nicht miterlebt und legt dort die Grenze des visuell Darstellbaren fest. Im Verlauf des Filmes begeben wir uns visuell nie weiter in die Schrecken von Auschwitz als in dieser Szene, in der die Leichen verzerrt dargestellt werden.
In dem Prozess ihre Vergangenheit zu verarbeiten, stellt sie den Holocaust als eine Droge dar, die sie von früh auf zunächst unwissentlich zu sich genommen hat und nun davon abhängig ist. Dargestellt wird das durch einen auf einem Berggipfel stehenden Mann, der den Buchstaben » H « in die Luft streckt, während Blitze hinter ihm erscheinen. Die Gestalt erinnert an Thor, den germanischen Gewittergott, der in dieser Metapher den Drogendealer darstellt. Mit » H « ist der Holocaust gemeint und bedient sich dabei an der Abkürzung von Heroin. Dieses » High « bringt sie dazu, sich alles über den Holocaust anzueignen. Sie sagt, sie würde für immer nach » H « süchtig sein. Sie etabliert sich als Opfer, das mit diesem Schicksal leben muss. Doch sie ist sich bewusst, inwiefern sie das Recht besitzt, sich als Opfer darzustellen :
» Ist es witzig genug? Ist es traurig genug? Bin ich zu wütend? Zu weinerlich? Zu launenhaft? › Buh-hu, kleines Überlebens-Kind ‹ . «
Diese Selbstreflexion macht den Vergleich mit dem Holocaust und der Droge weniger grotesk. Den Holocaust mit Heroin zu vergleichen ist irritierend. Wie kann die Vernichtung der europäischen Juden mit der Einnahme und Abhängigkeit von Heroin gleichgestellt werden? Eine Abhängigkeit von Heroin ist tragisch, aber weitaus weniger tragisch und folgenreich als der Holocaust. Wird dadurch der Holocaust verharmlost?
Der Vergleich bezieht sich auf ihr Aufwachsen in einem vom Holocaust geprägtem Elternhaus. Sie vergleicht nicht den Holocaust mit Heroin, sondern erklärt ihre als Folge des Holocaust entstandene Persönlichkeit mit der Abhängigkeit von Heroin. Somit wird diese Metapher zu einem Instrument, das uns einen Einblick in ihr Empfinden geben soll. Das verharmlost den Holocaust nicht und macht den Film zu einer sehr persönlichen Geschichte.
Die Titelsequenz ↗ Abb. 21 erinnert visuell und musikalisch an einen Horrorfilm aus den 30ern oder 40ern, bei der die Worte » Holocaust Survivors « wie des Filmes Monster präsentiert werden. Das zeugt von schwarzem Humor, weil die Überlebenden, die Schreckliches erlebt haben, überspitzt zu etwas Unheimlichem gemacht werden. Auch das wirkt zunächst platt und irritierend. Im Verlauf des Filmes erkennen wir den Tiefgang der Eltern, welche einem billigen, einfältigem » Monster « nicht gerecht würden und kontrastieren damit die Titelsequenz.
Der Soundtrack ist über den gesamten Film zu hören. Überwiegend Violinen und Klavier bestimmen die Musik. Diese werden genutzt um die Stimmung der jeweiligen Szene zu unterstreichen. In nachdenklichen Momenten ist die Musik melancholisch, in aufregenden Momenten ist die Musik treibend und in neutralen Momenten ist die Musik jazzig. Ruhige Momente schafft der Film nicht und verpasst damit die Chance bestimmte Szenen hervorzuheben.
»Silence« ( 1998, USA ) ↗ Abb. 22 ist ein Film von Sylvie Bringas und Orly Yadin und basiert auf dem Leben von Tana Ross, die – wie die Protagonistin in »I Was a Child of Holocaust Survivors« – die Sprecherin des Filmes ist. In knapp 10 Minuten erzählt uns Tana ihre Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus, in der sie ihre Mutter und all ihre Angehörigen verloren hat : » Eines Tages hat mich meine Mutter verlassen. Ich habe sie nie wieder gesehen. Bald war jeder andere verschwunden. « Sie wuchs in Theresienstadt bei ihrer Großmutter auf. Diese versteckte Tana vor jeder Deportation und schaffte es so sie am Leben zu halten. Nach Kriegsende zogen sie und ihre Großmutter zu ihrer Tante und zum Onkel nach Schweden. Geplagt von Flashbacks an die schreckliche Zeit in dem Getto, lernt sie ihre Vergangenheit zu verdrängen. Als sie mit 20 Jahren aus Schweden wegzieht, schenkt ihr ihre Tante alte Briefe von ihrer Mutter, die diese vor der Deportation verfasst hat. Die Briefe dokumentieren den verzweifelten Versuch mit ihrer Tochter nach Schweden zu flüchten – doch kein Land war bereit Asyl zu gewähren. Selbst mit diesen Briefen, der » Brücke zur Vergangenheit «, wie Tana sie nennt, konnte sie ihre Geschichte noch immer nicht verarbeiten. Erst als 50 Jahre vergangen waren, schafft sie es durch diesen Film darüber sprechen.
Genau wie in »I Was a Child of Holocaust Survivors« erzählt die Protagonistin ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive. Rückblickend auf ihre Vergangenheit erfahren wir, wie sie es schaffte den Deportationen zu entgehen. Die Großmutter versteckte sie, wenn die SS kam, bedeckt mit Decken in einem Korb. Hier wendet sie sich direkt an die Zuschauer:innen, um die Motivation für die riskante Aktion der Großmutter zu rechtfertigen : » Ihr müsst verstehen, sie haben schon ihre Tochter genommen. Sie wird es nicht zulassen, dass sie das Kind bekommen. «
In dieser Hinsicht sind sich »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« sehr ähnlich. Durch die persönliche Ich-Perspektive und das Durchbrechen der vierten Wand wird Empathie erzeugt, damit wir empfänglich sind für die Geschichte. »I Was a Child of Holocaust Survivors« erzählt die Geschichte aus einer personalen und »Silence« aus einer übergeordneten, allwissenden Erzählperspektive. Die beiden Filme unterscheiden sich darin, dass »I Was a Child of Holocaust Survivors« eine gemeinsame Suche mit uns aufnimmt, um die Vergangenheit zu erforschen – in »Silence« hat die Protagonistin diese Suche bereits erforscht und berichtet uns von der Schwierigkeit diese zu erzählen. Während »I Was a Child of Holocaust Survivors« das Phänomen aufzeigt, dass das Erbe an die nachkommenden Generationen weitergegeben wird, erzählt »Silence« von der Vergangenheit, die nicht in Vergessenheit geraten darf.
Der Film besitzt eine Realbild-Ebene, die aus alten Fotos und Archivaufnahmen besteht und eine Animations-Ebene, die während der Getto-Zeit schwarzweißist ↗ Abb. 23 und nach der Befreiung in Farbe fortgesetzt wird. ↗ Abb. 24 Die Animation besteht in der Farb-Ebene aus illustrierter » normaler « Cel-Animation und in der Schwarzweiß-Ebene aus illustrierter Cel-Animation, die ( vermutlich ) durch Radieren und Neuzeichnen auf dem selben Blatt Papier entstanden ist. Dadurch werden die Zeichnungen der Frames davor sichtbar und hinterlassen einen Überrest. Aufgrund dieser Spuren wird buchstäblich die Vergangenheit erkennbar und unterstützt das Gefühl von der unverarbeiteten Vergangenheit.
Die Archivaufnahmen ordnen das Geschehen in einen wahren geschichtlichen Kontext ein. Zu Beginn werden kurze Szenen vom Aufstieg der Nationalsozialisten und der Judenverfolgung gezeigt. Ein bunter Schmetterling, der über das Bild fliegt, auf dem ihre Mutter und die Protagonistin als Baby zu sehen ist, ebnet den Übergang von Animation zu Archivaufnahmen von zerstörten Städten und leitet damit einen neuen Abschnitt des Filmes ein – das Leben nach dem Krieg. Sowohl die Schwarzweiß-Animationen als auch die farbigen Animationen sind handgezeichnet und wirken, ähnlich wie in »I Was a Child of Holocaust Survivors«, sehr persönlich. Anders als in »I Was a Child of Holocaust Survivors« etabliert »Silence« die beiden Ebenen zu deutlich erkennbaren Funktionen. Schwarzweiß ist die leidvolle Vergangenheit – Farbe ist die Zeit, in der sie mit dieser Vergangenheit umgehen muss. »Silence« behandelt die beiden Ebenen auf eine clevere Art und Weise. Wird die Protagonistin an ihre Vergangenheit erinnert, ↗ Abb. 24 verschwindet die Farbe– die Schwarzweiß-Ebene tritt zum Vorschein. ↗ Abb. 25 Dadurch wird erkennbar, dass die Vergangenheit noch präsent ist und immer wieder hervortritt. Obwohl sie in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort lebt, kann sie nicht vor der Vergangenheit flüchten.
Die Animationen visualisieren meist das Gesprochene – wenn z. B. von der Großmutter gesprochen wird, so sehen wir die Großmutter im Film. Doch auch wie in »I Was a Child of Holocaust Survivors« liegt die Stärke der Animation in den Szenen, in denen es eine Bild-Ton Schere gibt oder die Animationen für sich alleine stehen – ohne Gesprochenes. Um zu zeigen, dass Kinder bei einem Abtransport nach Auschwitz in Theresienstadt übrig geblieben sind, werden Käfer gezeigt, die von einem Besen weggefegt werden. ↗ Abb. 26/27 Einige Käfer bleiben übrig und verwandeln sich in Kinder, die aus dem Bild laufen. Es benötigt keine gesprochene Erklärung um zu verstehen, dass der Großteil der Kinder abtransportiert wurde und nur wenige vor einer Deportation bewahrt blieben. Die Flashbacks benötigen ebenfalls keine Tonebene, um ihre Wirkung zu entfalten. Schlägt die Farb-Ebene in Schwarzweiß um, wird erkennbar, dass die Situation an die Vergangenheit erinnert, die Traumata hinterlassen hat. So wird der Zug nach Schweden zu einem Deportationszug, der Schaffner zu einem SS-Mann und ihr neues Bett zu ihrem ehemaligen Versteck. Ein Koffer, in dem sie sich versteckt, wird zum dem Symbol » unsichtbar « zu sein. Zunächst als Versteck vor den Nationalsozialisten und später als Versteck für ihre Traumata. In einem Morph von jung zu alt fliegt sie in den Koffer hinein : » Ich war 20 Jahre alt und dennoch unsichtbar, noch immer die Beste im Verstecken. « In dieser Szene zählt sie ihr Alter von 12 zu 20 hoch und benutzt dabei die gleiche flüsternde Stimme wie am Anfang, als sie in ihrem Versteck die Sekunden zählt, bis sie vor der SS in Sicherheit ist. Auch auf der Tonebene findet also das Aufgreifen der Erinnerungen statt und verdeutlichen die Traumata, mit denen sie leben muss.
Die Jüd:innen sind an der Armbinde mit dem Judenstern, die sie zwangsweise tragen mussten, erkennbar. In einer späteren Szene in Schweden, fühlt sich die Protagonistin bei einem religiösen Fest nicht zur schwedischen Gesellschaft zugehörig und stellt sich als geist-ähnliche Gestalt, die sich in eine Ratte verwandelt, mit einem Geldsack in der Hand vor. ↗ Abb. 28 Diese Klischees werden benutzt, um ihr Gefühl zum Ausdruck zu bringen, dass sie als Jüdin noch nicht akzeptiert wird. Sie sieht sich in der Szene aus der Perspektive der anderen – so wie sie glaubt wahrgenommen zu werden. Somit wird das alte Klischee nicht als plumpe Visualisierung von Jud:innen eingesetzt, sondern erfüllt den Zweck der Selbstwahrnehmung der Protagonistin. Sonst verzichtet »Silence« auf Stereotypen. Als im letzten Abschnitt die Mutter gezeigt wird, trägt diese horizontal gestreifte Kleidung. Noch ist die Mutter nicht inhaftiert, aber die Streifen erinnern an übliche Häftlingskleidung und symbolisieren ihren weiteren, unausweichlichen Weg und ihre Gefangenschaft unter dem Naziregime.
Die Nationalsozialisten spielen visuell nur indirekt eine Rolle. Sie sind im ersten Abschnitt zu sehen, jedoch wird in einer Szene ihr Gesicht nur unterhalb der Augen gezeigt und in den anderen Szenen sind ihre Gesichter von Mützen bedeckt. Genau wie »I Was a Child of Holocaust Survivors« gibt »Silence« den Nationalsozialisten kein Gesicht und verdeutlicht, dass es um die Leben der Opfer geht und nicht um die Täter. Exekutionen und Leichen werden nie gezeigt. Sowohl bei den Kindern im ersten Abschnitt, als auch bei der Mutter am Ende, reichen allein die Deportationen als Synonym für Vernichtung. Es benötigt keine weitere Verdeutlichung, um zu verstehen, dass die Transporte mit dem Tod einhergehen. »Silence« spart sich eine unnötige Emotionalisierung durch das Zeigen vom Elend und verlässt sich auf die Klugheit der Zuschauer:innen.
Die Deportation der Mutter wird außerdem in einer eindrucksvollen Parallelmontage erzählt. Während die Mutter einen Brief an den Onkel in Schweden schreibt und gleichzeitig versucht ihr Baby aus Deutschland in Sicherheit zu bringen, dirigiert der Onkel in Schweden ein Orchester. Die Protagonistin liest diesen Brief vor und es wird – begleitet durch das Lied des Orchesters – von der Mutter in Deutschland zu dem Onkel nach Schweden hin- und hergeschnitten. Das Lied steigert sich zu einem Crescendo, bevor es schließlich endet und wir mit einer Archivaufnahme von der Einfahrt nach Auschwitz zurückgelassen werden. ↗ Abb. 29 – 37 Die Szene besitzt durch die schnellen Schnitte, die animierten Kamerafahrten und dem Orchester eine eindrucksvolle Dynamik, die den Kampf der Mutter verdeutlicht, die versucht ihr Kind in Sicherheit zu bringen. Mit der Einfahrt nach Auschwitz und den Worten : » Meine Mutter wurde in 1942 nach Auschwitz gebracht « verstehen wir, dass sie den Kampf verloren hat.
»Silence« geht mit der Musik sparsamer um als »I Was a Child of Holocaust Survivors«. Hier werden ebenfalls hauptsächlich Violinen eingesetzt, aber auch Kindergesang und sogar ein ganzes Orchester ist zu hören. Die Musik wird wie in »I Was a Child of Holocaust Survivors« eingesetzt, um die Emotionen der entsprechenden Szene zu stärken. Mit der Entscheidung den Soundtrack nicht durchgängig laufen zu lassen, entstehen ruhige Momente, die herausstechen und an Bedeutung gewinnen. Das stärkt nicht nur die ruhigen Momente, sondern auch die Momente, in denen Musik gespielt wird. Die Tatsache, dass der Onkel Dirigent ist, wird genutzt, um am Ende den Höhepunkt zu kreieren. Generell wird die Musik häufig im On gezeigt. Gleich zu Beginn hört man ein Cello, bevor die Animation ein Fenster mit einer Cellospielerin zeigt. Später spielt die Protagonistin im On das Klavier, das im Off fortgeführt wird und bei der Zeremonie singt im On ein Kinderchor. Als die Protagonistin ihr neues schwedisches Zuhause beschreibt, erinnert sie sich : » Mein neues Zuhause war gefüllt mit Musik. « Sie ist von klein auf mit Musik umgeben worden und das hat ihre Erinnerungen geprägt. Daran erkennen wir, dass Musik einen großen Stellenwert in ihrem Leben eingenommen hat. Die Musik wird also nicht nur für dramaturgische Zwecke eingesetzt – so wie »I Was a Child of Holocaust Survivors« – sondern auch um die Persönlichkeit der Protagonistin zu beschreiben.
»# Stolen Memory« ( 2020, Deutschland ) ↗ Abb. 38 ist eine Web Serie bestehend aus drei Kurzfilmen, die je 3 bis 4 Minuten lang sind. Produziert wurde die Serie von »Goldener Westen« im Auftrag der »Arolsen Archives«. Letztere machen sich zur Aufgabe über Opfer nationalsozialistischer Verfolgung aufzuklären, vermisste Personen ausfindig zu machen und über das Naziregime zu unterrichten. »Goldener Westen« übernahm die gestalterische und animatorische Aufgabe. Basierend auf den Biografien dreier Menschen und deren letzten verbliebenen Gegenstände aus der NS-Zeit, werden ihre Geschichten rekonstruiert.
Johannes Berens ist in den Niederlanden geboren und wurde als Polizist von den Nationalsozialisten beauftragt Juden, die sich verstecken, aufzuspüren. Als er sich weigerte, verschleppten ihn die Nationalsozialisten in ein Konzentrationslager. Er starb weniger Tage nach der Befreiung. Sein Portemonnaie ist alles was von ihm erhalten geblieben ist. 71 Jahre später wurde seine Schwester gefunden, der daraufhin das Portemonnaie samt Bilder und Dokumente überreicht wurde.
Helena Poterska ist in Polen geboren und wurde mit 16 Jahren von der Gestapo in ein Konzentrationslager gebracht, wo ihr ihre Ohrringe abgenommen wurden. 4 Jahre verbrachte sie in verschiedenen Lagern, bevor sie 1945 mit 20 Jahren befreit wurde. Dort verliebte sie sich in einen deutschen Kriegsgefangenen, mit dem sie letztendlich ein neues Leben angefangen hat. Die Ohrringe fanden nach 77 Jahren zurück zu ihrer Tochter.
István Roksa wurde als Jude in Ungarn geboren, 1944 verhaftet und letztendlich in ein Konzentrationslager verschleppt, wo ihm seine einzigen Sachen weggenommen wurden – etwas Geld und ein Stift. Als Folge von Zwangsarbeit verlor er vier Finger, bevor er einen Todesmarsch überlebte. Als er 1949 nach Israel zog, benannte er sich in Yosef um und gründete eine Familie. 1996 starb er. 22 Jahre später erhielt die Familie den Stift von István und sie erfuhren erstmals, dass sein richtiger Name nicht Yosef ist.
Die Geschichten werden aus der Ich-Perspektive erzählt – jedoch anders als in »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« werden hier Sprecher:innen verwendet, die die Rolle der Personen annehmen. Aus einer auktorialen Erzählperspektive berichten sie über das Leben der Personen. Das Erzählen aus der Ich-Perspektive und die Verwendung von Umgangssprache – z. B :
» Die haben mich in ein Auto gezerrt und weg war ich. « ↗ Abb. 39
– wirkt alltäglich und erzeugt Empathie für den jeweiligen Charakter. Die Geschichte wird zugänglicher und wir können uns in die Person hineinversetzen. Allerdings wird durch das Verwenden der Sprecher:innen Persönlichkeit gemildert. Aufgrund der professionellen Stimme wird schnell bemerkbar, dass es sich um ausgebildete Sprecher:innen handelt und obwohl die Geschichten zwar glaubhaft sind, wirken sie dadurch weniger authentisch. Die Sprecher:innern versuchen die Leiden der Opfer zu rekonstruieren und bleiben dabei immer » nur « eine Simulation. Sich in das Leben der Opfer hineinzuversetzen und aus ihrer Perspektive die Vergangenheit wiederzugeben, erscheint nur vollkommen möglich, wenn man es selber erlebt hat. Natürlich wurden Sprecher:innen auch aus der Notwendigkeit heraus gecastet – denn zwei der drei Protagonist:innen sind bereits verstorben. Aber dennoch zeigt es wie kraftvoll die authentischen Sprecher:innen in »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« sind.
Die Gegenstände der Personen verbinden die drei Geschichten. Alle drei Personen wurden bei der Aufnahme in ein KZ ihrer Wertsachen entledigt. Erst Jahrzehnte nach der Befreiung fanden die Gegenstände zurück zu ihren Angehörigen. Diese Gegenstände werden dadurch zu einem Zeichen der Erinnerung – nicht nur für die Angehörigen selbst, sondern auch für die Zuschauer:innen. Es sind die einzig übrig gebliebenen Objekte vom Leben aus einer vergangenen Zeit – ein symbolischer Schlüssel zur Vergangenheit verfolgter Menschen. Es handelt sich um alltägliche Gegenstände, welche einen realen Bezug zu den Personen erzeugen. Das unterstützt die Identifikation mit den Protagonist:innen und damit die Bereitschaft zur Aufnahme der Geschichten. ↗ Abb. 40
Der Stil der Animationen ist in allen drei Filmen gleich. In einer schwarzweißen und farbigen 2D-Welt aus klaren, flächigen Formen werden die geriggten Charaktere zum Leben erweckt. Im Hintergrund, aber auch auf manch anderen Formen, befindet sich eine gescribbelte, dunkle Textur, die für Unruhe sorgt und den sonst klaren, flachen Hintergrund aufbricht. Das erzeugt eine passende, bedrückende, irritierende Stimmung. Wie auch in den beiden anderen analysierten Filmen, setzt die Filmreihe schwarzweiß und farbige Ebenen ein. Die Schwarzweiß-Ebene verdeutlicht die Vergangenheit bis zum Zeitpunkt der Befreiung aus den Lagern, danach wird die Animation in Farbe fortgesetzt. Schwarzweiß verdeutlicht hier ebenfalls wieder die schreckliche Vergangenheit der Protagonist:innen. Die Farbe symbolisiert den Anfang einer neuen friedlicheren Periode im Leben. Anders als bei den anderen beiden Filmen, wird die Schwarzweiß-Ebene nicht in der farbigen Ebene eingesetzt, um die erdrückende Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart zu zeigen. Als Symbol dafür erscheinen die gestorbenen Protagonisten in »István« und »Johannes« als » Geister « neben den Angehörigen. Dies wird durch die Transparenz der Protagonisten ausgedrückt.
Am Ende der Filme wird jeweils ein Portrait der Person mit den jeweiligen Geburts- und g g f. Todesdaten gezeigt, was die Existenz der Personen bestätigt und die Authentizität der Geschichten bewahrt. Dies hinterlässt ein bedrückendes Gefühl – jedoch entsteht aufgrund der Wiedervereinigung der Gegenstände mit den Angehörigen eine gewisse Befriedigung und Endgültigkeit mit der Bewältigung der Vergangenheit, welche von dem letzten Satz des Filmes über Helena Poterska verdeutlicht wird:
» Ich habe gewonnen – nicht die. «
Im Bezug auf die Problematik der Darstellbarkeit des Holocaust ist es durchaus fragwürdig Filme mit einem Gefühl von Versöhnung und Befriedigung zu beenden. Der Film über Helena Poterska und Johannes Berens, der mit dem Satz endet:
» Es hat ihr immer Leid getan, dass ihr Sohn mich nicht kennenlernen konnte [ … ]. Aber jetzt haben sie etwas, dass sie an mich erinnert «,
erklären die Gegenstände als eine Form von Lösung, die die Aufarbeitung der Angehörigen mit ihrer Vergangenheit beendet. ↗ Abb. 41
Der Film über István Roksa geht einen eleganteren Weg. Mit folgendem Satz endet der Film:
» Dieser Füller ist das Einzige was noch daran erinnert, als ich 16 Jahre alt war «,
und verdeutlicht damit einen deutlich plausibleren Stellenwert der Gegenstände: die Geschichte der Menschen ist für immer gezeichnet mit dem Erleben des Holocaust und die Gegenstände sind ein Zeichen der Erinnerung. Dieser Film hinterlässt kein befriedigendes, erfüllendes Gefühl und macht ihn dadurch stärker als die beiden anderen.
Alle drei Filme finden starke Bilder, um das Gesprochene zu visualisieren. So wird aus den Ohrringen von Helena bei dem Stichwort : » Sie haben mir alles abgenommen «, ein Stacheldraht, der die Konzentrationslager symbolisiert. ↗ Abb. 42 Als István von den Nationalsozialisten abgeholt wird taucht eine bedrohliche, dunkle Masse von Armen auf und greift nach ihm, während er versucht mit dem Fahrrad wegzufahren. ↗ Abb. 43 Johannes erzählt von dem Satz, den sie beim Marschieren zugerufen bekommen haben : » Marschieren oder krepieren! « und wird von riesigen, marschierenden Füßen überwältigt. ↗ Abb. 38 Diese symbolhafte Darstellung des Gesprochenen ist eine Stärke der Filme. Die Geschichten sind eindringlich und die Visualisierung verstärkt dies. Auch die kontrastreichen Illustrationen und die Textur tragen dazu bei.
Im Vergleich zu »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« ist die Welt und die Figuren nicht handgezeichnet. Es gibt handgezeichnete Elemente, doch im Allgemeinen bleibt es bei sehr klaren, geometrischen 2D-Formen. Dies lässt »# Stolen Memory« allgemeingültiger und weniger persönlich erscheinen. Das macht »# Stolen Memory« mehr zu einer Filmreihe, dessen Geschichten auf viele andere Menschen zutreffen könnten. Es geht zwar um diese drei Geschichten, aber sie stehen symbolisch für eine bedeutende Menge an weiteren Schicksalen. Die Charaktere wirken im Vergleich zu den anderen beiden Filmen eher allgegenwärtig.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen »I Was a Child of Holocaust Survivors«, b z w. »Silence« und »# Stolen Memory«. In den zwei Filmen gibt es Sequenzen, die losgelöst von dem Gesprochenen rein visuell funktionieren. Solche Momente fordern auf sich Gedanken zu machen. Das, was Annette Insdorf über den Film »Nacht und Nebel« schreibt, gilt auch bei »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« :
sie » [ gehen ] über eine banale Stimulation von hilflosen Tränen [ hinaus ] «.
Dadurch gewinnen die beiden Filme an Komplexität und Tiefe. Zwar ist die Metaphorik von »# Stolen Memory« sehr eindrucksvoll und die Animationen visuell stark, doch inhaltlich bleibt die Filmreihe auf einem weniger anspruchsvollen Niveau.
Möglicherweise lässt sich dies anhand der Zielgruppe von »# Stolen Memory« erklären. In dem Making-Of erklärt »Goldener Westen«, dass der Film im Rahmen einer Wanderausstellung für Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren, Schullehrer:innen, Angehörige von Opfern des Nationalsozialismus und Stadtoberhäupter produziert wurde. Der größte Fokus liege aber auf den Jugendlichen. Sie sollten einen ersten Einstieg in die Thematik bekommen und das auf eine neue Art und Weise.Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Jugendliche den modernen Look der Animationen ansprechend finden und dadurch offener sind. Trotzdem traue ich dieser Altersgruppe zu, dass sie in der Lage sind auch komplexe Geschichten zu verstehen. »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« richten sich dagegen weniger an eine jüngere Zielgruppe.
Der Blick auf den Aufbau der Filme lässt die Unterschiede in Struktur und Narrationen erkennen. »# Stolen Memory« besteht aus drei Filmen, die dem gleichen Muster folgen – daher habe ich exemplarisch »Johannes« ausgewählt und behandelt.
Zunächst fallen die verschiedenen Längen von »I Was a Child of Holocaust Survivors«, »Silence« und »# Stolen Memory« auf. Alle drei Filme erzählen die Geschichten einer einzigen Person. »# Stolen Memory« schafft dies in sehr viel kürzerer Zeit, geht aber dementsprechend weniger tief in die Geschichten ein. »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« nehmen sich dreimal, b z w. viermal länger Zeit, um die Themen zu behandeln.
»# Stolen Memory« und »Silence« haben eine sehr ähnliche Erzählstruktur. Beide Filme beginnen mit dem Titel, fahren mit Schwarzweiß-Animationen fort, wechseln zum Zeitpunkt der Befreiung zu Farbe und enden auf Realbild, gefolgt vom Abspann. »# Stolen Memory« startet mit einer Szene aus der Zukunft, bevor die Geschichte von Anfang an erzählt wird. »Silence« dagegen erzählt chronologisch und geht am Ende auf die Vorgeschichte ein. Beides erzeugt Spannung und Abwechslung.
Hier unterscheidet sich »I Was a Child of Holocaust Survivors« von den anderen beiden Filmen. Nicht nur werden hier die schwarzweißen und farbigen Ebenen weniger strukturiert benutzt, auch die Protagonistin springt häufiger in die Zukunft und die Vergangenheit. Gleich am Anfang starten wir mit drei Szenen, die im Laufe des Filmes zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgelöst werden. Außerdem werden uns im Laufe des Filmes die beiden Vorgeschichten der Eltern erzählt. Auch diese Struktur führt zu Spannung und Abwechslung, doch es wird gleichzeitig schwieriger nachzuvollziehen. Diese Sprünge könnten als Ausdruck der Protagonistin gesehen werden, die sich auf die Suche nach Antworten begibt.
»# Stolen Memory« schafft es in sehr kurzer Zeit viele Informationen zu vermitteln – verpasst aber die Chance mit Pausen die Emotionen wirken und die Bilder für sich sprechen zu lassen. Anhand der Dichte des Gesprochenen erkennt man, dass die Protagonistin in »Silence« weniger spricht als in den anderen Filmen. Das führt dazu, dass der Film dem Gesprochenen mehr Raum gibt und emotionaler wirkt, während in »I Was a Child of Holocaust Survivors« sehr häufig und in »# Stolen Memory« fast durchgehend gesprochen wird.
Der Blick auf den Aufbau der Filme lässt die Unterschiede in Struktur und Narrationen erkennen. »# Stolen Memory« besteht aus drei Filmen, die dem gleichen Muster folgen – daher habe ich exemplarisch »Johannes« ausgewählt und behandelt.
Zunächst fallen die verschiedenen Längen von »I Was a Child of Holocaust Survivors«, »Silence« und »# Stolen Memory« auf. Alle drei Filme erzählen die Geschichten einer einzigen Person. »# Stolen Memory« schafft dies in sehr viel kürzerer Zeit, geht aber dementsprechend weniger tief in die Geschichten ein. »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« nehmen sich dreimal, b z w. viermal länger Zeit, um die Themen zu behandeln.
»# Stolen Memory« und »Silence« haben eine sehr ähnliche Erzählstruktur. Beide Filme beginnen mit dem Titel, fahren mit Schwarzweiß-Animationen fort, wechseln zum Zeitpunkt der Befreiung zu Farbe und enden auf Realbild, gefolgt vom Abspann. »# Stolen Memory« startet mit einer Szene aus der Zukunft, bevor die Geschichte von Anfang an erzählt wird. »Silence« dagegen erzählt chronologisch und geht am Ende auf die Vorgeschichte ein. Beides erzeugt Spannung und Abwechslung.
Hier unterscheidet sich »I Was a Child of Holocaust Survivors« von den anderen beiden Filmen. Nicht nur werden hier die schwarzweißen und farbigen Ebenen weniger strukturiert benutzt, auch die Protagonistin springt häufiger in die Zukunft und die Vergangenheit. Gleich am Anfang starten wir mit drei Szenen, die im Laufe des Filmes zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgelöst werden. Außerdem werden uns im Laufe des Filmes die beiden Vorgeschichten der Eltern erzählt. Auch diese Struktur führt zu Spannung und Abwechslung, doch es wird gleichzeitig schwieriger nachzuvollziehen. Diese Sprünge könnten als Ausdruck der Protagonistin gesehen werden, die sich auf die Suche nach Antworten begibt.
»# Stolen Memory« schafft es in sehr kurzer Zeit viele Informationen zu vermitteln – verpasst aber die Chance mit Pausen die Emotionen wirken und die Bilder für sich sprechen zu lassen. Anhand der Dichte des Gesprochenen erkennt man, dass die Protagonistin in »Silence« weniger spricht als in den anderen Filmen. Das führt dazu, dass der Film dem Gesprochenen mehr Raum gibt und emotionaler wirkt, während in »I Was a Child of Holocaust Survivors« sehr häufig und in »# Stolen Memory« fast durchgehend gesprochen wird.
Alle drei Filme beschäftigen sich mit der Geschichte vom Holocaut gezeichneter Menschen. In »Silence« und »# Stolen Memory« aus erster Hand und in »I Was a Child of Holocaust Survivors« aus der Sicht der darauffolgenden Generation. Alle drei Filme werden aus der Ich-Perspektive erzählt und erzeugen damit eine Identifikation mit den Charakteren. Die Originalstimmen der Protagonistinnen von »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« verleihen den Filmen mehr Authentizität als die Sprecher von »# Stolen Memory«, was im Falle von »I Was a Child of Holocaust Survivors« und »Silence« zu einer höheren Glaubwürdigkeit und Identifikation führt.
Die Verwendung von Schwarzweiß und Farbe trennen die schrecklichen Vergangenheiten von der Gegenwart – wobei »I Was a Child of Holocaust Survivors« weniger konsequent ist und unstrukturierter wirkt. Dies ist bei allen drei Filmen ein geeignetes Mittel um die Schwere der Vergangenheit darzustellen.
Der Akt der Vernichtung wird in keinem Film direkt sichtbar gemacht. Der Tod wird durch die Bilder, die Symbolik und die Stimmen ausgedrückt. Das zeigt, dass es nicht nötig ist die Brutalität implizit darzustellen, um einen funktionierenden Film über den Holocaust zu machen.
»Silence« zeigt, dass es sinnvoll sein kann Sprechpausen zu schaffen, damit Emotionen mehr Raum bekommen und stärker wirken. Außerdem ist es sinnvoll die Filme mit einem bedrückenden Gefühl zu beenden. Nach »# Stolen Memory« könnte teilweise ein » Schlussstrich-Empfinden « entstehen, das den Holocaust unvollständig darstellen könnte.
In Auschwitz ( poln. Oświęcim ) entstand ein Konzentrations- und Vernichtungslager, das zur Ausbeutung der Arbeitskräfte der Häftlinge und zu dessen Tötung durch verschiedene Methoden verwendet wurde. Da die deutschen Konzentrationslager nicht ausgereicht haben, entschied man sich, in Auschwitz ein weiteres Lager zu öffnen. Die bereits vorhandenen Kasernen und die Eisenbahnverbindung boten eine gute Grundlage. Am 20. Mai 1940 wurden die ersten 30 Funktionshäftlinge nach Auschwitz gebracht. Nach dem Ausbau von Auschwitz II und im Rahmen der » Endlösung der Judenfrage « startete 1942 die systematische Massenvernichtung. Bis 1945 wurden in die Lager in Auschwitz mindestens 1,1 Millionen Juden, 140 000 Polen, 20 000 Sinti und Roma und 10 000 sowjetische Kriegsgefangene deportiert und in den meisten Fällen direkt oder nach einiger Zeit umgebracht. Die SS tötete nicht nur mit Vergasungen, sondern exekutierten Menschen an der » Schwarzen Wand «, prügelten oder folterten sie zu Tode, ließen die Menschen verhungern, Krankheiten brachen aus, sie ließen die Menschen erfrieren oder führten pseudowissentschaftliche Experimente an ihnen durch. Die SS-Angehörigen führten derweil ein normales Lebens außerhalb des Lagers. Im Schnitt wurden 3 000 bis 4 000 SS-Angehörige eingesetzt. Im Juli 1944 befreiten sowjetische Truppen ein weiter im Osten gelegenes Lager, woraufhin die Hälfte der 155 000 dort lebenden Menschen zu » Todesmärschen « in andere Konzentrationslager gebracht wurden. Den Marsch und die Lager überlebten nur wenige. Ende 1944 wurden bei den letzten Vergasungen 40 000 umgebracht, bevor die SS versuchte das Lager und die Beweise zu vernichten. Mitte Januar 1945 gab es die letzten Todesmärsche und am 27. Januar 1945 wurden die verblieben 7 000 Menschen von sowjetischen Truppen befreit.
Ein Gesetz im Jahre 1951 erlaubte es 55 000 ehemaligen NS-Beamten, die von den Alliierten zuvor vom Dienst entfernt wurden, eine Rückkehr in den Staatsdienst. Gleichzeitig führte ein gewisses Solidarisieren in der Politik mit den Kriegsverbrechern zu einer Schlussstrich-Mentalität im Bezug auf die Vergangenheitsbewältigung.
Deutsche Politik, Kirchenvertreter und Interessenverbände schafften in der breiten Öffentlichkeit den Eindruck, dass die weitere Verfolgung der NS-Verbrecher nicht mehr notwendig sei. Die Strafverfolgung war geprägt von Verdrängung und Schuldabwehr. Die Täter galten als brave, resozialisierte Mitbürger.
Am 1. März 1958 erstatte der ehemalige Konzentrationslager-Häftling Adolf Rögner eine Strafanzeige gegen Wilhelm Boger, der zu dieser Zeit unbehelligt in Deutschland lebte und während des Dritten Reiches SS-Oberscharführer und Angehöriger der Politischen Abteilung von Auschwitz war. Mit Unterstützung des Internationalen Auschwitz Komitees und insbesondere Hermann Langbeins, gelang die Einleitung des Verfahrens gegen Boger und 18 weitere SS-Angehörige.
In etwa zur gleichen Zeit sendete der Journalist Thomas Gnielka Dokumente, die von dem Überlebenden Emil Wulkan erhalten hatte, dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zu. Diese Dokumente enthielten Informationen über auf » der Flucht « erschossene Häftlinge in Auschwitz und die Namen der SS-Männer. Dies war der Anlass dafür, dass das Boger-Verfahren nach Frankfurt abgegeben wurde. Nach zwei Jahren Ermittlung stellte die Strafverfolgungsbehörde im Juli 1961 » Antrag auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung «. Die nun 24 Beschuldigten galten als Mittäter und Gehilfen und waren ein » Querschnitt durch das Konzentrationslager [ ... ] vom Kommandanten bis zum Häftlingskapo «. Der Prozess wurde auch als notwendige politische Aufklärung verstanden.
Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess begann am 20. Dezember 1963. Zwei der Angeklagten verstarben noch vor Beginn des Prozesses, sodass das Schwurgericht nach 181 Verhandlungstagen am 19. August 1965 sein Urteil über die 20 Beschuldigten sprach. Es wurden 360 Zeug:innen, von denen 211 Überlebende von Auschwitz waren, gehört.
Zu lebenslangem Zuchthaus wegen befehlslos begangenen Mordes und wegen auf Befehl verübten gemeinschaftlichen Mordes wurden fünf Angeklagte verurteilt. Ebenso der Funktionshäftling Emil Bednarek wegen eigenmächtiger Tötungen. Hans Stark war zur Tatzeit unter 21 Jahre und bekam wegen gemeinschaftlicher Morde zehn Jahre Jugendstrafe. Zehn Angeklagte wurden als Tatgehilfen eingeordnet und bekamen wegen geimeinschaftlicher Beihilfe zum Mord Freiheitsstrafen zwischen dreieinviertel und 14 Jahren. Drei Angeklagte wurden mangels Beweise freigesprochen.
Das Schwurgericht urteilte nur nach Feststellung der einzelnen Taten, dessen Urteile konkrete Einzelnachweise erforderten und widersprach damit den Vorstellungen von Fritz Bauer, der den Vernichtungsprozess als eine einzelne Tat bewertete. Allein die Unterstützung der Vernichtungsmaschinerie hätte nach Bauers Vorstellungen ausgereicht, um verurteilt werden zu können.
Im Gegensatz zum Bundesgerichtshof sah der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess aus einer anderen juristischen Perspektive. Die Tatrichter versuchten jede einzelne Tat, jede Selektion und jede Exekution als eine einzelne selbstständige Handlung abzuurteilen und verurteilten die Angeklagten nach Feststellung der Tatsachen.
Fritz Bauer hingegen sah die Geschehnisse in Auschwitz in ihrer Gesamtheit als eine einzelne Tat. Mit der Wannseekonferenz und dem Beschluss der » Endlösung Judenfrage « machte sich jede und jeder, der oder die an dieser Vernichtung beteiligt war, verantwortlich und würde als Täter:in oder Mittäter:in gelten.
Für Bauer war nicht die Strafe der Täter:innen von Bedeutung. Es war die Tat an sich, die festgestellt werden sollte. Das Prinzip der Vergeltung war für ihn undemokratisch, galt als ein » inhumanes «, » autoritäres Relikt « aus der Vergangenheit. Die Strafe war nicht von Wichtigkeit, sondern die erzieherischen Lehren und die Sachaufklärung, die die Prozesse mit sich bringen. Er sah es als einen »Akt der Resozialisierung « und schlussfolgerte aus dem nicht-Bekennen der Täter zur Tat, dass deren Anpassung an die Gesellschaft noch nicht erfolgt sei. Zu dem » Erziehungsidealismus «, zu dem er sich bekannte, gehörte die Bereitschaft zur Anerkennung der Notwendigkeit die Täter zu resozialisieren. Nur daraus könne sich ein Umdenken in der Bevölkerung ergeben. Bauer wollte die » Pflicht zum Ungehorsam « und zum » Nein gegenüber staatlichem Unrecht « lehren.
Den Mut sich gegen die deutsche Bevölkerung zu stellen, die die alten Wunden ruhen lassen wollten, um Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, um eine bessere Gegenwart und zu Zukunft schaffen zu wollen, in der solche schrecklichen Taten sich nicht wiederholen, empfinde ich auch heute noch als notwendig.
Mit dem Urteil vom Münchner Landgericht im Jahr 2011 gegen den NS-Täter John Demjanjuk wurde die Rechtsauffassung von Bauer erstmals aufgegriffen. Der individuelle Tatnachweis – der im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess essenziell war – war nicht notwendig, um Demjanjuk zu fünf Jahren Haft zu verurteilen. Diese Verfahren gegen die NS-Täter in der heutigen Zeit rufen bei manchen, im Bezug auf das hohe Alter der Angeklagten, Unverständnis hervor, doch das Streben nach einer Zukunft ohne nazistisches Gedankengut und die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als Teil einer deutschen Identität ist auch heute noch wichtig und relevant. Nicht nur weil die Zahlen der rechtsextremen und antisemitischen Gewaltdelikte zunehmen, sondern auch weil das Unverständnis für die Verfolgung der Täter heutzutage an die » Schlussstrichmentalität « zur Zeit des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses erinnert. Gegen diese Mentalität hat sich Fritz Bauer zu Lebzeiten gewehrt. Dies macht diesen Prozess auch heute noch aktuell und die Aufklärung und Auseinandersetzung notwendig.
Die Aussagen der Überlebenden sind der Kern des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Die Erlebnisse, die sie in dem Prozess geschildert haben, geben uns wichtige Einblicke in die Vorgänge der Vernichtung und die schlimmen Ereignisse, die sie erleben mussten. Durch Ihre Aussagen wird die deutsche Gesellschaft mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert.
Die Zeug:innen waren aus vielen verschiedenen Ländern angereist, um im Prozess aussagen zu können. Es war für viele nicht leicht in das Täterland zurückzukehren, doch der Prozess war eine Gelegenheit der deutschen Bevölkerung einen Spiegel vorzuhalten. Einige, die nur gebrochen Deutsch sprachen und eigentlich eine:n Dolmetscher:in zur Verfügung hatten, entschieden sich bewusst dafür auf Deutsch auszusagen, um die Menschen direkt erreichen zu können. Das war für sie wichtig und offenbarte ihre teilweise politisch-gesellschaftlichen Absichten.
In meiner Arbeit möchte ich die Aufmerksamkeit vor allem auf diese Menschen richten.
Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess bietet 430-Stunden Tonbandaufnahmen von Richtern, Tätern und Zeug:innen. Ein kurzer animierter Ausschnitt kann unmöglich den ganzen Umfang des Prozesses wiedergeben. Es ist nötig eine Auswahl zu treffen, die einen beispielhaften Einblick in die Prozesse gibt, aber trotzdem in sich als eigenständiger Film funktionieren kann.
Die Tatsache, dass die Täter während der Zeug:innenaussagen anwesend waren und Gegenaussagen lieferten, ist aus dramaturgischer Sicht wertvoll. Durch die Konfrontationen entsteht eine Spannung und verdeutlicht gleichzeitig, wie schwierig es für die Zeug:innen gewesen sein muss, dort auszusagen. Mir ist es dennoch wichtig den Fokus nicht auf die Täter zu richten, weil ich die Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt stellen möchte.
Das Buch »Landschaften der Metropole des Todes« »: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft« von Otto Dov Kulka bietet einen wertvollen Einblick in die Erinnerungen eines Auschwitz Überlebenden. Kulka war beim ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess Zeuge, dessen Aussage auf Tonband verfügbar ist. In seinem Buch erzählt Kulka von dem Todesmarsch, als Auschwitz aufgelöst wurde und findet eindrückliche Metaphern für seine Erinnerungen. In der Zeugenaussage auf Tonband spricht Kulka von eben dieser Episode aus Auschwitz. Er erzählt von dem Angeklagten Stefan Baretzki, der einen Häftling liegen gelassen und erschossen haben soll, was Baretzki bestreitet.
Diese Konfrontation zwischen Zeuge und Angeklagter, in Kombination mit Kulkas wertvollen Einblicken in genau diese Erinnerung, bieten einen guten Ansatzpunkt für den Animationsfilm.
» Es war ein verregneter Sommertag, nicht besonders kalt, sondern ein ununterbrochenes lästiges Nieseln – eine Mischung aus Nebel und feuchter Sicht und völlig schweigend. Wie ein so lästiger Regen schweigen kann.
Nachdem der Fahrer den Wagen geparkt hatte, ging ich die Schienen entlang, zwischen den Gleisen, dort, wo Gras wuchs, durch das Tor. Zum zweiten Mal, aber diesmal zu Fuß. Selbstständig. «
»Wie ein so lästiger Regen schweigen kann« ist der Titel meines Filmes. Dieses Zitat stammt von Otto Dov Kulka, als er seine Wiederkehr nach Auschwitz beschreibt. Diese Stille und diese Leere machten ihn fassungslos, dass solch ein Ort schweigen kann. Einst ein Vernichtungslager, in dem 1,1 Millionen Menschen getötet wurden und nun eine » Gräberlandschaft «, die schweigt.
Gleichzeitig lassen sich die Worte » Wie ein so lästiger Regen schweigen kann «» «auf die Angeklagten des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess und die deutsche Bevölkerung zur Zeit des Prozesses übertragen. Es herrschte ein kollektives Schweigen. Die Täter von Auschwitz mussten bis dahin meist keine rechtlichen Konsequenzen befürchten und waren in der Bevölkerungen weitestgehend akzeptiert. Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess war ein wichtiger juristischer und gesellschaftlicher Prozess, der dazu beigetragen hat, dass dieses Schweigen gebrochen wurde.
Als Otto Dov Kulka mit 11 Jahren den Todesmarsch von Auschwitz nach Groß-Rosen antreten musste, sieht er einen Häftling, der mit einem gebrochenem Bein auf Befehl des Angeklagten Baretzki liegen gelassen und wahrscheinlich erschossen wird. Anders als dieser Unbekannte Häftling, schaffte es Kulka auf unwahrscheinliche Weise dem Tod zu entkommen.
19 Jahre später sagte er neben 210 weiteren Überlebenden von Auschwitz gegen 20 Angeklagte ehemalige SS-Bedienstete aus und beteiligte sich damit an einem Prozess, der die deutsche Bevölkerung mit ihrer Vergangenheit konfrontierte und dem Schweigen eine Stimme gab.
Die originale Tonbandaufnahme von Otto Dov Kulka am 71. Verhandlungstag vom 30.7.1964 ist c a. 143 Minuten lang. Der Bericht von dem Todesmarsch ist nur ein kleiner Teil der Aussage und dauert in etwa drei Minuten. Zusammen mit der Aussage des Angeklagten und einigen dramaturgischen Pausen dauert die Aufnahme in etwa vier Minuten.
Die erzählerische Ebene befindet sich zum einen in der Gegenwart – also die Situation im Gerichtssaal – und zum anderen in der Vergangenheit – also der Todesmarsch von dem Kulka berichtet. Die Gegenwart repräsentiert den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess und soll die eher bürokratische und teilweise emotionslose Atmosphäre widerspiegeln. Die Vergangenheit zeigt den Todesmarsch und richtet sich nach den von Verdrängung geprägten Erinnerungen aus Kulkas Buch. Diese Unterteilung habe ich in zwei Stile eingeteilt : digitaler Linolschnitt verdeutlicht mit dessen klaren und flächigen Formen den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess und freie, digitale Aquarell-Illustrationen stellen den Todesmarsch dar.
Text On-Screen:
» Die Farbe ist die Farbe der Kindheit, eine Farbe der Unschuld, eine Farbe der Schönheit. Und auch das ist ein unabänderliches Gesetz, aus dem es kein Entrinnen gibt. Man entrinnt der Schönheit nicht, dem Gefühl der Schönheit, auf dem Höhepunkt und inmitten des Großen Todes, der alles beherrscht. «Kulka, Otto Dov
Tonaufnahme:
Vorsitzender Richter:
Herr Kulka, sind Sie damit einverstanden, dass wir Ihre Aussage auf ein Tonband nehmen zur Stützung des Gedächtnisses des Gerichts?
Zeuge Otto Dov Kulka:
Ja, ich bin damit einverstanden.
Vorsitzender Richter:
Einverstanden.
Sie sind von Theresienstadt nach Auschwitz gekommen, nachdem Sie im Herbst ’42 mit Ihrer Mutter zusammen nach Theresienstadt gekommen sind.
Zeuge Otto Dov Kulka:
Ja, das ist wahr.
Vorsitzender Richter:
Das ist wahr.
Pause
Vorsitzender Richter:
Also um das noch mal festzulegen : Sie haben bei dem Todesmarsch, das heißt bei dem Marsch von Auschwitz nach Groß-Rosen ...
Zeuge Otto Dov Kulka:
Das war in der Richtung der polnischen Stadt Pless und der mährischen Stadt Troppau. Die Stadt Pless – das war der Tag nach der ersten Nacht, nachdem wir aus dem Lager gegangen sind. Damals waren meine Kräfte schon beinahe zu Ende, und ich näherte mich den letzten Reihen der Häftlinge. Und wir wussten ja, dass die Letzten getötet wurden durch die SS, die hinter uns gingen. Es war, wie ich schon gesagt habe, der erste Tag – es könnte der 19. Januar sein –, als einer der Häftlinge seinen Fuß gebrochen hat.
Vorsitzender Richter:
Ja.
Zeuge Otto Dov Kulka:
Und die anderen Häftlinge wollten ihn mitschleppen. Und in der Gruppe der zwei oder drei SS-Wächter, die hinter uns, hinter der letzten Reihe gegangen sind, war der Baretzki, der es verboten hat und befahl, den Häftling mit seinem gebrochenen Fuß dort liegenzulassen. Ich bin sicher, daß er ihn gleich danach erschossen hat, weil es anders nicht sein konnte.
Pause
Vorsitzender Richter:
Baretzki?
Angeklagter Baretzki:
Herr Vorsitzender, ich will nur dazu sagen, beim Fußmarsch war ich nicht dabei. Ich bin vorher mit einem Transport nach Dachau gefahren.
Vorsitzender Richter:
Also, Herr Zeuge, der Angeklagte Baretzki sagt, er sei bei dem Rückmarsch gar nicht mehr dort gewesen. Haben Sie das gehört?
Zeuge Otto Dov Kulka:
Ja. Ich kann nichts anderes machen, als meine Worte bestätigen. [sic]
Vorsitzender Richter:
Also Sie haben gesehen, dass Baretzki hinter Ihrem Zug herging, und Sie wissen auch, dass ein Mithäftling, der sich den Fuß gebrochen hatte …
Zeuge Otto Dov Kulka:
Ja.
Vorsitzender Richter:
… konnte nicht gehen, der blieb zurück, und Baretzki hat angeordnet, dass er liegengelassen werden sollte.
Zeuge Otto Dov Kulka:
Und das war ganz klar, was es bedeutet.
Vorsitzender Richter:
Und das war Baretzki, und da irren Sie sich nicht in der Person?
Zeuge Otto Dov Kulka:
Meinem Gewissen nach nicht.
Vorsitzender Richter:
Nicht.
Text On-Screen:
211 Überlebende aus Auschwitz sagten als Zeug:innen beim 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 aus.
Zur Gedächtnisstütze wurden viele Aussagen auf Tonband aufgenommen.
Durch einige Initiativen und Zufälle blieben diese 430 Stunden langen Tonbänder bis heute erhalten.
Sie gelten als einer der wichtigsten Zeitdokumente der NS-Zeit.
Vor Gericht standen 20 Angeklagte, die in Auschwitz Dienst hatten. Die Urteile lauteten: sechs lebenslange Zuchthausstrafe, elf Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und vierzehn Jahren und drei Freisprüche.
Otto Dov Kulka war zehn Jahre alt, als er nach Auschwitz deportierte wurde.
Er arbeitet als Historiker in Jerusalem.
Die Ebene des Todesmarsches , von der Kulka berichtet, visualisiere ich eher frei und weniger detailgetreu. Kulkas Erinnerungen liegen 20 Jahre zurück und wurden wahrscheinlich mit der Zeit verzerrt und sind von Verdrängung geprägt. In den Kapiteln zuvor habe ich gelernt, dass es wichtig ist, den Holocaust nicht ein falsches Licht zu rücken. Indem ich erst gar nicht versuche den Todesmarsch realitätsgetreu zu illustrieren, vermeide ich es diesen falsch darzustellen und überlasse die Konkretheit Kulka selbst, der uns auf der tonlichen Ebene davon berichtet.
Gleichzeitig kann ein unindividueller Charakter dazu führen, dass man sich mit diesem identifiziert, was wünschenswert ist. Außerdem steht dieser Charakter für eine sehr große Menge an Menschen, die in Auschwitz und auf dem Todesmarsch waren und Ähnliches erleben mussten.
Im großen Kontrast steht die Ebene des Gerichtsprozesses, der sehr gut dokumentiert ist. Hier kann ich mir erlauben Kulka, den Richter und die Angeklagten detailgetreuer darzustellen. Es gibt zahlreiche Bilder von den Personen und den Gerichtssälen. Diese Ebene ist keine Erinnerung, sondern die Gegenwart.
Hier habe ich mit verschiedenen Stilen und Graden an Detailliertheit experimentiert. Letztendlich entschied ich mich für den ( digitalen ) Linolschnitt. Die Ästhetik von Linolschnitt verdeutlicht mit seinen klaren Formen und Kanten die bürokratische, unemotionale Seite des Prozesses. Dadurch, dass es digital recht schnell zu zeichnen ist, bietet mir das eine gute Grundlage für die Animation.
Ebene 1: Gegenwart, der Prozess
Mit dem Stil des Linolschnittes bin ich sehr zufrieden. Im Hintergrund habe ich eine karierte Textur gelegt, die den bürokratischen Charakter des Gerichtsprozesses weiterhin verstärkt. Die Farben in dieser Ebene beschränken sich auf Schwarz, Rot und Weiß. Dies soll sich von den Illustrationen des Todesmarsches abgrenzen. Außerdem lege ich offen, dass es sich um etwas digitales handelt, indem Glitch-Effekte in passenden Szenen eingesetzt werden. So kopiere ich nicht nur die Ästethik des Linolschnitts, sondern ergänze sie mit den digitalen Mitteln.
Das Animieren findet zwischen »Photoshop«, »After Effects« und »Toon Boom Harmony« statt. Illustrieren und das hinzufügen von Texturen funktioniert gut in Photoshop. Einfache Animationen lassen sich in »After Effects «animieren und kompliziertere mit Cel-Animation in »Toon Boom Harmony«.
Ebene 2: Vergangenheit, der Todesmarsch
Die Illustrationen basieren auf den Erzählungen aus Kulkas Buch. Dort spricht er z. B. von dem Todesmarsch, der wie » eine Reise menschlicher Flüsse war « und die Toten Menschen am Wegesrand wie » tropfender Tod auf weißem Schnee « war. Außerdem schreibt er von dem besonderen »Blau« des Himmels in Auschwitz, das für ihn immer » das einzige wirkliche Blau, das jede andere Farbe übertrifft «, sein wird. Möglicherweise zeigen sich hier die kindlichen Verdrängungen und der Prozess der Reflexion und Erinnerung an die grausame Zeit in Auschwitz. Denn er beschreibt die Farbe weiter als » Farbe des Vergessens «. Diese Bilder, die er kreiert, versuche ich mit den Illustrationen zu verdeutlichen. Diese Informationen kommen aus der Zeugenaussage von Kulka nicht hervor und werden nur auf der visuellen Ebene behandelt. Mein eigener persönlicher Stil kommt in den Illustrationen ebenfalls zum Vorschein.
Der Film beginnt in einer blauen Fläche, aus der ein » Wesen « erscheint, das erschöpft umher irrt. Wir sehen dessen entgeisterten Augen, bevor sie sich in Kulkas Gesicht verwandeln. Der Richter beginnt den Prozess und wir befinden uns in dem Gerichtsprozess.
Diese blaue Welt soll Kulkas Erinnerungen darstellen und das Wesen und der Morph stellen Kulka als Charakter vor. Außerdem soll der Anfang den bedrückenden Ton des Filmes etablieren.
Der Richter erscheint On-Screen und der Titel des Filmes wird eingeblendet. Kulka wird nach dem Todesmarsch gefragt und wir zoomen tief in seine Augen – zurück in die Erinnerungen. Es ist eine ganze Kolonne von » Wesen « zu sehen, die sich einen » Fluss « verwandeln. Kulka erzählt von dem Häftling, der von dem SS-Mann » Baretzki « erschossen wurde, während eher abstrakte Formen das Geschehen visualisieren.
In einer Sprechpause erscheint ein qualmendes Licht, das kurz darauf zum Erlöschen gebracht wird. Der Beschuldigte Baretzki meldet sich zu Wort und behauptet, er wäre bei dem Todesmarsch nicht dabei gewesen. Wir befinden uns wieder im Gerichtssaal und sehen Baretzki. Er wird umgeben von den anderen Angeklagten. Kulka verteidigt seine Aussage und erscheint im Vordergrund. Der Richter rekapituliert das Geschilderte und Kulka teilt sich in entzwei. Er bestätigt seine Aussage erneut, während wir auf seine Augen zoomen und mit dem Bild vom Anfang zurückgelassen werden. Es folgen Informationen zum dem Prozess bevor der Abspann erscheint.
Der Tod des unbekannten Häftlings stellt den tragischen » Höhepunkt « des Filmes dar. Auf der visuellen Ebene soll das » Licht « und dessen Erlöschen den Tod symbolisieren. Durch die Redepause soll dieser » Höhepunkt « hervorgehoben werden. Der Schnitt auf den Angeklagten Baretzki stellt ihn damit in Verbindung. Seine silhouettenhafte Darstellung soll Spannung erzeugen und gleichzeitig nicht zu detailliert zeigen, damit der Fokus bei Kulka bleibt. Das entzwei Teilen und der Zoom am Ende, sollen zeigen, wie schwierig und anstrengend es für die Zeugen gewesen sein muss. Sie mussten vor all den Angeklagten sprechen und sich verteidigen, während sie weder Reue noch Schuld einstanden.
Die Informationen am Ende geben dem Film einen historischen Kontext und verdeutlichen, worum es sich genau handelte.
Die zuvor analysierten Werke haben mir einen wertvollen Überblick über die Möglichkeiten der Darstellung des Holocaust vermittelt.
»Nacht und Nebel« benutzt Archivaufnahmen vom Elend des Holocaust, welche sehr eindrücklich ist und zu der Zeit der Enstehung des Films, 1955, vermutlich stärker wirkten als heute. Das verdeutlichen alle anderen Werke, die ich mir in dieser Arbeit angeschaut habe. Insbesondere »Shoa« schafft es nur durch die Interviews der Überlebenden die Gräuel der Konzentrationslager darzustellen. Aber auch die Animationsfilme benötigen keine Archivaufnahmen der Opfer von Auschwitz, um wirkungsvoll zu sein. Spiegelman stellt in »Maus «diese Gräuel » nur « als Handlung dar und nicht als Folge und ist damit etwas expliziter als »Shoa« und die drei Animationsfilme.
Bis auf zwei der drei Filme in »#« »Stolen« »Memories« werden die Werke mit einem bedrückendem Gefühl beendet. Das scheint im Bezug zu dem unglaublichem Leid des Holocaust angebracht zu sein. Sonst könnte die Gefahr bestehen, den Holcoaust in ein falsches, zu positives Licht zu rücken.
»#« Stolen Memory zeigt mit den Sprecher:innen eine Möglichkeit, um Geschichten von bereits verstorben Personen zu erzählen, verliert dadurch allerdings an Wirkung, weil ein authentischer Moment verloren geht.
Jedes der Werke ( außer »Shoa «) besteht aus mehr als einer zeitlichen Ebene. Häufig werden Schwarzweiß- und Farbanimationen getrennt, um die Unterteilung zu verdeutlichen. Diese Ebenen können hilfreich sein, um die Vergangenheit den gegenwärtigen Perspektiven gegenüberzustellen.
Die Geschichten werden aus der Sicht der Opfer erzählt und befassen sich nur peripher mit den Täter:innen. Der Fokus wird auf das Leid der Betroffenen gerichtet und gibt diesen Menschen Aufmerksamkeit und eine Stimme.
Animation kann durch die Ästhetik und die Symbolik Gefühle zum Ausdruck bringen, die auf der tonlichen Ebene womöglich fehlen. Dennoch ist – wie auch in anderen Medien – Sensibilität und Sorgsamkeit beim Erstellen der Bilder geboten. Es braucht keine » Horror «-Elemente, um die Gräueltaten der Nationalsozialisten zu zeigen. Effektiv sind Metaphern und Andeutungen, die zur Interpretation anregen. So entstehen wirkungsvolle Bilder, ohne Gewalt oder Elend explizit darzustellen. Gleichzeitig könnte das die Möglichkeit bieten, Kinder und Jugendliche mit Animationsfilmen aufzuklären, weil Animationen zur besseren Aufnahmefähigkeit von Geschichten sorgen kann. Auch die eher neue Herangehensweise, ein anderes Medium als den Realfilm für die Darstellung des Holocaust zu verwenden, könnte neueren Generationen einen leichteren Zugang zu dem Thema verschaffen. Womöglich sind Realfilmdokumentationen zu häufig gesehen worden und verlieren damit an Wirkung.
Das macht »Wie ein so lästiger Regen schweigen kann« nicht zu einem Film, der sich ausschließlich an Kinder oder Jugendliche richtet, könnte aber unter Umständen gerade dort Ansehen finden.
Die analysierten Filme und der Comic verwenden häufig Symboliken und Metaphern, bleiben aber in der Darstellung konkret. »Wie ein so lästiger Regen schweigen kann« unterscheidet sich in der metaphorischen Darstellung dahingehend, dass die Visualität teilweise abstrakt ist und allein die Formen, Farbigkeit und Bewegungen die Gefühle des Protagonisten darstellen. Ich denke, dass das ein wirkungsvolles Mittel sein kann, um die Geschichte zu erzählen.
Diese Punkte geben mir Anlass zu behaupten, dass Animation als Mittel zur Darstellung des Holocaust geeignet ist. Es stellen sich die gleichen ethischen Fragen wie im Realfilm und es sollte sorgsam mit den Geschichten der Betroffenen umgegangen werden, doch Animation bietet einige Vorteile, die einen Film über den Holocaust zu einem besonderen Werk machen können.
Prof. Klaus Dufke
Prof. Sven Völker
Thea Sparmeier
Caroline von der Heiden
Johannes Beermann-Schön
Fritz Bauer Institut
Hessisches Landesarchiv
Friederike Goll
Anhang, Quellen, Literatur- und Abbildungsverzeichnus befinden sich im verlinketem PDF.