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Ein Resumée in der heutigen Zeit: Wie lesen wir Informationen?

Ein Resumée in der heutigen Zeit: Wie lesen wir Informationen?

Die vorliegende Arbeit geht der Fragestellung nach, wie sich durch die Digitalisierung angestoßene, gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse vollziehen und welche publizistische Macht ihre Wirkungsstärke entfalten. Auf welche Weise werden Informationen gelesen?

Vorwort

In meiner Kindheit wurde ich ermutigt, Informationen zu hinterfragen, die mir dargeboten wurden. „Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt bleibt dumm“, beschreibt es der Liedtext der Sesamstraße, mit dem manche Kinder aufwachsen und dazu motiviert werden, die Dinge zu hinterfragen. Die Welt mit all seinen Inhalten, die man sich Stück für Stück greifbarer macht.

Als Kind der 1990er Jahre besaßen meine Eltern einen Computer für alle Familienmitglieder, den ich nicht häufig genutzt habe. Das Internet war langsam. Ein Mobiltelefon, mit dem man damals nur Anrufe erhalten und Kurznachrichten verschicken konnte, bekam ich im fortgeschrittenen Jugendalter. All das war nicht sonderlich interessant für mich.

Denn ich habe mir die Welt nicht übermäßig durch das Nutzen von Technologien begreifbarer gemacht. Die „Welt“ erkundete ich vorrangig über Gespräche, Nachfragen und Ausprobieren.

Wenn ich jetzt in die Zeit meiner Kindheit zurückblicke, bin ich dankbar, mir viele Dinge und Sachverhalte auf diese analoge Weise zugänglich gemacht haben zu können. Überforderungstendenzen bei der Verarbeitung und Filterung von Informationen und Reizen, die über neue Technologien vermittelt werden, sind mir nicht fremd. Denn ich würde mich selbst zu einem Teil der Gruppe zuordnen, die ich in meiner Bachelorarbeit beschreibe, die in diesem digitalen Wandel von den täglichen Informationen und Reizen, die in der Nutzung mit den neuen Technologien auf uns einströmen, teilweise ge- und überfordert werden.

Habe ich vor zwei Jahren noch täglich die Tageszeitung gelesen, so lese ich derzeit nur noch ausgewählte Artikel und verbringe auch Tage ohne den Konsum von Nachrichten. Wie es die wissenschaftlichen Beobachtungen im Kapitel Informationsüberfluss und seine Auswirkungen zeigen, beeinflusste es auch mich, wenn ich täglich Schreckensnachrichten las und hinterließ ein Gefühl der Hilflosigkeit. Durch meine Bachelorarbeit konnte ich mir sowohl ein Verständnis für mich selbst erarbeiten, als auch erkennen, dass dies nicht nur ein Phänomen ist, welches sich bei mir selbst ausprägt, sondern auch bei anderen Menschen zu beobachten ist.

Durch mein Praktikum in der Artdirektion/Layout beim Printmedium Süddeutsche Zeitung im Rahmen des Studiums erhielt ich einen Einblick, wie die Informationsweitergabe an den Leser gestaltet wird.

Hierdurch entstand meine Motivation, auf Grundlage wissenschaftlicher Quellen unterschiedliche Kommunikations- und Darstellungsweisen sowie deren Wirkung auf die Informationsaufnahme und -verarbeitung zu untersuchen.

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1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit geht der Fragestellung nach, wie sich durch die Digitalisierung angestoßene, gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse vollziehen und welche publizistische Macht ihre Wirkungsstärke entfalten. Auf welche Weise werden Informationen gelesen? Über Begrifflichkeiten und Schlagwörter wie die Macht der Medien, Falschmeldungen und Lügenpresse wurde und wird viel debattiert. Doch wussten wir, welche psychologischen, sozialen Verhaltensweisen in der Fragestellung enthalten sind? Die vorliegende Ausarbeitung beleuchtet die Themenbereiche Technologie und Digitalisierung im medialen Kontext, psychologische Zusammenhänge bei der Informatiosverbreitung sowie den Einfluss der gestalterischen Elemente Fotografie, Infografik und Typographie. Die Arbeit verfolgt damit das Anliegen, die Vielschichtigkeit von Informationsübermittlung und -verarbeitung aufzuzeigen.

Laut einer Forschungsstudie der Johannes-Gutenberg Universität in Mainz zum Medienvertrauen der letzten Jahre brachten 2018 44 % der Deutschen den etablierten Medien Vertrauen und 22% Misstrauen entgegen. 34 % vertrauten diesen teils, teils1. Hingegen einer Umfrage von „de.statistika.com“ gaben im gleichen Jahr 75 % der Befragten Medienvertrauen an2.
Das Beispiel verdeutlicht, dass es differierende Aussagen zu einem Sachverhalt, bzw. einer Fragestellung gibt. Wir müssen auswählen, abwägen, Informationen hinterfragen und die Quellen prüfen, um uns eine Meinung bilden zu können. Hierbei ist auch die Fähigkeit wichtig, Widerspruch und Differenz bei der Darstellung von Sachverhalten auszuhalten. Diese Umstände können den Medienkonsumenten überfordern. Einige Nachrichtenanbieter/Medien bieten vereinfachte Darstellungen komplexer Sachverhalte.

Durch die digitale Vernetzung können wir auf breitgefächerte Informationen und Meinungen zurückgreifen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit möchte ich die Herausforderungen untersuchen, die die Digitalisierung mit sich bringt und welchen Einfluss diese auf uns und unser Verhalten im Umgang mit Informationen haben kann.

Die Arbeit untersucht Manipulationsänfälligkeiten beim Leser, in der Art, wie wir Informationen lesen und bezieht sich dabei auf wissenschaftliche Quellen, die deutlich machen, welche Taktiken dabei angewandt werden können. Des Weiteren geht sie auf die Art ein, wie Informationen gelesen werden. Die vorliegende Ausarbeitung verfolgt nicht das Ziel, zu polarisieren, Schuld zuzuweisen und den digitalen Wandel per se zu verurteilen, sondern möchte auf Grundlage wissenschaftlicher Literatur die oben benannten Aspekte beleuchten. Die Arbeit möchte aufklären, Achtsamkeit schaffen und verdeutlichen, dass es wichtig ist sich der teilweise unbewussten Mechanismen in uns und unserem Leseverhalten bewusst zu werden.
Die Bachelorarbeit hat den wissenschaftlichen Anspruch auf eine Zusammenführen von unterschiedlichen Themenbereichen, die die  Bachelorthese vielseitig beleuchten soll. Um der Frage wissenschaftlich ein Stück näher zu kommen: Wie lesen wir Informationen?

1.1 Vorgehensweise

Die Arbeit ist wie folgt gegliedert:

Im ersten Teil wird die Entwicklung der Digitalisierung in Deutschland umrissen um ein Bild davon zu schaffen in welcher technologischen Zeit wir uns als Menschen in Deutschland derzeit befinden.

Die Arbeit hat dabei den Anspruch darzustellen, wie die Veränderung des Informationseinflusses das Verhalten des Menschen beeinflussen kann und beschreibt die Hintergründe, warum es dazu führen kann, dass Menschen in einer zunehmenden, digitalen Welt überfordert sind von Informationen. Im Kapitel Entwicklung der Digitalisierung wird die Digitalisierung als grenzenloser Zugang zu Informationen dargestellt. Der mögliche Verlust an Interesse und Neugier an neuen Informationen soll als Reaktion des permanenten Informationsstroms untersucht werden. Die Verschiebung von einem damaligen Wissenshunger und einer Neugier nach Information, hin zu einer derzeitigen Selektierung in einem Zeitalter des grenzenlosen Zugangs zu Informationen wird anhand von Daten zu Technologiebesitz des Bürgers und seines digitalen Konsums verdeutlicht.

In den Kapiteln Digitale Sucht, Informationsüberfluss und seine Auswirkungen und Wirtschaftliche Interessen: Angst zahlt sich aus, werden gesellschaftliche Verhaltensphänome, die im Zusammenhang mit der Digitalisierung zu beobachten sind, kritisch beschrieben. Darin thematisierte Schwerpunkte sind: die Abhängigkeit zu sozialen Plattformen und die Identifikation der eigenen Person über die Darstellung auf diesen (Digitale Sucht), das Phänomen der psychologischen Hilflosigkeit durch den täglichen Einfluss von Schreckensnachrichten (Informationsüberfluss und seine Auswirkungen), als auch die evolutionäre Erklärung, warum schlechte Nachrichten sich in der Informationskultur besser verkaufen und welchen Stellenwert die Aufmerksamkeitsökologie dabei einnimmt (Wirtschaftliche Interessen: Angst zahlt sich aus).

Im Kapitel Problematische Verhaltensphänomene bei der Meinungsbildung gibt die Bachelorarbeit einen groben Überblick, welche Verhaltensmuster psychologisch zu beobachten sind, wie wir uns eine Meinung bilden. Das Themengebiet der frühkindlichen Prägung, in Bezug zur Entwicklung eines hinterfragendem Selbst, wird dabei keinen Raum finden, da es den Rahmen der Bachelorarbeit übersteigen würde. In diesem Kapitel stehen die Prozesse im Vordergrund, die bei der Meinungsbildung zu beobachten sind und welchen problematischen Einfluss die Digitalisierung dabei einnimmt. Mit dem Kapitel wird beleuchtet, wie Informationen selektiert und bewusst oder unbewusst aufgenommen werden können. Dieses Themengebiet soll auf das nachfolgende Kapitel vorbereiten: Wenn eine Selektion von Informationen unbewusst geschieht, wie Manipulationsmechanismen verstärkt Einfluss auf uns haben können.

Im Kapitel Mechanismen und manipulative Taktiken der Informationsvermittlung durch Medien werden in den unterschiedlichen Unterkapiteln die möglichen Taktiken der Manipulation gesammelt und beschrieben. Dabei werden wissenschaftliche Quellen herangezogen, die die Themen Frame-Semantik, Typografie, Infografik und Fotografie in ihrer manipulativen Informationsverbreitung untersuchen.

Die Zielsetzung dieser Bachelorarbeit ist, dazu anzuregen, komplexe Inhalte in ihrer Vielseitigkeit hinterfragen zu lernen und trotz des steigenden Daten- und Informationeinflusses der auf uns einwirkt, nicht müde zu werden wichtige Informationen zu recherchieren und ganzheitlich aufnehmen zu wollen. Dies hat zur Folge, dass wir den eigenen

Komfortbereich überschreiten und gegebenenfalls uns selbst oder Inhalte reflektiert betrachten. Die Arbeit soll dabei die komplexen Vernetzungen von digitalem Fortschritt (Entwicklung der Informationsverbreitung bis heute), Psychologie (Problematische Verhaltensphänomene bei der Meinungsbildung) und manipulativen Taktiken (Mechanismen und manipulative Taktiken der Informationsvermittlung durch Medien) strukturiert untersuchen und somit den Weg zur Erkenntnis unseres eigenen Verhaltens, als auch die Einwirkungen auf uns, durchschaubarer machen.

Das Resumée der Bachelorarbeit versucht einen Ansatz zu gestalten, wie der Leser bewusster im Umgang mit Informationen verfahren kann.

Im Kapitel Ableitung in der Corona-Krise werden die angeführten Ansätze aus dem Resumée auf die Informationsverbreitung in der Corona Pandemie in Deutschland von März - April 2020 angewandt.

Im Teil meiner schriftlichen Arbeit, der die künstlerisch, praktische Umsetzung meines Bachelors beschreibt, wird das Konzept vorgestellt, welches sich aus dem theoretischen Teil in einen kreativen Gestaltungsprozess ergeben hat.

Diese Bachelorarbeit basiert einerseits auf dem wissenschaftlich, theoretischen Heranziehen von Quellen, als auch auf der Auswertung einer Online-Umfrage, die 82 Teilnehmer zu unterschiedlichen Themenbereich in ihrem Verhalten zu Informationen befragt hat.

Beides bildet die Methode dieser Arbeit.

2. Entwicklung der Informationsverbreitung bis heute

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Wäre ein spanischer Bauer um das Jahr 1000 eingeschlafen und knapp 500 Jahre später zur Zeit von Christoph Columbus aufgewacht, hätte sich die Welt in der Zwischenzeit kaum verändert. Wäre jedoch ein Matrose von Columbus eingeschlafen und heute vom Klingeln eines Iphones geweckt worden, dann würde er die Welt nicht mehr verstehen“3.

Ein Großteil der Bevölkerung hat durch die Digitalisierung einen erweiterten Zugang zu Informationen bekommen, kann mit Freunden und Familie auf der ganzen Welt verbunden sein. Diese Vernetzung brachte soziale Entwicklungsprozesse mit sich.

Auf die Entwicklungsgeschichte der Welt blickend ist dies ein ziemlich kurzer Abschnitt, der uns diesen Fortschritt geschaffen hat. Wer hätte gedacht, dass die Umweltaktivistin Greta Thunberg, die im Jahr 2018 die Preisträgerin eines Schreibwettbewerbes wurde, ein Jahr später mit dem Alternativen Nobelpreis für ihre Klimaschutzbewegung „Fridays for future“ ausgezeichnet wird4.

Durch die Digitalisierung können wir Menschen erreichen, so wie es die Aktivistin Thunberg zeigt. Wir können Gedanken mitteilen, motivieren, kulturellen Austausch schaffen, befreien und bewegen. Wir können uns bilden und forschen, von anderen lernen und Mut machen. Digitalisierung ist ein Instrument, ein Mittel zur weltweiten Vernetzung. Unter

Digitalisierung wird die Umwandlung von Informationen in die elektronische Sprache der Bits und Bytes verstanden5. „Als gesellschaftspolitischer Begriff bezeichnet Digitalisierung einen umfassenden Wandel, der durch digitale Technologien (…) vorangetrieben wird und alle Lebensbereiche (…) umfasst“6.

Der US-amerikanische Technikhistoriker Melvin Kranzberg formuliert es folgend: „Technology is neither good nor bad; nor is it neutral. Technology’s interaction with the social ecology is such that technical developments frequently have environmental, social, and human consequences that go far beyond the immediate purposes of the technical devices and practices themselves“7. Seine Aussage verdeutlicht die Interaktion zwischen technologischer Entwicklung und sozialen, ökologischen und psychologischen Prozessen. Die Nutzung technischer Mediengeräte führt zu Konsequenzen, die weit über deren unmittelbaren Zweck der technischen Geräte und Praktiken selbst hinausgehen.

Haben wir es gelernt, mit dem von uns geschaffenen Werkzeug umzugehen?

Melvin Kranzberg entwickelte seine These 1986 und ist damit dem Beginn der Digitalisierung um vier Jahre voraus. Denn der Beginn des digitalen Zeitalteralter wird datiert auf das Jahr 19908 und fand dort den Anfang mit dem Word wide web und dem Internet. 1990 ebnete somit den Beginn jener Vernetzung und den potenziellen, weltweiten Informationszugang9.

Diese Evolutionsstufe dauerte bis 2000 und beschäftigte sich mit der Vernetzung von Computern. Erst in der zweiten Evolutionsstufe von ca. 2000 – ca. 2015 ging es primär um eine allgemeine Akzeptanz und alltägliche Einführung und Nutzung mobiler Geräte. „Die jetzt vor uns liegende dritte Evolutionsstufe, deren Dauer Experten von ca. 2015 – 2030 veranschlagen, hat Themen wie allgemeine Reife der Systeme und das Internet der Dinge im Fokus. Mit der vierten Evolutionsstufe, ab ca. 2030 soll es zu einer vollkommenen Verschmelzung der realen und digitalen vernetzten Welt kommen“10.

Anhand dieser Daten wird deutlich, dass sich innerhalb von 30 Jahren der Umgang mit digitalen/technischen Medien rasant verändert hat. Der technologische Fortschritt ist schnell. So nutzen das Internet in Deutschland im Jahr 2013 bereits 98 % der 14- bis 24-Jährigen.

Bereits 85 % der 12-Jährigen bedienen ein Smartphone und bewegen sich im Durchschnitt 59 min pro Tag im Internet, in den sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter & Co11.

Durch die von mir geführte Online-Umfrage von 82 Personen wurde deutlich, dass viele der Befragten in einem jungen Alter mit einem Handy oder Computer aufwachsen. 39% (32 Personen) der Befragten gaben an, ein Handy oder Computer bereits im Alter von 10-15 Jahren besessen zu haben. 33,3% (27 Personen) waren im Besitz eines solchen Gerätes im Alter 15-20 Jahren. Auf die Frage, wie viel Zeit sie am Handy täglich verbringen, nicht im Bezug zur Arbeit, lag der Wert hauptsächlich, mit 31,7% (26 Personen), bei 1-2 Stunden täglich. 28% (23 Personen) gaben eine Bildschirmzeit von 2-3 Stunden täglich an.

Wenn im Vergleich ein klassisches Telefon seit seinem Beginn innerhalb von 75 Jahren 100 Mio. Nutzer verzeichnet hat, so erzielte Facebook innerhalb von 6 Jahren 1 Mrd. Nutzer und ein Smartphone im Jahr 2007 bis 2017 die Hälfte der Weltbevölkerung12.

Die Daten veranschaulichen zum einen den rasanten Wandel der Digitalisierung und die Vernetzung von Menschen sowie die verbrachte Zeit mit technischen Geräten.

Nach ihren Informationsquellen in der Online-Umfrage befragt, wurden folgende Antworten erteilt: Internet 59,8% (49 Personen), Zeitung 42,7% (35 Personen), Radio 28% (23 Personen) und Fernsehen 26,8% (22 Personen). Nachfragend auf ihre Informationshäufigkeit, gaben 56,1% (46 Personen) an, dass sie sich täglich über das globale Geschehen in der Welt informieren. Sich mehrmals pro Woche, allerdings nicht täglich, zu informieren, beurteilten 20,7% (17 Personen) als ihre Informationsverhalten zu Nachrichten.

Doch die Verbreitung von Informationen ist nicht nur bestimmt durch die Weitergabe von Fakten und geprüften Daten, sondern ist ebenso Werkzeug von irreführenden und inkorrekten Informationen.

Hannah Arendt beschreibt in ihrem Buch Wahrheit und Lüge in der Politik: „Ein Wesenszug menschlichen Handelns ist, dass es immer etwas Neues anfängt; das bedeutet jedoch nicht, dass es ihm jemals möglich ist, ab ovo [von Beginn an – Anm. d. Verf.] anzufangen oder ex nihilo [aus dem Nichts – Anm. d. Verf.] etwas zu erschaffen. Um Raum für neues Handeln zu gewinnen, muss etwas, dass vorher da gewesen war, beseitigt oder zerstört werden; der vorherige Zustand der Dinge wird verändert“13.

Man kann die Behauptung aufstellen, dass irreführende und inkorrekte Informationen einen vorher dagewesene Zustand zerstören sollen. Zweifel streuen und somit neuen Boden schaffen um neue Interessen zu säen. Aber neben dieser Motivation stellen sich auch Jaster und Lanius die Frage: Warum erzielen irreführende und nicht korrekte Berichterstattungen in einigen Lesern einen solchen Erfolg in den letzten Jahren? Jaster und Lanius erklären in ihrem Buch Die Wahrheit schafft sich ab. Wie Fake News Politik machen, dass „ein Grund mit der Digitalisierung und der damit einhergehenden Demokratisierung medialer Nachrichtenverbreitung zu tun hat. Heute ist es viel einfacher und günstiger, Nachrichten in die Welt zu setzen, als noch vor 20 Jahren“14.

Jaster und Lanius bestätigen diese Ansicht und beschreiben explizit, dass die Digitalisierung ein Grund ist für den Anstieg einer irreführenden und inkorrekten Berichterstattung durch Medien als noch vor 20 Jahren15. Die Möglichkeiten im digitale Zeitalter ermöglichen es uns schneller zu reagieren, einen Kommentar abzugeben. „Heute ist die Reichweite eines Blogeintrags oder Facebook-Posts potenziell unbegrenzt. Und so finden Behauptungen und Ansichten ihren Weg in die Öffentlichkeit.“, halten Jaster und Lanius fest16. PolitikerInnen können ihre Botschaften heute direkt selbst und fast in Echtzeit in den digitalen, öffentlichen Raum geben, wenn sie früher noch ihre Pressemitteilung an die Zeitung, Radio oder TV Sender weitergeben mussten, damit diese veröffentlicht wurden17.

„An und für sich ist all das nicht problematisch. Es erhöht zunächst die Informationsdichte in der öffentlichen Debatte“18, so Jaster und Lanius in ihrem Buch.

Vor dem Hintergrund, dass fast 80% der Deutschen Zugang zum Internet haben und knapp 60% ein Smartphone besitzen19, zeichnet sich eine schnellere Verbreitung von Informationen, Meinungen und Trends über diese Technologien ab.

Lag der Anteil der Internetnutzer in Deutschland im Jahr 2001 bei rund 37%, ist er seit dem stetig gestiegen und liegt im Jahr 2019 nun bei 89%20.

Simon Hegelich, der erste Professor für Politik- und Datenwissenschaften an der TU München in Deutschland untersucht, wie die neuen, digitalen Methoden auch die Deutschen Wähler beeinflussen. Er beschreibt, dass man als Privatperson eine politische Meinung äußern und wenn ein paar Faktoren zusammen kommen, dass diese Meinung massenwirksam werden kann22. „Wenn man nach historischen Vergleichen sucht für Veränderungen, für einen solchen Strukturwandel der Öffentlichkeit, dann landet man eventuell bei der Erfindung des Buchdruckes“23, so Hegelich.

Revolutionär damals: der Mensch zu Zeiten des Buchdruckes wurde informiert, konnte sich bilden, die massentaugliche Informationsweitergabe wurde geschaffen. Aber sehen wir die Werkzeuge die das digitale Zeitalter mit sich gebracht haben auch als eine solche Revolution und haben wir einen Umgang mit diesen erlernt? Wer bringt uns die reflektierte Handhabung mit diesen Technologien bei?

Auch der gezielte Angriff auf andere Meinungen gehört zum digitalen Wandel. Längst sind die Absichten in diesem Wandel nicht nur von demokratischer, stärkender Natur. Die Informationsverbreitung im digitalen, vernetzten Zeitalter bringt Schattenseiten mit sich24. Eine solcher Schattenseiten, so Hegelich, wird bestimmt von sogenannten Trollen. Das sind übermäßige, aktive Internetnutzer, die Diskussionen durch Provokationen und Beleidigungen stören und massenhaft bestimmte Inhalte verbreiten. So kann Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen gelenkt werden und diese größer erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit sind. Aber nicht hinter jedem Link oder Kommentar steht eine reale Person. Es kann auch ein Programm sein, sogenannte Sozial Bots. Ein solches Programm kann gezielt Inhalte veröffentlichen und teilen. Und somit ebenfalls Themen größer erscheinen lassen, als sie sind25.

Hegelich verweist des weiteren auf eine Technologie, die den Wahlkampf in Zukunft verstärkt verändern und beeinflussen könnte. Das Microtageting. Algorithmen analysieren dabei private Likes und Postes und sollen so nicht nur die Interessen einer Person erkennen, sondern auch ob und wen sie wählt. In den USA und Frankreich gehört dies bereits zum Wahlkampf, so Herr Hegelich26.

Das beschreiben auch die in diesem Kapitel bereits erwähnten Autoren Jaster und Lanius: „Sowohl Trump als auch die Brexit-Kampagne hatten Cambridge Analytika engagiert, eine Agentur, die im Internet gezielt Menschen aufgrund ihrer Interessen und Neigungen mit politischer Werbung ansprach“27.

Die Bundeszentrale für politische Bildung macht in einem Artikel über die Datennutzung im Internet im Zusammenhang mit Manipulation durch Microtageting aufmerksam. „Auch jenseits der krassen Fälle von Microtargeting als Mittel der Desinformation sollten wir uns die Frage stellen, ob und in welchen Grenzen diese Technik in der politischen Kommunikation wünschenswert ist. Ihr Kernelement ist eine Informationsasymmetrie zwischen Werbenden und Werbeempfängern. Ihr Einsatz für negative Campaigning und zur Entmutigung oder Polarisierung bestimmter Wählergruppen droht unsere politischen Diskurse nachhaltig zu vergiften“28.

Wir erhalten mit der Digitalisierung auf der einen Seite einen erweiterten Zugang zu Informationen, schnelle Reaktionsmöglichkeit und damit ein Sprachrohr für viele, unterschiedliche Meinungen. Stehen aber auch vor der Herausforderung, mit den beschriebenen Risiken umzugehen.

3. Digitale Verhaltensphänomene

Die Frage, die sich an diesem Punkt ergibt ist, ob wir uns bewusst sind, dass durch die Art und Weise, wie wir mit unseren Daten im Netz umgehen, wir uns einerseits abhängig machen, wie wir von Fremden in einer digitalen Welt wahrgenommen werden und andererseits diese

Daten bewusst genutzt werden können um uns gezielt mit zugeschnittenen Informationen zu beeinflussen. Im folgenden Kapitel soll darauf näher eingegangen werden, wie die Digitalisierung uns Plattformen bietet, die uns informieren oder unterhalten, zeitgleich aber gleichermaßen Mittel der Reizüberflutung an Informationen darstellen können. Welche wirtschaftlichen Interessen hinter reißerischen Schlagzeilen stecken und wie diese mit der Aufmerksamkeitsökologie im Zusammenhang stehen, soll in den folgenden Kapiteln beleuchtete werden.

3.1 Digitale Sucht

Soziale Medien wie wie z.B. Instagram, Facebook, Snapchat, Tinder ermöglichen eine interaktive Vernetzung in einer globalen Gemeinschaft mit der wir eng interagieren können. Diese Medien sind gerade bei Jugendlichen sehr beliebt. Sie helfen ihnen dabei, sich ein eigenes Leben neben den Eltern aufzubauen, sich von ihnen zu emanzipieren. Allerdings sind soziale Netzwerke oft so gestaltet, dass sie süchtig machen.

Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren verbringen, laut einer DAK Studie, hier mindestens 3 Stunden pro Tag29. Dopamin, als wichtigstes Motivationshormon, wird ausgeschüttet, wenn wir uns anerkannt fühlen. Soziale Netzwerke zielen auf diesen Effekt ab, beispielsweise wenn eine attraktive Person auf Tinder „gematcht“ wird, oder besonders viele Likes für ein Foto auf Instagram erzielt werden30.

Des Weiteren befördert die Nutzung digitaler Medien eine höhere Transparenz der Privatsphäre durch die Bekanntgabe von persönlichen Daten bei unterschiedlichen Diensten. Diese Daten werden wie schon erwähnt, durch Microtageting im politischen Wahlkampf genutzt.

Viele Menschen dokumentieren jede Bewegung ihres Alltags und die einst klare Trennung zwischen Beruf und Freizeit existiert seltener. Wir haben das Gefühl ständig erreichbar sein zu müssen. Mit unseren Smartphones teilen wir unser Leben. „Ohne Bild, keine Realität“31.

Denn die vielen Smart Devices können zu einem Zwang zur Selbstoptimierung führen. „In der Hoffnung die Einzigartigkeit des Augenblicks festzuhalten, verpassen wir das Wesen des Moments“32. Der unmittelbare Zugang zu jeder Bewegung, von jedem und zu jeder Zeit durch Plattformen wie Instagram, Snapchat und TikTok führt zu einem allgegenwärtigen Gefühl, etwas zu verpassen (FOMO= Fear of MissingOut)33.

Die Schweizer Psychoanalytikerin und Professorin für Psychologie an der Universität Zürich Verena Kast greift in ihrer Theorie vom Selbst vor allem den Kernaspekt der Autonomie als den Dreh- und Angelpunkt einer stabilen Persönlichkeit auf.

Sie formuliert in ihrem Standardwerk Der Weg zu sich selbst: „Um autonomer werden zu können, braucht es manchmal viel List, nicht nur der Umwelt, sondern auch sich selbst gegenüber: Immer wieder muss man voraussehen, wo man sich wieder um Autonomieschritte drücken möchte, wo man sich versitzen möchte und einem anderen dafür die Schuld gibt“34.

Durch die Aussage von Verena Kast möchte ich die Behauptung aufstellen, dass wir uns durch die Auftritte auf sozialen Plattformen, wo wir uns inszenieren und bestmöglich darstellen, uns unserer Autonomie berauben. Wir denken, wir wären autonom. Wie ich mit der Aussage Kasts untermauern möchte, geben wir die Verantwortung für unser Selbstbild an die Wahrnehmung durch die sozialen Plattformen ab und berauben uns unserer eigenen Autonomiefähigkeit, in dem Glauben, wir wären vollkommen frei und nicht süchtig.

Die digitale Transparenz wird die Art wie wir leben stark beeinflussen. Eine wichtige Frage ist, ob und wie wir sie aktiv mitgestalten möchten. Informationen, die auf uns zugeschnitten werden, sind lange keine kleinen Nachrichten mehr auf dem Nachttisch, wo unser Smartphone nachts liegt. Sie sind der ständige Zugang zu unserer Person und letztendlich zu dem, was wir täglich konsumieren und was somit unsere Weltanschauung und unsere Meinung bilden kann.

3.2 Informationsüberfluss und seine Auswirkungen

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Digitale Medien sind in ihrer Handhabung so konzipiert, mittels Reizen zu stimulieren und Bedürfnisse zum weiteren Konsum zu wecken, um wettbewerbsfähig zu sein.

Es ist ein Zuwachs an Sinneseindrücken, erhöhten Anforderungen bei der Informationsauswahl und -verarbeitung zu verzeichnen. Beispielsweise übermäßig viel Werbung in sozialen Netzwerken, digitale Reklame in Großstädten und vor allem unsere dauerhafte Konnektivität mit verschiedenen Geräten gleichzeitig. Immer für jeden überall erreichbar35.

Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Maren Urner beschreibt, wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren. In ihrem Artikel auf der werbefreien Seite ihres Online-Magazins Perspective-Daily macht sie deutlich, dass Nachrichten stressiger sind, als die Realität.

„Werden wir über die Massenmedien über schreckliche Ereignisse informiert, ist das für uns stressiger, als den Geschehnissen selbst beizuwohnen“36. Sie führt auf, wenn wir immer nur das konsumieren, was negatives in der Welt passiert, führt dies nicht nur zu einer negativen Weltanschauung, sondern möglicherweise auch zu chronischem Stress, da wir permanent ein Gefühl der Hilflosigkeit erfahren37.

Kast beschreibt es ähnlich: „(…) wenn wir lang darüber reden, wovor wir alles Angst haben, dann sind wir irgendwann erstarrt in Angst“38. Es sind globale und gesellschaftliche Herausforderungen, die Kast der sogenannten erlernten Hilflosigkeit zuschreibt.

Das in der Psychologie beschriebene Phänomen der erlernten Hilflosigkeit spielt eine große Rolle im Umgang mit dem täglichen Konsum von Information. Der Begriff und die ersten Untersuchungen dazu gehen auf den amerikanischen Psychologen Martin Seligman zurück39.

In einer Studie Martin Seligmans bekamen Schulkinder von einem Lehrer wiederholt lösbare und von einem anderen unlösbare Mathematikaufgaben gestellt. Durch dauerhaftes Scheitern beim Lösen der Aufgaben des zweiten Lehrers erfuhren sie Hilflosigkeit. Vergab dieser nun plötzlich die gleichen — und damit lösbaren — Aufgaben wie der erste Lehrer, waren die Schüler trotzdem nicht in der Lage, die Lösungen zu erreichen. Selbst wenn sie die exakten Aufgaben bereits beim ersten Lehrer zuvor erfolgreich bewältigt hatten. Die Schulkinder verinnerlichten die Unlösbarkeit der Aufgaben des zweiten Lehrers und prägten eine „erlernte Hilflosigkeit“ aus40.

Dieses Phänomen lässt sich laut Urner auch auf den täglichen Konsum von negativen Nachrichten übertragen. Sie führt aus, dass sich dies für den Einzelnen in Pessimismus und Depressionen auswirken kann und auf gesellschaftlicher Ebene im Sinken der Bereitschaft, aktiv an der Gestaltung gesellschaftlicher Umstände mitzuwirken41.

Durch die Online Umfrage wurde deutlich, dass das Geschehen auf der Welt die Befragten belastet. 26,8% (22 Personen) formulierten auf die Aussage „Ich lese keine Nachrichten mehr, weil mich das globale Geschehen zu sehr negativ belastet.“, dass sie heimlich dieser Aussage zustimmen, sich aber anders verhalten. Grundsätzlich ist allerdings für 50% die Aussage nicht zutreffend.

Viele der TeilnehmerInnen fügten hinzu, dass sie diese Aussage nachvollziehen können und sich statt eines kompletten Rückzugs Pausen von mehreren Tagen geben, in denen sie sich nicht informieren, da die Nachrichten sie belasten würden.

Diese Umfragedaten unterstreichen die Behauptungen von Prof. Dr. Maren Urner, die anbringt, dass erlernte Hilflosigkeit ansteckend ist und es ausreicht, wenn wir andere in hilflosen Situationen sehen42. Wir trainieren demnach in uns das Gefühl heran, das wir uns selbst hilflos fühlen, wenn wir andere hilflose Menschen beobachten.

Denn statt unsere Energie nach schlechten Medienberichte in gesellschaftliches Engagement umzuwandeln, sind wir gestresst und überfordert, beschreibt Prof. Dr. Maren Urner die Auswirkungen. Urner erklärt sich dieses Verhalten in der Überforderung des Kopfes. Sie spricht von einem Verlust der Empathie: „Das Herz ist dann eigentlich gar nicht mehr berührt. Die Dissonanz zwischen Wissen und Fühlen zwingt die Psyche sich die Realität so zurecht zu biegen, damit wir weiter funktionieren können. Also wird verdrängt. Verleugnet, vergessen, verschoben“43.

Dieses Gefühl der Verdrängung verlangt eine enorme Kraftanstrengung. Im Buch Machen uns die Medien krank? Depression durch Überinformation wird auch vom Psychologen Werner Fröhlich beschrieben, dass sich auf „drastische Furchtappelle und Gewaltdarstellungen“ der „totale Rückzug aus dem Informationsaustausch mit der Umwelt“ ergeben kann44.

Aus der informierten Bevölkerung wird nach Urner eine Bevölkerung, die gelernt hat, hilflos zu sein und sich emotional immer mehr abzuschotten.

Mit diesen angeführten Quellen wird begreifbarer, warum sich Menschen von Medien und damit auch den aktuellen gesellschaftlichen oder internationalen Problemen und Herausforderungen abwenden wollen könnten. Diese sich stattdessen gedanklich zurückzieht in positive Geschehnisse, komplexe Sachverhalte nicht mehr emphatisch aufnehmen und sich keine tieferen Gedanken über Klimawandel, Migration und globale Spannungen machen würde wollen.

Das Meinungsbild der Umfrage zeichnet allerdings ab, dass, trotz des Prinzips der erlernten Hilflosigkeit, es 58,5% (48 Personen) der Befragten viel bringt sich zu informieren. 32,9% stimmten mit eher ja, dass sie das Gefühl haben, dass das Informieren sie weiterbringt. Mit 8,5% (7 Personen) wurde deutlich, dass es in dieser Umfrage nur wenige Menschen sind, die das Informieren als nicht hilfreich empfinden.

Die Informationen klären die Befragten auf, trotz dessen die Umfrage deutlich machte, dass viele ein Gefühl der Erschöpfung empfinden und emotional belastet davon sind.

Dies wird anhand der 31,7% deutlich, die angaben, dass sie überfordert sind von der Komplexität der Sachverhalte, wie Klimawandel, Flüchtlingssituation oder Coronakrise. 24,4 % (20 Personen) tendierten zu „ja, ich bin eher überfordert“. Nur 9,8% (8 Personen) legten durch ihre Abstimmung dar, dass sie nicht überfordert sind von den komplexen

Sachverhalten in der Welt. Zwar zeigen die Auswertungen der Befragten eine Überforderung auf, allerdings ist eine Überforderung nicht mit einer erlernten Hilflosigkeit gleichzusetzen.

3.3 Wirtschaftliche Interessen: Angst zahlt sich aus

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Aber warum lesen wir Nachrichten, konfrontieren uns mit negativen Medienberichten und verstärken so mit das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit?

Ein Erklärungsansatz stellt die Aufmerksamkeitsökonomie dar, welcher die Aufmerksamkeit von Menschen als ein knappes Gut betrachtet.

„Mit der zunehmenden Vernetzung und den Neuen Medien sinken die Kosten für Information und Unterhaltung immer weiter. Begrenzend ist nicht mehr der Zugang, sondern die Aufmerksamkeit. Sie ist knappe Ressource, begehrtes Einkommen, ökonomisches Kapital und soziale Währung zugleich“45.

Jaster und Lanius bestätigen diese These im Zusammenhang mit erhöhten Einfluss von irreführenden oder falschen Informationen, die mit reißerischen Schlagzeilen unsere Aufmerksamkeit gewinnen.

„In Zeiten, in denen Informationen in einem überwältigenden Überschuss vorhanden sind, ist Aufmerksamkeit eine knappe Ressource. Es gibt schlicht mehr Informationen auf dem Markt, als irgendjemand verarbeiten kann“46.

Da es demnach einen stetigen Wettstreit um unsere Aufmerksamkeit gibt, eröffnet sich die Frage, wie gelingt es einem Teil der Medien unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen? Die Antwort ist kurz und erschreckend einleuchtend: Schlechte Nachrichten verkaufen sich.

„Je düsterer und schockierender eine Nachricht ist, desto erfolgreicher verkauft sie sich. Wir richten unsere Aufmerksamkeit im Allgemeinen eher auf Dinge, die uns wütend machen oder uns empören. Erfolgsgeschichten sind nur halb so interessant wie Katastrophenmeldungen“47.

Lanius und Jaster führen weiter in ihrem Buch aus: „Mit Aufmerksamkeit lässt sich wie mit anderen knappen Ressourcen handeln. Wenn man

Aufmerksamkeit einmal eingefangen hat, lässt sie sich auf andere übertragen“48. Es ist auf Grundlage der Evolution erklärbar, warum wir unseren Augenmerk auf negative Nachrichten legen.

Denn Angst sicherte früher im Ernstfall unser Überleben. „Die eigenen Überlebenschancen waren höher, wenn man hinter einem Baum im Zweifel das gefährliche Raubtier und nicht bloß ein Kaninchen erwartete. Angst zahlt sich aus. Das Raubtier zu übersehen ist bei Weitem schlimmer, als sich ein solches Tier nur einzubilden. Diese evolutionäre

Anpassung hat ihre Spuren hinterlassen. Denn nicht nur mit Blick auf Raubtiere gilt: „Negatives bindet unsere Aufmerksamkeit“49.

Das Gleiche gilt für die Vereinfachung von komplexen Inhalten. Menschen neigen dazu, ihre Aufmerksamkeit klaren Botschaften ohne zu vielen „Wenns“ und „Abers“ zu widmen.

„Für diejenigen, die einer Nachricht zum Erfolg verhelfen wollen, bedeutet das, dass sie zumindest in der Tendenz vereinfachen müssen“50, so die Schlussfolgerung von Jaster und Lanius.

Patrick Gensing, Leiter des sogenannten Faktenfinders der ARD, eine Anti-Fake-News-Einheit, die das Ziel verfolgt, populistische Hetze in den sozialen Netzwerken zu entdecken und Aufklärung dagegenzusetzen, teilt diese These.

Gensing beschreibt ebenfalls, dass “der Erfolg der Rechtspopulisten im Internet kein Zufall sei.

Schließlich seien ihre Botschaften „einfach und emotional“ und beide Attribute beste Voraussetzung dafür, dass ein Thema gut in den sozialen Netzwerken läuft“51.

„Da unsere Aufmerksamkeit begrenzt ist, verbrauchen wir die Aufmerksamkeit für eine Information immer auf Kosten unserer Aufmerksamkeit für andere Informationen“52 und sind somit wiederum leichter erreichbar für Vereinfachung von komplexeren Sachverhalten.

4. Problematische Verhaltensphänomene bei der Meinungsbildung

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Das koordinierte und konstante Übermitteln von Nachrichten kann unser Gehirn leicht täuschen, da es aufgrund der Masse an Informationen ohnehin schon erschöpft ist und immer mehr auf heuristische Schlussfolgerungsmethoden angewiesen ist.

Die Umwelt-Verhaltensforscherin Gesa Lüdicke erkennt eine Reihe von Gründen, die einen Menschen in seinem Verhalten prägen können, wie er auf Informationen reagiert. Das können nach Lüdicke Emotionen sein, die beeinflussen. „Berührt es mich überhaupt selbst, was da passiert und was ich lese. Ist da eine gewisse räumliche Nähe oder herrscht eine Distanz vor“53? Nach Gesa Lüdicke spielen die sozialen Normen, wie wir auf Informationen reagieren, eine große Rolle. Was macht mein Umfeld? Was erwarten meine Bezugsgruppen (Peergroup) wie Familie, Freunde, Lebenspartner von mir, wie ich mich verhalte? Dies kann auch dazu führen, dass man sich eigentlich gegen seine eigentlich eigene Meinung entscheidet, weil ich nicht anecken möchte, so Lüdicke54.

Im folgenden Kapitel werden diese Phänomene, die zu problematischen Verhaltensweisen in unserer Meinungsbildung führen können, wie von Lüdicke kurz umrissen, näher erklärt und beschrieben. Dies soll dazu beitragen, dass wir die Mechanismen im Prozess der Meinungsfindung näher kennenlernen. Wie wir auf an uns herangetragene Informationen reagieren, diese wahrnehmen oder ausblenden und wie sich daraus unsere eigene Meinung formt. Denn wenn wir erkennen können, welchen vermeintlichen Mechanismen wir in der Situation des Lesens unterliegen oder welche Prozesse in uns vonstattengehen, können wir eventuell eher unsere eingeprägten Verhaltensmuster durchbrechen und anders mit der gelesen Information umgehen, die letztendlich unsere Meinung formt.

4.1 Vertrautheitsbias

Gensing reflektiert, welche Aufklärung er im Rahmen seiner Tätigkeit beim Faktenfinder der ARD von falschen Informationen überhaupt aufgreift, „denn es sei kontraproduktiv, über jedes kleine Stöckchen zu springen, jedem einzelnen Lügentweet nachzugehen.“ Er sieht die Gefahr, dass man den Schaffern dieser Meldungen dadurch eher Raum gibt und im Extremfall der Lüge ihren Nährboden gibt, in dem man sie durch die

Aufklärung verbreitet. Wenn deutlich gemacht wird, dass eine „unglaubliche Skandalgeschichte nicht wahr sei, besteht die Gefahr, dass am Ende nur die Skandalgeschichte hängen bleibt“55. Gensings Aussage kann vor dem wie folgt beschriebenen Aspekt der Vertrautheitsbias verstanden werden.

„Der Vertrautheitsbias ist ein Bias, durch den man Ereignisse oder Informationen, die einem vertraut erscheinen, für wichtiger bzw. plausibler hält, als sie sind“56.

Auch Elisabeth Wehling, deutsche Sprachwissenschaftlerin und Beraterin im Bereich Linguistik für die ARD, beschreibt die Gefahr des Vertrautheitsbias: „Und dann beim 3., 4., 5. Mal ergeben sich Einschleifprozesse im Gehirn und ein Wiedererkennungseffekt, egal ob die Sache wahrhaft ist oder eine Lüge. Dann sagt das Gehirn irgendwann: Ist mir viel zu anstrengend, das ist für mich jetzt eine Wahrheit“57. Es bleibt die unwahre Information, die aufklärenden Sachverhalte werden eventuell ausgeblendet, was bleibt ist das Eingraben der fehlerhaften Information ins Bewusstsein, was eine Vertrautheit zu falschem Inhalt schafft. Menschen verwechseln Vertrautheit tendenziell mit Plausibilität, was eine maßgebliche Rolle beim Vertrautheitsbias spielt58.

Zusammenfassend: Nur weil du Informationen öfter im gleichen Inhalt aufnimmst, beinhalten diese nicht per se die Wahrheit, sondern stimulieren das Gefühl von Vertrautheit.

4.2 Bestätigungstendenz

„Der Bestätigungsfehler ist die systematische Tendenz und Neigung, Informationen so zu sammeln, zu erinnern und zu interpretieren, dass sie gut zu den bestehenden Überzeugungen oder Erwartungen passen“59.

Wie im Backfire-Effekt beschrieben, widersprechen die Gesprächspartner eventuell und fühlen sich mehr in ihrer eigenen Meinung überzeugt, allerdings teilt auch Patrick Gensing, die Meinung, dass gerade weil die einzelnen Meldungen Teil einer größeren Erzählung sind, es wichtig sei zu widersprechen.

Gensing betont die Relevanz eines Diskurses mit Menschen, die andere Meinungen vertreten. Die selektive Informationssammlung würde sonst mehr und mehr die Meinung des Menschen bestimmen und somit die Bestätigungstendenz der Meinungsbildung fördern60.

Zusammenfassend: Die Präsentation von Fakten unterschiedlicher Ausrichtung und Quellen schafft eine Vielseitigkeit an Informationen.

Der Effekt der Bestätigungstendenz macht deutlich, dass Informationen oft so gesammelt werden, dass sie zu den bestehenden Ideologien passen.

Im Unterschied zum Vertrautheitsbias liegt die Verhaltensweise bei der Bestätigungstendenz nicht darin Vertrautheit zu empfinden, je öfter man eine gleiche Information liest, sondern im konkreten Sammeln von Informationen, die zu den eignen Überzeugen passen.

4.3 Backfire-Effekt

Wenn wir in einer Diskussion beweisen können, dass der andere einem Irrtum aufsitzt und er trotzdem hinterher noch viel fester an den Irrtum glaubt, dann bezeichnet die Psychologie das als Bachfire-Effekt61.

„Gemeint ist damit das Phänomen, dass Menschen sich in ihrer Meinung bestärkt fühlen, wenn sie mit einschlägiger Gegenevidenz konfrontiert werden. Der Versuch der Richtigstellung „feuert zurück“62. 

Kahneman hingegen betont: „Ob dieser Effekt tatsächlich eine Rolle spielt und wie verbreitet er ist, ist in der Forschung umstritten“63.

Dazu nehmen Jaster und Lanius die Position ein, dass man annehmen kann, dass Menschen, die Faktenchecker als Teil der Lügenpresse verstehen und den Versuch sie mit Fakten in einem Gespräch davon zu überzeugen, es eher als weiteres Indiz sehen, dass ihre eigene Meinung wahr ist und sie somit als noch vertrauenswürdiger erachten64.

Zusammenfassend: Mit der Konfrontation einer anderen Meinung kann ein Gesprächspartner in seiner eigenen Meinung bestärkt werden.

4.4 Informationskaskaden, Konformitätsdruck und der Mensch als soziales Wesen

Um nachvollziehen zu können, wieso falsche Informationen in größeren Teilen der Gesellschaft erfolgreich sind, muss man sich klar werden, wie sehr unsere Überzeugungen durch unser soziales Umfeld geprägt werden können65. Eine ausschlaggebend Dynamik bei der Prägung unseres Umfeldes auf unsere Meinung sind sogenannte Informationskaskaden.

„Wenn andere eine Information für wahr halten, ist das für uns in der Regel ein Grund, sie ebenfalls für wahr zu halten“66 bestätigt Cass Robert Substein, Professor für Rechtswissenschaft an der Harvard Universität. Heutzutage kann jeder eine Meldung in die Welt setzen. Dem Internet kann dabei eine besondere Bedeutung zugemessen werden. Denn dieses und sozialen Medien können Informationskasdaden begünstigen67.

Eine Informationskaskade entsteht, wenn einige Menschen eine verbreitete Meinung glauben und je mehr Leute das tun, umso glaubwürdiger wird sie68. Wir passen unsere Meinung also der Menge an. Schwimmen mit dem Strom. Psychologisch ist das sehr clever von uns und an und für sich eine gute Sache. Denn, wenn andere eine Information für wahr erachten, ist das ein Grund für uns sie ebenfalls für wahr zu befinden69.

Dabei muss die Voraussetzung sein, dass alle ein Interesse haben, Wahres zu glauben. Es macht uns also skeptisch, wenn Andere anderes glauben70. Jaster und Lanius ziehen daraus den Umkehrschluss indem sie anführen: “Umgekehrt sollte es uns beruhigen, wenn sie unsere Meinung teilen“71.

Problematisch wird es, wenn sich dieser Mechanismus verselbständigt und wir Meinungen nur noch glauben und sie eine höhere Glaubwürdigkeit bekommen, weil mehr Menschen diese Meinung für wahr halten72. Hans Mathias Kepplinger, emeritierter deutscher Kommunikationswissenschaftler am Institut für Publizistik in Mainz, formuliert: „Je eindeutiger die Gruppennorm wird, desto stärker beeinflusst sie die Einzelnen: Sie fühlen sich in ihrem Urteil immer sicherer, weil sie die Urteile der anderen für eine Bestätigung ihrer eigenen Sichtweise halten“73. 
Er beschreibt darüber hinaus, dass die in der Gruppe erworbene Sichtweise eine Weile bestehen bleibt und die Sichtweise des Einzelnen außerhalb der Gruppe weiterhin prägt. Sie haben das Gefühl ihr Urteil eigenständig getroffen zu haben und empfinden daher das Gefühl der Urteilssicherheit, auch wenn der ursprünglich vorhandene Gruppendruck keine Rolle mehr spielt74.

Konformitätsdruck

Gruppen-, auch Konformitätsdruck genannt, bewirkt eine Tendenz des Einzelnen, sich dem Meinungsbild der Mehrheit in einer sich zugehörig zählenden Gruppe anzupassen75. Studien des amerikanischen Psychologen Solomon Asch zeigen, wie sich dieser Druck auswirken kann, wenn wir unsere Meinung anpassen. Konformitätsdruck, im Vergleich zum Modell der Informationskaskade, kann eine Zuordnung zur Gruppenmeinung erzeugen, obwohl diese nicht geteilt wird.
Oben beschriebene Mechanismen bei Informationskaskaden führen zu Kettenreaktionen in der digitalen Welt. Je mehr Menschen vermeintlich von einer Meinung überzeugt sind, desto größer wird auch der Druck, der auf uns einwirkt diese Meinung zu teilen oder uns unterzuordnen.

Der Mensch als soziales Wesen

Dazu kommt der Fakt, das wir Menschen soziale Wesen sind, beschreibt Lisa Charlotte Rost, die Berliner Designerin in ihrem Online Artikel Why We Don‘t Believe In Facts, And How To Fix That. “Wir sind soziale Tiere, die in verschiedenen Stämmen leben. Unsere Familie, unsere Freundesgruppen, unser Lieblings-Online-Forum, unser Twitter-Feed. Und für soziale Tiere ist soziale Unterstützung wichtiger, als an die Wahrheit über etwas zu glauben, das vermeintlich weit, weit entfernt ist wie zum Beispiel der Klimawandel“76. Lisa Charlotte Rost macht im Artikel deutlich, dass Überzeugungen zu einem Identitätsmarker werden können. Wir glauben, was unsere Familie und unsere Freunde uns erzählt haben. Wenn wir Artikel auf Facebook teilen, möchten wir zeigen, wer wir wirklich sind. Wir wollen uns definieren, beschreibt es Rost. “Definieren bedeutet wörtlich begrenzen, binden: Wir ziehen also Grenzen um unsere Identität, um auch Gleichgesinnte anzuziehen“77.

Zusammenfassend: Wir verspüren mehr oder weniger Druck. Ob in Form einer Informationskaskade, Konformitätsdruck oder aufgrund der Tatsache, dass wir soziale Wesen sind. Der Mechanismus ist nachvollziehbar, dass wenn eine große Menge an Menschen einer Meinung zustimmen, wir ebenfalls das Vertrauen in diese Information setzten. Das dieser Umstand verstärkt wird durch Menschen, die uns näher stehen ist verständlich.

4.5 Echokammer

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„Echokammern sind Umgebungen, in denen Überzeugungen und Einstellungen durch den (fast) ausschließlichen Austausch zwischen Gleichgesinnten verstärkt und entsprechende Weltbilder verengt werden“78, so Jaster und Lanius.
Im Allgemeinen schließen sich also gern Menschen zusammen, die die selbe Meinung teilen79.

In der Online Umfrage wurde die Frage gestellt, ob die Befragten behaupten würden, dass ihr soziales Umfeld ihre politischen und gesellschaftlichen Ansichten teilen würde. 31,3% stimmten dem zu. 50,6% tendierten zu einem „eher ja“. Nur 2,4% (2 Personen) verneinten die Frage.

Diese Werte der Umfrage bestärken die These von Jaster und Lanius, dass sich Menschen vermehr zusammen schließen, die die selbe Meinung teilen.
Das ist zunächst nicht problematisch, wir kennen das alle, dass in der Meinung bestärkt zu werden Selbstsicherheit, und Mut schafft. Zu einem Problem wird es allerdings dann, wenn es das Phänomen der sogenannten Echokammer erzeugt.
Das ist der Fall, wenn wir nur noch mit Gleichdenkenden reden und Meinungen von Andersdenkenden ausblenden oder gar nicht erst wahrnehmen. Das Internet, die globalisierte und digital vernetzte Welt schafft hierfür ganz neue Möglichkeiten. Echokammern werden daher zu einem Problem, weil „wir Gespräche mit Andersdenkenden gänzlich meiden können. Uns erreichen dann nur noch jene Informationen, die zu unserem Weltbild passen. Wir erfahren nur das, was in unserer Echokammer ohnehin geglaubt wird. Es schallt nur noch das aus ihr heraus, was wir in sie hineinrufen“80.

Hegelich beschreibt, dass sich im Internet Meinungen schneller verbreiten können, als je zuvor. Diese jedoch erreichen nicht alle Nutzer. Es vernetzen sich in den sozialen Medien meist Menschen, die eine ähnliche, politische Meinung vertreten. Sie erhalten dabei auf den sozialen

Plattformen kaum Nachrichten oder Links, die den eigenen Ansichten widersprechen. Als Filterblase ist dieser Effekt bekannt. Hegelich erachtet den Begriff Filterblase allerdings als nicht treffend, da dieser ein gefangen sein in der meinungsbildenden Gruppe vermittelt81.

Die Online- Befragung kommt zu anderen Ergebnissen. Auf die Frage, ob die befragten Menschen in ihrem sozialen Umkreis widersprechen würden, bestätigte ein Großteil, 73,5% (61 Personen), dass sie bei Meinungsverschiedenheiten widersprechen würden. Unerwartet waren die 24,1%, die das Meinungsbild dieser darstellten, die zwar widersprechen, dies jedoch auf dezente Weise zum Ausdruck bringen würden.

Die Umfrage macht deutlich, dass obwohl wir uns gern mit Menschen umgeben, die unsere Meinung teilen, die Befragten trotzdem den Mut aufbringen zu widersprechen und somit das Phänomen der

Echokammer durchbrechen. Anmerkend ist an dieser Stelle, dass eine kritische Äußerung im „realen“ sozialen Umfeld gegebenenfalls schwerer fällt, als in einer anonymisierten, digitalen Diskussion. Zwar kann man das „reale“soziale Umfeld nicht mit dem online Umfeld gleichsetzen, allerdings macht die Umfrage in diesem Punkt deutlich, dass die Befragten den Mut aufbringen sich ihrem sozialen Umfeld kritisch entgegenzustellen.

5. Mechanismen und manipulative Taktiken der Informationsvermittlung durch Medien

Dieses Kapitel widmet sich Mechanismen und manipulativen Taktiken der Informationsvermittlung durch mediale Berichterstattung. Es wird untersucht, inwiefern ein gezieltes Meinungsbild erzeugt und gewünschte Assoziationen hervorgerufen werden können.

Die Welt in der wir leben ist schnell-lebig geworden. Unsere Aufmerksamkeit ist zu einer Ressource geworden, denn wir sind der attraktive Käufer auf einem reiz-überfüllten Markt. Täglich wirken auf uns Informationen ein, die unsere Reizwahrnehmung fordert. Im Alltag kann es schwer fallen sich dieser zu entziehen und vermeintlich hat sich bereits eine Gewöhnung an diesen Umstand eingestellt.

Viele von den Informationen können dabei ihren unbewussten Weg in unsere Wahrnehmung finden, ohne dass wir diese aktiv hinterfragen. Dann besteht die Frage, wo wir bewusst oder unbewusst selektieren. Und wenn wir es unbewusst tun, wie Manipulationsmechanismen in dieser Welt im Kampf um unsere Aufmerksamkeit verstärkt Einfluss auf uns haben können.

Im Folgenden wird auf die Bereiche Sprachsemantik, Infografik,Typografie und Fotografie, die durch die Recherche zeigten, dass sie stark genutzt werden können um eine Information, einen Sachverhalt so darzustellen wie der Entsender es gezielt beabsichtigt, eingegangen.

Hierbei soll der Unterschied zwischen Fehl- und Desinformation aufgezeigt werden. Das Ziel ist, durch die Vermittlung der entsprechenden Manipulationsmöglichkeiten und Formen der Beeinflussung die Sensibilität im Umgang mit dargebotenen Informationen zu schärfen.

Hannah Arendt bemerkt: „Gezielte Irreführungen und blanke Lügen als legitime Mittel zu Erreichung politischer Zwecke kennen wir seit den Anfängen der überlieferten Geschichte. Wahrhaftigkeit zählt niemals zu den politischen Tugenden, und die Lüge galt immer als ein erlaubtes Mittel in der Politik. Wer über diesen Sachverhalt nachdenkt, kann sich nur wundern, wie wenig Aufmerksamkeit man ihm im Laufe unserer philosophischen und politischen Denkens gewidmet hat“82.

Warum können einfache Aussagen, die den Sachverhalt viel zu verkürzt darstellen, solch große Einflüsse erzielen? Woher rührt das Phänomen, dass man sich mit vereinfachten Sachverhalten begnügen könnte?

Arendt beschreibt auf diese Frage, dass Lügen dem Verstand sehr viel einleuchtender und anziehender als die Wirklichkeit erscheint.

Sie macht weiter deutlich, dass der Lügner im Vorteil ist, da dieser im Voraus weiß, was das Publikum zu hören wünscht. Er konnte seine Schilderung für die Aufnahme durch die Öffentlichkeit präparieren und sie glaubwürdig machen. Dahingegen hat die Wirklichkeit die unangenehme Angewohnheit uns mit dem Unerwarteten zu konfrontieren, auf das wir nicht vorbereitet waren83.

Sie verdeutlicht, dass Informationen bewusst eingesetzt werden können um eigene Zwecke zu verfolgen. Vom Begriff der Lüge möchte ich mich in dieser Bachelorarbeit distanzieren, sondern stattdessen den Fokus legen auf die bewusste Manipulation von Informationen. Den Diskurs über die Frage, wann Lügen entstehen werde ich in dieser Bachelorarbeit nicht untersuchen. Vielmehr soll nun der Unterschied beleuchtet werden, wann eine Information eine Fehlerhafte oder bewusst eine Falsche ist.

5.1 Unterscheidung Fehl- und Desinformation

Von Fehlinformation wird gesprochen, wenn es um die unwissentliche Weitergabe von fehlerhaften Sachverhalten geht, beispielsweise durch den Bezug auf eine falsche Quelle oder durch die Weitergabe einer nicht mehr aktuellen Aussage. Dies kann in der journalistischen Arbeit geschehen, da Informationen im journalistischen Bereich nicht statisch sind, sondern je nach Bericht gesammelt und aufgedeckt werden. Manchmal verändern sich die Erkenntnisse84.
Von Desinformation ist die Rede, wenn diese „im Wissen um ihre Falschheit in Umlauf gebracht. Eine mögliche Irreführung der Nutzer erfolgt somit nicht unbewusst, sondern wissentlich“85. Bei Desinformationen handelt es sich nicht um journalistische Irrtümer, sondern diese zielen auf eine gezielte Beeinflussung der Meinungs- und Willensbildung.
„Wahrhaftigkeit ist die entscheidende Dimension um Desinformation von Irrtümern, also Fehlinformationen journalistischer Art, zu unterscheiden“86. Der transparente Umgang mit journalistischen Fehlern, die geschehen können, kann einen Maßstab sein, um die Wahrhaftigkeit in der journalistischen Berichterstattung zu erkennen. „Seriöse Medien veröffentlichen daher regelmäßige Richtigstellungen, sollte es zu Fehlern gekommen sein“87.

5.2 Frame-Semantik: Wie Worte unsere Meinung beeinflussen

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„Wörter sind semantische Wundertüten. Hinter jedem Wort, das wir hören, bei jedem Wort, das wir lesen, steckt viel mehr, als das was vermeintlich in dem Wort drin ist. Das ist sogenannte Frame-Semantik. Alles was wir an Weltwissen abgespeichert haben zu einer Idee, wird aktiviert, wenn wir ein Wort lesen. Und dieses Weltwissen, prägt dann unsere Wahrnehmung der Situation“88, beschreibt die deutsche Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling das Konzept der Frame-Semantik. Besonders bei Metaphern schwingt viel an diesem Weltwissen mit, wenn wir diese Wörter hören oder lesen. Nach Wehling werden „Metaphern keineswegs mehr nur als Stilmittel in literarischen Texten angesehen. Vielmehr stellen sie eine fundamentale Methode dar, im Denken einen Erfahrungsbereich auf einen anderen zu übertragen - und dadurch den Ursprungsbereich besser zu verstehen oder anders zu beleuchten“89. Um zu verstehen, warum Metaphern einen solch großen Einfluss auf das Lesen und Hören von Informationen auf uns haben, ist es wichtig den Ursprung von Metaphern zu ergreifen.
Die beiden Redakteurinnen im Ressort Wissen der ZEIT und beim Magazin ZEIT, Stefanie Schramm und Claudia Wüstenhagen, definieren: “Metapher, das kommt vom Griechischem „metaphora“ und bedeutet „Übertragung“. Metaphern übertragen eine konkrete Erfahrung auf ein abstraktes Konzept“90. Metaphern sind somit ein elementarer Bestandteil unserer Kommunikation. Wir rufen Erfahrenes aus unserem Weltwissen ab, wie Wehling es erläutert und übertragen es automatisch auf unsere Verarbeitung der Information91.
Der Linguist George Lakoff beobachtete, dass Kinder mit Hilfe von Metaphern lernen über abstrakte Konzepte nachzudenken. Nach Lakoff griffen auch Erwachsene immer und immer wieder auf diese Übertragung vom Konkreten auf das Abstrakte zurück um komplizierte Sachverhalte zu erfassen92.
Glaubt man Lakoff, sind Analogien wie Ein Atom ist aufgebaut, wie ein Sonnensystem oder Ein Antikörper funktioniert wie ein Schlüssel für ein Schloss nicht nur pädagogische Hilfsmittel, sondern der Grundmechanismus, mit dem wir schwer zugängliche Konzepte überhaupt erst begreifen können — Analogien und Metaphern wären demnach eines unserer wichtigsten Denkwerkzeuge93.

Gentner vertritt die Ansicht, dass der Ursprung von Metaphern die Sprache selbst ist. Ein Beispiel für eine solche Metapher wäre: „Mein Rechtsanwalt ist ein Hai.“ Sogenannte nominalen Metaphern, durch die man Parallelen zwischen „Rechtsanwalt“ und „Hai“ zieht und so „den Prozess der Analogiebildung in Gang setzt, der wiederum zu ganz neuen Erkenntnissen führen kann“94.
Wir brauchen Metaphern um unsere Welt begreifen zu können. Ob es das Sonnensystem ist, dessen Aufbau uns schneller begreiflich wird oder um das Verhalten unseres Rechtsanwaltes zu beschreiben. Wir vereinfachen mit der Verwendung dieser Kommunikationsform.

Lea Boroditsky, Kognitionswissenschaftlerin und Professorin im Bereich Sprache und Kognition am MIT Stanford, erläutert, dass „ein ganzes Netz von Assoziationen aktiviert werden, welches dann das weitere Denken prägt“95.

Auch Schramm und Wüstenhagen beschreiben, dass Metaphern beeinflussen, welche Informationen wir in unseren Denkprozess einbeziehen. Sie strukturieren und sortieren. Informationen, die nicht dem Konzept der Metapher entsprechen, werden untergeordnet96.

Dadurch können wichtige Informationen verloren gehen. „Metaphors hide and highlight/ Metaphern verbergen und heben hervor“97, so Lakoff. Methapern erleichtern die Zusammenfassung umfangreicher Informationen und ermöglichen ein schnelleres kompaktes Verständnis. Das alles läuft automatisch bei in uns ab. Eine Gefahr durch eine Vereinfachung besteht dann, wenn aufgrund der Informationsfülle kurze, einfache Aussagen über Methapern meinungsbildende Wirkungen erzeugen wollen98. Wehrling betont, dass ein faktisches und objektives Nachdenken über politische Zusammenhänge nicht möglich ist, da eine Verarbeitung nicht ohne Bilder, auch Frames genannt, stattfindet99.

In der politischen Debatte finden solche Frames großen Raum. Beispielhaft kann hier der Begriff „Flüchtlingswelle“ genannt werden. Nach Wehling wird mit dem Begriff Welle Frames wie kalt, unaufhaltsam, Sintflut oder Naturgewalt assoziiert. „Was tun wir, wenn eine Welle kommt? Wir stapel Sandsäcke, wir bauen Dämme, wir machen die Schotten dicht und grenzen uns ab“100, stellt Wehling hierzu fest.
Das führt im Beispiel des Wortes Flüchtlingswelle zu einer Interpretation des politischen Momentes und zu Handlungen „die einer nationalen Abschottung in die Hände spielen“101, so nach Wehling.
Wie in Kapitel Wirtschaftliche Interessen: Angst zahlt sich aus dargestellt, stellt Aufmerksamkeit eine Ressource dar. Mit dem digitalen Wandel schuf sich auch die Möglichkeit, dass eine Politikerin ihre Pressemitteilung nicht mehr wie früher an Zeitungen und TV-Sender schicken muss, sonder diese „beinah in Echtzeit in den öffentlichen Raum geben kann“102, zeigen Jaster und Lanius auf. 
Der eigenen Wortwahl ist ein noch größerer Spielraum gegeben, so Schramm und Wüstenhagen, denn „immer häufiger bleiben nur einzelne Wörter oder Sätze im öffentlichen Bewusstsein hängen, die ein Thema verdichten“103. Mitunter kann eine Metapher so viele Assoziationen im Leser oder Hörer hervorrufen, dass durch einen Satz, ein Wort komplette, politische Meinungen transportiert werden können und „somit eine ganze Argumentationskette ersetzen“104. In Zeiten des Aufmerksamkeitsdefizits sollte verstanden werden, dass der Wähler nicht rein rational denkt, sondern Menschen emotional und nichtimmer vernünftig handeln. Worte sollen in der Politik vor allem auch Gefühle erzeugen. Der

Psychologe Daniel Kahneman behauptet dazu, das Emotionen Entscheidungshilfen seien und weil wir nicht immer Fakten analysieren können in dieser informationsreichen, komplexen Welt, nehmen wir aus nützlichem Grund die Abkürzung über Emotionen. Wir wählen aus einem richtigen Gefühl heraus, aber „dies macht uns eben auch anfällig für Manipulation“105, so Kahneman. 
Es geht um die Welt in den Köpfen der Menschen. Und die Welt in unserem Kopf ist eben kein objektives Bild der Realität, sondern das Ergebnis unserer Interpretation. “Und Metaphern liefern die Interpretation der Dinge gleich mit“106, so Schramm und Wüstenhagen.

5.3 Typografie: Wie typografische Darstellung die Information beeinflusst

Im folgenden Kapitel wird auf die Relevanz der typografischen Darstellung in Bezug auf die Wahrnehmung von Informationen eingegangen.
Für Designer, die sich unter anderem mit der Gestaltung von Texten, Textformaten beschäftigen, spielt die Wahl der Typografie eine große Rolle.

Aus diesem Grund ist die Wahrnehmung von Schriftgestaltung geschärft107. Inwiefern wirken sich die Schriftart und die farbliche Gestaltung auf unsere Entscheidungen aus? Wie beeinflussen sie Geschmack, Gefühle und Geruchssinn? Können sie somit Informationen transportieren, die nicht in dem Satz oder dem Wort enthalten waren, sondern weil wir eine bestimmt Art der Schriftgestaltung nutzen?

Diese Fragen stellt sich auch die britische Grafikdesignerin Sarah Hydman und bestätigt, dass auch Schriften eine Auswirkung auf unser Befinden haben. Sie erforscht, wie unterschiedliche Schriften die Bedeutung von Wörtern und ganzen Inhalten beeinflussen und wie sie zudem die Wahrnehmung vom Leser manipulieren können. „Mit Schriften werden nicht nur Informationen weitergegeben, sondern auch Emotionen ausgedrückt. Wie Bilder und Farben hat die Typografie einen beeinflussenden Effekt“108, so Sarah Hydman.
Dies wurde auch durch die Online Umfrage deutlich, indem den Teilnehmern die Abbildungen 1 und 2 gezeigt und die Fragen zum Geschmacksempfinden - Süße und Säure - gestellt wurden. 89,7% verbinden mit der Abbildung 1 süßen, 68,1% mit der Abbildung 2 sauren Geschmack.
Hydman erklärt sich dieses Phänomen, dass bestimmte Schriftarten oder Stile Erinnerungen auslösen und Assoziationen hervorrufen und all unsere Sinne beeinflussen können.

Die Typografie des geschriebenen Wortes entscheidet, wie der Text vom Leser wahrgenommen wird und welche Auswirkung er auf diesen hat109.

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Der Einfluss der Auswahl der Typografie auf das Erzeugen von Gefühlen wird anhand folgendem Beispiel der Titelseite einer deutschen Tageszeitung (Abb.1), deren Name in der Abbildung entfernt wurde, deutlich:Vermittelt die Typografie des Wortes Burger (vgl. Abb. 2) das Gefühl von „handgemacht“ und „frisch“,zeugt das Wort Coronaalarm wie auf der Titelseite der Zeitung zu sehen, ein Gefühl von „verschmutzt“, „abgenutzt“. 

Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass der Kontext, in dem die Typografie verwendet wird, ebenfalls von großer Bedeutung ist. Obwohl der ähnliche typografische Stil für beide Schriftzüge genutzt wurde, erzeugen die beiden Schriften in dem jeweiligen Kontext eine unterschiedliche emotionale Wirkung im Leser. Es schwingen somit verschiedene Bedeutungen mit dem Wort mit, über seinen eigentlichen, wörtlichen Inhalt hinaus. Natürlich wird jedem einzelnen Wort in seiner Bedeutung keine eigene Universalschrift zugeschrieben. „Viel mehr beruht die Wirkung von Typografie und Design immer auf dem Zusammenhang aus Inhalt (Text), Gestaltung (Typografie) und dem Erfahrungshintergrund des Lesers (Kultur, persönliche Erfahrungen, Instinkte)“110.

Gerade in Branding und Marketing, so Sarah Haydman, machen sich Unternehmen und Marken die manipulierende Wirkung von Typografie zu Nutze. So werden Logos durch bewusst gewählte Schriften mit Werten aufgeladen, die die Persönlichkeit der Marke widerspiegeln111.

In der Online-Umfrage wurde den Teilnehmern eine Auswahl an Schriften in unterschiedlichen Farben gezeigt mit der Frage, welche dieser Schriften sie als professionell empfinden. Dabei fielen 61,7% auf die letzte Schrift (Auswahlmöglichkeit D). 28,4% empfanden die Auswahl C als professionell und 6,2% der Befragten entschieden, dass die erste Schriftart ihre Ansprüche auf Professionalität erfülle. Alle Teilnehmer haben sich für eine klar lesbare, schlichte Schriftart entschieden, die mit Professionalität gleichgesetzt wurde. Da die Schriftart der Abbildungen A, C und E die selbe ist, scheint auch die Auswahl der Farbe einen Einfluss auszuüben.

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Hydmans bemerkt: „Die Auswahl von Design ist immer auch angewandte Psychologie. Gestalten bedeutet also vor allem auch, sich mit den Erwartungen der Menschen und mit den Menschen selbst zu beschäftigen. Auf unbewusster Ebene kann jede Schriftart unsere Interpretation der Wörter beeinflussen und Emotionen in uns hervorrufen“112.
Song und Schwarz, Professoren für Psychologie an der Universität von Michigan, zeigen in einer Studie von 2008 den Zusammenhang von Schriftwahl und Lesereinschätzung auf.

Hierbei erkannten sie beispielsweise, dass die Auswahl der Schriftart (Abb. 1) beim Lesen und Verständnis eines Kochrezeptes eine entscheidende Rolle spielt. Dies wirkte sich auf die Zeit aus, die die Probanden für die Zubereitung der Speise benötigten, ohne dass diese sich darüber bewusst waren113.
Weidemann ergänzt, dass ein Text (Abb. 2) neben der Auswahl der Schriftart zudem durch andere Textgestaltungselemente wie die Verringerung oder Ausbreitung der Buchstabenabstände Einfluss auf die Lesbarkeit ausübt. So können Rhythmusstörungen im Satz entstehen, die das Lesen „wie Fahren mit abwechselnd angezogener und losgelassener Bremse“ 114 wirken lassen.
Martin Tiefenthaler Grafiker und Mitbegründer der tga (Typographische Gesellschaft Austria), vertritt die Meinung, dass Typografie wesentlicher Bestandteil in unserer Kommunikation ist, die ihre Wirkung unbemerkt ausübt und beruft sich dabei ebenfalls auf die Erkenntnisse Songs und Schwarzs 115.
Er formuliert, dass „wenn man einen Text in Form bringt, heißt das, den Text zusätzlich zu informieren. Demnach Informationen hinzufügt, diesen also verändert“116. Er führt weiter aus, dass je geringer die Lesemotivation eines Lesers ist, desto präziser sollte der Text gestaltet sein117.

Die gezielte Verwendung von Typografie und Textgestaltungselementen erzeugen, wie dargestellt, eine Wirkung. Aufgrund welcher Motivation dies geschieht, ist im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit nicht ausschlaggebend. DesignerInnen, Typografen und Gestalter, tragen bei der Auswahl der Mittel die Verantwortung, sich neben ästhetischen Stimmigkeit der psychologischen Wirkung der Gestaltungselemente bewusst zu sein und diese redlich einzusetzen. Für den Leser kann es hilfreich sein, sich die beschriebenen Mechanismen zu verdeutlichen.

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5.4 Infografiken: Wie infografische Darstellung die Information beeinflusst

Obwohl sie an Popularität gewonnen haben, wird bereits seit Jahrhunderten zur Informationsvermittlung auf Infografiken zurückgegriffen. Die älteste Infografik geht in die Zeit der Höhlenmalerei zurück. Die ersten DesignerInnen, die Höhlenmenschen, verwandelten Ereignisse des Alltags in Bilder, indem sie Geburten, Schlachten, Natur, Tod und Feierlichkeiten bildlich wiedergaben. Die Lascaux-Höhlenmalereien in Frankreich sind geschätzte 17.300 Jahre alt (Abb. 1).

Heute werden Infografiken beispielsweise bei Landkarten oder sogar Übersichtskarten des Öffentlichen Nahverkehrs verwendet. Infografiken sind die visuelle Repräsentation von Informationen und Daten118. Sie präsentieren komplexe Inhalte auf prägnante, visuelle Art. Korrekt verwendet beschreiben Infografiken auf effektive Weise Geschichten, indem sie Informationen schnell und verständlich komprimieren.

Eine verwirrende Darstellungen erzeugt jedoch das Gegenteil und vermittelt falsche Inhalte 119. „Wenn wir die Tageszeitung zuschlagen, haben wir mehr Statistiken gesehen, als Goethe und Schiller während ihres ganzen Lebens“120. Es wird der Eindruck vermittelt, eine gute Aufarbeitung des Inhalts vorgelegt zu bekommen, aber viele dieser Infografiken sind nicht korrekt, betont Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund121. Krämer beschreibt weiter, dass viele dieser Fehler eine Folge sind, nicht fehlender Intelligenz, sondern der internen Verdrahtung unseres Gehirns. Quasi das genetische Erbe, das wir von den Affen Afrikas in das dritte Jahrtausend hineingetragen haben122.
Kahneman erklärt sich dies damit, dass der von Affen vererbte Teil des menschlichen Gehirns ein notorisch schlechter Statistiker ist123. Er benennt dieses System als System 1 welches uns zu Menschen macht, die gut addieren können und Summen vergleichen können. Aber wir können durch dieses System 1 schlecht Durchschnitte bilden und multiplizieren und auch mit dem Dividieren haben wir es nach seiner Meinung nicht so124.
Ein Großteil unseres Denkens, das schnelle Denken, läuft automatisch ab und bedient sich diesem System 1. Viele statistische Fehler berufen sich, seiner Meinung nach, auf diesen Umstand. Das wir statt zu addieren hätte multiplizieren müssen. In seinem Buch stellt er dem System 1 das System 2 gegenüber, welches den Teil unseres Gehirns ausmacht, welchen wir nur mit Anstrengung benutzen, wenn wir glauben, dass es sich wirklich lohnt125.
Krämer knüpft an diesem Punkt an und ergänzt, dass es besonders wichtig im Umgang mit Infografiken ist, das System 2 zu aktivieren und genauer hinzuschauen, statt sich von Zahlen und Darstellungsformen leiten zu lassen, die auf den ersten Blick durch ihre Klarheit den Eindruck erwecken komplexe Sachverhalte gut verständlich darzustellen, jedoch falsche Inhalte vermitteln 126. 
Er legt dar, dass viele Statistiken falsch sind und formuliert: „In einigen sind schon die reinen Zahlen falsch, in anderen sind Zahlen nur irreführend dargestellt“127. Die ehrliche Präsentation von Fakten ist seines Erachtens keine Sache des Könnens, sondern des Wollens. Lang, ein schottischer Journalist aus dem 20. Jahrhundert, brachte den Vergleich, dass wir „Statistiken nur zu oft wie ein Betrunkener einen Laternenpfahl nutzen. Vor allem zur Stütze unseres eigenen Standpunktes und weniger zum Beleuchten eines Sachverhaltes“128.

Warum messen wir Zahlen aber solch eine hohe Bedeutung zu?

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Man kann es eine Illusion der Präzision nennen. „Denn Kleider machen Leute und Ziffern machen Zahlen, und je mehr Ziffern eine Zahl umhängen hat, desto mehr vertrauen wir ihr auch“129, ist Krämers Schlussfolgerung auf diese Frage.

Er bringt zur Verdeutlichung folgendes Beispiel an: Wenn wir in einer fremden Ortschaft nach dem Weg fragen und einer sagt „Drei Kilometer, dann links“, ein anderer aber: „2,4 Kilometer geradeaus, dann rechts“. Wem glauben wir? Krämer vertritt die Meinung, dass die meisten Menschen nach rechts gehen würden. Er führt dies darauf zurück, dass krumme Zahlen einen Vertrauensvorschuss gegenüber glatten Zahlen haben. „Eine korrekte Zahl ist immer krumm“130.

Der Schriftsteller Ludwig Reiners beschrieb: „Der Mensch ist ein Augentier. Das Auge ist noch lange aufnahmefähig, wenn der Verstand schon ermattet ist. Diese Aufnahmebereitschaft muss man ausnutzen“131.
Wie wir aus dem Kapitel Informationsüberfluss
und seine Auswirkungen wissen, dass die Aufmerksamkeit des Einzelnen in der digitalen Welt ein hohes Gut ist. Summieren wir die nun beschriebenen Faktoren in diesem Kapitel, dann haben wir einen Menschen, der sehr vielen Reizen ausgesetzt ist in einer Welt, die sehr viele komplexe Inhalte vermittelt und an uns heranträgt. Wir bedienen uns daher nicht immer des von Daniel Kahnemann beschriebenem System 2, welches den Bereich unseres Gehirns nutzen lässt, wenn wir uns anstrengen. Unsere Aufmerksamkeit konstant aufrechtzuerhalten ist schwer umsetzbar und so kann die Wahrscheinlichkeit steigen, dass wir uns von unseren Augen täuschen lassen in Betrachtung einer Infografik.
Das sehr knappe Wahlergebnis einer Präsidentenwahl in Venezuela wurde nachfolgend in der Inforgrafik korrekt dargestellt (Abb. 1).

Bei Abbildung 2 (Abb. 2) zu sehen, hat sich die Darstellung des Ergebnisses verändert. Durch das Abschneiden der Säulenbeine wurde ein großer Effekt erzielt. Aus einem Kopf-an-Kopf Rennen wurde ein klarer optischer Sieg. Unser Auge nimmt die Darstellung als deutlichen Unterschied war und erst auf dem zweiten Blick erkennt man, die schmale Differenz des Sieges132.
Die optischen Manipulationen sind klein in ihrer Machart, aber groß in ihrer Auswirkung. Dazu gehören Größenverhältnisse in Infografiken, die die Erscheinung und somit die Fakten deutlich verändern. Es entsteht ein anderer Eindruck und somit auch eine andere Information, wie in Abbildung 3 zu sehen (Abb. 3). Die Grafik will zeigen, dass Braunkohle mehr CO2 erzeugt, als andere fossile Energieträger. In Zahlen erzielt Braunkohle doppelt so viel CO2 wie Erdgas, optisch ist die Rauchwolke der Braunkohle allerdings viermal so groß133.

Wie schon bei der Verwendung von typografischen Mitteln nimmt der Grafiker auch bei der Gestaltung von Infografiken eine hohe Verantwortung wahr: Visuelle Gestaltung und Sachverhalt müssen Hand in Hand gehen.

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5.5 Fotografie: Wie die Wahl des Ausschnittes die Information beeinflusst

Seit der Erfindung der Fotografie vor circa 176 Jahren hat sich die Medienkultur rapide entwickelt und großen Einfluss auf die Gesellschaft genommen. Um der Frage nachzugehen, ob und wie eine Fotografie manipulieren kann, ist zunächst zu erörtern, ob eine Fotografie generell die Wahrheit wiedergeben, die Realität objektiv darstellen kann.

Ist eine Fotografie nicht bereits eine Manipulation?
„Es schreit in allen Farbtönen, aber es schreit vor tauben Ohren. Wir sind an die visuelle Umweltverschmutzung gewöhnt“134. Medienphilosoph und Kommunikations- wissenschaftler Vilém Flusser verdeutlicht damit, dass wir so sehr an die vielen, manipulierenden Fotos gewöhnt sind und vieles von den Informationen, die dabei transportiert werden, ungefiltert in unser Bewusstsein dringen lassen.

Um zu analysieren wie Bilder auf uns wirken und unsere Meinung manipulieren können, ist zunächst zu klären, als was ein Foto zu definieren ist. Fotos sind, laut Vilém Flusser, zu Sachverhalten verschlüsselte Begriffe135. Eine Kamera ist ein elektronisches Gerät, dass nicht lügen kann, denn dazu gehört ein freier Wille.

Wie im Kapitel Unterscheidung Fehl- und Desinformation beschrieben, zeichnet sich eine Desinformation durch die bewusste Weitergabe einer falschen Information aus. Es ist also eine bewusste Entscheidung, zu der eine Kamera, nicht im Stand ist. Derjenige, der die Information des Fotos allerdings bewusst lenken kann ist: der Fotograf, die Fotografin136. Liliane Schafiyha beschreibt, dass durch eine Fotografie der Realitätsausschnitt des Fotografen fühlbar gemacht wird. Somit befindet er sich in einem Spannungsfeld zwischen scheinbarer Objektivität und tatsächlicher Subjektivität. Neben der gestalterischen und technischen Erscheinung eines Fotos ist vor allem auch die individuelle Biografie, Kultur und die Erfahrungen jedes Fotografen und Rezipienten für die Wirkung und Wahrnehmung von Fotos verantwortlich137.

„Ein Foto kann nie die reine Abbildung der Realität sein, da diese durch den Fotograf und seine Wahl des Ausschnittes, der Perspektive, des fotografierten Objektes und des Lichts,sowie durch die Bearbeitung und Präsentation beeinflusst und manipuliert wird. Durch die beim Rezipienten ausgelösten Assoziationen entsteht wiederum eine neue, individuelle Realitätsempfindung. Es kann somit immer nur ein Auszug einer subjektiven,wahrgenommen Wirklichkeit sein“138, so Liliane Schafiyha.

Im Bezug zur Nutzung von Fotografien als Darstellungsmittel von Informationen ist nun allerdings die Frage, wie wird mit einer Fotografie, die an sich nur ein Teilbereich der Realität darstellt, die ganze Wahrheit erzählt? Die deutsche Fotografin Helinde Koelbl beschreibt, dass alle Bilder, die der Fotograf dem Bildredakteur schickt, wahr sind, und doch ist es seine Wahrheit. Koelbl beschreibt den Ablauf bei einer Zeitung damit, dass der Bildredakteur eine Selektion vornimmt nach seinen jeweiligen Gesichtspunkten und diese dem Redakteur weitergibt. In diesem Prozess ist er formalen Zwängen ausgesetzt, wie dem Anpassen von Fotos in Zeitungsspalten. Dabei können Zuschnitte stattfinden, die Informationen der Fotografie weglassen.„Das fotografische Ereignis hat dann plötzlich eine andere Aussage, eben eine andere Wahrheit. Und doch bleibt es ein und dasselbe Ereignis“139.

Jede Zeitung lenkt somit den Leser durch die Auswahl des Bildes. Und diese Intention kann dazu führen, dass Fotografien bewusst genutzt werden um ein Meinungsbild im Leser und Betrachter zu schaffen. Die Fotografie zur Unterstützung des Sachverhaltes dementsprechend bearbeitet wird, dass es die Meinung des Informationentsenders bestmöglich untermauert. Eine sogenannte Bildmanipulation 140. So wird dies deutlich an folgendem Beispiel: Die hier zu sehende Fotomontage (Abb. 1) ist Teil der Wanderausstellung „X für U - Bilder, die lügen“. In der Mitte zu sehen ist das farbige Originalbild, ein irakischer Soldat umgeben von US-Soldaten während des Irak-Kriegs 2003. Die von der Artdirektorin Ursula Dahmen hergestellte Fotomontage wurde für den Tagesspiegel angefertigt, um durch die Gegenüberstellung zu verdeutlichen, wie unterschiedliche Bildausschnitte die Interpretation eines Bildes beeinflussen und somit auch die Information maßgeblich verändern können141. Durch die Betrachtung der rechte Seite der Bildmontage, wird ein Bild eines schwachen Soldaten gezeichnet, dem Hilfe und Fürsorge entgegengebracht wird. In einem Zeitungsartikel könnte dies für Solidarität zwischen dem Irak und den USA eingesetzt werden.

Das Bild zeichnet sich durch einen positiven, helfenden Ausdruck aus. Dahingegen der Bildausschnitt auf der linken Seite. Der gleiche, irakische Soldat in einer bedrohlichen Situation, was durch die Haltung einer Waffe vor seinem Gesicht ausgelöst wird. Bei der Betrachtung der Fotomontage wird deutlich, dass das Ausschließen von fotografischen Bildbereichen eine maßgebliche Wirkung auf die Information schafft, da dies den Informationsgehalt der Fotografie verändern kann. 
Durch die Betrachtung von Fotografien werden unterschiedliche Stimmungen und Emotionen im Betrachter hervorgerufen.
Fotografien bedienen sich somit einer Kommunikation, wie es auch bei Metaphern erkennbar ist, indem sie Assoziationsketten im Betrachter wecken.

Claire Craig bestätigt, dass Fotos sprachliche Mittel unterstützen oder ersetzten, da sie oft eine symbolische Sprache haben, in der das Abgebildete nicht wörtlich zu interpretieren ist, sondern als Symbol bzw. Metapher für etwas Bestimmtes zu verstehen ist142.

Die Online Umfrage konnte ein Meinungsbild von 82 Menschen umreißen, indem gefragt wurde, wie hilfreich eine Fotografie zu einer gelesenen Information empfunden wird. 29 Personen und somit 34,9% gaben an, dass sie eine Fotografie als hilfreich erachten in Bezug zu einem gelesenen, informierenden Sachtext. 41% gaben an, dass sie eine Fotografie eher hilfreiche fanden. Nur drei Personen, 3,6%, gaben an, eine Fotografie als unwichtig zu empfinden.

Dies verdeutlicht, wie stark eine Fotografie vom Leser mit in den Informationsgehalt des Textes einbezogen wird. Wenn Fotografien in uns Assoziationsketten hervorrufen, dann kann die Wahl des Bildes den gelesen Text maßgeblich mit gestalten. In Zeiten der Digitalisierung kann eine Fotografie sehr viel einfacher manipuliert werden um den Sachverhalt an sich zu verstärken oder zu verändern, damit er dem Text die nötige Bestätigung verleiht.

Herlinde Koelbl führt diesbezüglich an, dass es „in der digitalen Welt ohne Negative keine nachweisbare Wahrheit mehr gibt“143.

Sie beschreibt, dass bereits in Zeiten ohne technische Hilfsmittel Bildmanipulation stattfand, dies allerdings schwieriger und zeitintensiver war. Eine Bildveränderung, die früher Stunden bis Tage dauerte, ist heutzutage mit wenigen Bearbeitungshandgriffen möglich144. Abbildung 2 (Abb. 2) verdeutlicht, dass auch die Verstärkung des zusehenden Bildinhaltes eine Manipulation der Fotografie darstellen kann.

Hier zu sehen sind Rauschschwaden nach der Bombardierung von Beirut durch die israelische Luftwaffe Anfang August 2006. Die Agentur Reuters verbreitete die linke Aufnahme, die dichten, schwarzen Rauch zeigt. Durch die Original-Aufnahme, auf der rechten Seite, wird allerdings deutlich, dass die Rauchdarstellung bearbeitet wurde.Nach der Aufdecken der Bildmanipulation, tauschte Reuters das Bild aus und die Zusammenarbeit mit dem Fotografen wurde beendet 145.
Es besteht ein großer Unterschied zwischen Bildbearbeitung und Bildmanipulation, was die Weitergabe und Beeinflussung der zu kommunizierenden Information in Fotografien betrifft.

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6. Resumée

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Eine Bachelorarbeit zu verfassen zur Frage, wie wir Informationen lesen, liegt in meinem Interesse darin begründete die Frage nach Mechanismen der Kommunikation und der Informationsvermittlung und -aufnahme zu stellen. Im folgenden werden Ansätze dargestellt, die für eine aufmerksame Kommunikation und Informationsvermittlung hilfreich sein können.

6.1 Einstiegsidee

Im ersten Schritt sah ich die Betrachtung in welcher digital, vernetzten Welt wir uns derzeit befinden, hin zu der Beobachtung, welche digitalen Verhaltensphänomene bei Menschen daraus entstehen können. Sei es die Abhängigkeit zu einer virtuellen Welt, den Selbstwert, den Menschen daraus ziehen können, ebenso wie die Reizüberflutung an Informationen und ihre Auswirkungen auf die Psyche des Menschen. Die problematischen Verhaltensphänomene bei der Meinungsbildung finden in meinem Verständnis neue Ausprägungen durch das digitale Zeitalter und die Möglichkeiten die diese schafft. Es ist ein Wandel in der Kommunikation, den die Digitalisierung mit sich bringt. Dies bringt uns selbst in die Verantwortung, uns als Leser genauso, wie es die Verantwortung an diejenigen richtet, die die Information verbreiten.

Diese Bachelorarbeit wagte den Versuch eine Form der Achtsamkeit zu schaffen für die einzelnen Themenbereiche, um im Leser die Bereitschaft zu wecken die Inhalte mehr zu hinterfragen und sich als Konsument von Informationen zu beobachten.

Der Ansatz dieser Bachelorarbeit ist, dass der Leser sich nicht mit dem leicht verständlichen, aber verkürzten Sachverhalt zufrieden gibt.

Denn obwohl die Sachverhalte eine Komplexität darstellen, ist es von großer Bedeutung diese nicht nur so wahrzunehmen, wie sie in ihrem Gehalt  erträglich erscheinen. Es stellt eine Schwierigkeit dar die Lösungen auf Problematiken allein finden zu können, allerdings können im Austausch und der Kommunikation Lösungen auf die Probleme entwickelt werden, denen wir uns gemeinsam stellen. Was die Bachelorarbeit verdeutlicht, sind die zu beobachtenden Kommunikationsproblem in der Gesellschaft. Informationen können manipuliert werden, wie sie die jeweilige Meinung bestmöglich darstellen. Die Beobachtungen dieser Kommunikationsform wirft die Frage auf, ob wir diese gesellschaftliche Kommunikation so führen wollen?

Die deutsche Generalsekretärin des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen Prof. Dr. Maja Göpel formuliert, dass wir kein Umweltproblem haben, sondern ein Gesellschaftsproblem. Sie erläutert, dass das Bewusstsein stärker wird, das gesellschaftlich etwas fehlgesteuert ist. „Die Verunsicherung wächst, alle fangen an sich gegenseitig zu beschimpfen, sich gar nicht mehr zuhören, wenn andere einen Vorschlag machen. Wir sind völlig in einer polarisierten Entweder-Oder-Geschichte gefangen“146.

Die Online Umfrage macht diesen Punkt der Polarisierung sehr deutlich. Ob die Befragten die derzeitige Gesellschaft als polarisiert wahrnehmen würden, bejahten 26,5% (22 Personen). 53% (44 Personen) stimmten mit einem „eher ja“. 19,3% (16 Personen) empfinden Deutschland als nicht polarisiert und antworten mit „eher nein“. Eine klare Verneinung auf die Frage stellte nur 1,2% (1 Person) dar.
Nach Göpel kann es viele global gesellschaftliche Gemeinsamkeiten geben und uns fragen um welchen Sachverhalt es geht. Wichtige Fragen stellen dabei für Göpel dar: Was wollen wir abschaffen und was gern entstehen lassen. Welche unterschiedlichen Instrumente stehen uns dafür zur Verfügung? Nach Göpel können wir jene Polarisierung langsam auflösen und neue gemeinsame Verständigungen finden, was die nächsten, gemeinsamen Schritte sein können, wenn wir uns gegenseitig zuhören und uns keine Unterstellungen vorwerfen147. Diesen Auftrag sehe ich in der Informationsverbreitung von Medien, da diese im digitalen Zeitalter das Netz des Informationstransportes und der Kommunikation der unterschiedlichen Ansichten auf der Welt bilden. Die Digitalisierung hat den Diskussionskreis in der Gesellschaft vergrößert. Ein Großteil der Weltbevölkerung hat durch die nun stärker digital vernetzte Welt einen leichteren Zugang sich zu informieren, Teil dieser Diskussion zu werden und dadurch auch einen immensen Einfluss, wie diese globale Diskussion geführt wird. Bei dieser Kommunikation ist es von großer Bedeutung sich als Leserin bewusst zu sein, mit welchen Mitteln, wie im Kapitel Mechanismen und manipulative Taktiken der Informationsvermittlung durch Medien beschrieben, Informationen gelenkt und kommuniziert werden können. Denn was könnte wichtiger sein in dieser global, vernetzen Kommunikation als die Mittel mit denen die Inhalte transportiert werden?

Durch das Kapitel Frame-Semantik: Wie Worte unsere Meinung beeinflussen wurde deutlich, welche starke Bedeutung Worte auf uns haben können und mit welchen Assoziationen diese in uns verankert sind. Wie Wehling beschreibt auch Kast, dass wir aufmerksam mit unseren Worten umgehen sollte, nicht nur für andere, sondern auch für uns selbst. Die Kommunikation über angstvolle Gedanken lässt uns erstarren. Die Frage nach der eigenen Identität und den eigenen Handlungsfähigkeit in der immer komplexer werdenden Welt wird schwerer, so Kast148.

Die Lösungsansätze, die diese Bachelorarbeit versucht zu vermitteln, liegt in der Vermittlung von Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Themenbereiche. Die Arbeit ermöglicht somit die Chance daraus eine erhöhte Sensibilität im weiteren Umgang mit den Themen zu erlangen.

Darüber hinaus präsentiert sie kein Leitfaden auf die Frage, wie wir derzeit verantwortungsvoll mit Informationen umgehen können. Dies liegt in unser aller Ermessen, wobei die Arbeit nur mögliche Richtungen aufweist. Einen Ansätze beschreibt Göpel damit, das der Wille und der Optimismus wichtiger sind, als der Pessimismus des Intellekts. Hätten sich der französische Außenminister Robert Schumann und andere damals um 1950, nach zwei furchtbaren Weltkriegen, einem langen im Kriegszustand befindlichen Europas gedacht, dass das mit der Entstehung der Europäischen Union nicht umsetzbar ist, dann wären wir heute nicht an dem Punkt an dem wir mit der  Europäische Union sind, führt sie das Beispiel an149.

Den Optimismus mehr in uns regieren zu lassen, als den Pessimismus unserer intellektuellen Gedanken, ist dabei das Fundament, auf dem wir bauen sollten. Auch wenn globalen Situationen Besorgnis erregend sind, sollten wir uns gerade im Umgang mit Informationen, nicht leiten lassen von reißerischen Inhalten, sondern uns engagiert dem Sachverhalt nähern. Wie im Kapitel Wirtschaftliche Interessen: Angst zahlt sich aus beschrieben, haben reißerische Schlagzeilen eine große Anziehung auf unsere Aufmerksamkeit. Dies ist evolutionär erklärbar ist mit den eingeprägten Verhaltensmechanismen, die durch eine Vermutung von Gefahr eine höhere Überlebenschance suggerieren. Durch die Vermittlung von Angst und Gefahr können allerdings keine Lösungsansätze entwickelt werden.

Dies hat nach Kast auch viel mit der Frage des eigenen Selbstwertgefühls zu tun. „Denn wir sind sehr oft hilflos, wir müssen aushalten, das wir sehr viel nicht verstehen und durchschauen können“150. Wie im Kapitel Informationsüberfluss und seine Auswirkungen dargestellt, sind es derzeit sehr viele Informationen, die auf den Einzelnen einströmen. Das fordert nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern lässt bei vielen Schreckensnachrichten aus der Welt auch das psychologische Prinzip der erlernten Hilflosigkeit wachsen.

Die Bachelorarbeit hat dabei den Ansatz die instinktiven Reaktionen im Leseverhalten zu hinterfragen.
Dr. Claire Wardle, führende Expertin für soziale Medien und im Bereich der Forschung und Praxis zur Bekämpfung von Fehlinformationen und Desinformation sagt: „Wenn uns ein bestimmter Inhalt besonders wütend macht oder wir uns auf die eigene Schulter klopfen bei dem gelesenen Inhalt, weil der Inhalt unseren eigenen Standpunkt vertritt, dann sollten wir nochmal genauer hinschauen“151.

Nicht, weil wir unsere Meinung nicht bestätigen lassen sollten, sondern weil diese erlernte Hilflosigkeit uns auch dazu bringen kann, dass wir, wie im Kapitel Problematische Verhaltensphänomene bei der Meinungsbildung beschrieben, Informationen durch verschiedene Prozesse selektieren. Sie rät davon ab, Artikel aus dem Affekt heraus zu teilen und empfiehlt einige Augenblicke abzuwarten und damit eine Übersprungshandlung zu vermeiden. Koelbl beschreibt im Umgang mit Informationen, verschiedene Zeitungen zu lesen, um gezielt zu vergleichen, welches Gewicht einem Thema gegeben wird152.

Die Online Umfrage umreißt ein klares Meinungsbild bezüglich dieser Thematik. 49,4% (41 Personen) bestätigten, dass sie sich, wie Koelbl, ebenfalls über unterschiedliche Quellen zu einem bestimmten Thema informieren. 44,6% (37 Personen) stimmten mit einem „teils teils“. Nur 6% (5 Personen) gaben an, dass sie sich nicht mit vielseitigen Quellen informieren würden. Sich Zeit zu geben Informationen zu verarbeiten, bevor man einen Artikel teilt oder verschiedene Quellen zu einem Thema heranzuziehen.

Einen genaueren Blick zu entwicklen für Quellen von Artikeln und sich nicht durch Angst und reißerischen Schlagzeilen zu stark beeinflussen zu lassen, sondern vom Optimus, statt dem evolutionär verankertem Pessimismus. Die Bereitschaft liegt bei jedem Leser selbst, sich neuen Ansätzen zu widmen, sich aus seiner Komfortzone zu bewegen, indem man neuen Meinung zuhört, um gemeinsam auf Lösungen zu kommen. Denn letztendlich ist die Grenze zwischen Kommunikation und Information fließend.

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6.2 Ableitung in der Corona-Krise

„Vielleicht braucht es eine enorme Krise, bis wir wirkliche etwas verändern wollen“, so Göpel. „Transformationszeiten sind Wackelzeiten, wo sich das Alte auflöst und das Neue noch nicht wirklich greifbar ist. Daher ist es dann schon wichtig, die Ideen auf dem Tisch zu haben, mit denen wir Lösungen vorantreiben können“153. Ist dies vielleicht auch die Chance der Corona Krise? Neues voranzutreiben?
Im Umgang mit Informationen in dieser Krise wurden deutliche Worte vom Autor Gensing gefunden. Auf Tagesschau.de wurden das Problem der Panikmache und Desinformation offen kommuniziert. Diese Transparenz zum Leser und das konkrete Ansprechen der Gefahr von Desinformation schuf eine klare Stellungnahme. „Die Verbreitung von Gerüchten ist ein reales und ernsthaftes Problem. Insbesondere in Krisenzeiten ist es wichtig, dass sich Menschen verantwortungsbewusst verhalten und gesicherten Informationen vertrauen, damit Maßnahmen, wie derzeit gegen die Ausbreitung des Virus, wirksam werden können“154, so Gensing.

Tagesschau.de führte weiter aus, dass sich insbesondere auf sozialen Netzwerken derzeit massenhaft Falschmeldungen und Gerüchte über die Corona-Pandemie verbreiten. „Insbesondere über Messenger-Dienste wie WhatsApp und Telegram werden Tausende Nachrichten mit irreführenden oder schlicht falschen Behauptungen weitergeleitet“155. Auch das Bundesgesundheitsministerium warnte auf Twitter vor Fake-News in Bezug auf die Corona-Pandemie.

Indem öffentlich, rechtliche Nachrichtensender oder in diesem Fall das Gesundheitsministerium auf diese Problematik eingehen und die „falschen Behauptungen“ ansprechen, wird dieses Problem zu einer offenkundigen Debatte. So ging beispielsweise Tagesschau.de konkret darauf ein, dass die Desinformationen zahlreiche Menschen verunsichern156.

Neben dem Ausräumen von diesen kuriosen Desinformationen, wie dem Schließen von Supermärkten an einem bestimmten Datum, das Knoblauch ein Heilmittel sei oder Alkohol oder besondere Atemtechniken helfen würden, führten sie „Tipps zur Eindämmung von Gerüchten und „Fake News“ auf157.

Im ersten Tipp wurde dem Leser geraten: „Wenn Sie Nachrichten erhalten oder lesen, denen zufolge bald alle Supermärkte geschlossen werden, oder die angebliche Heilmittel gegen die Krankheit Covid-19 versprechen, leiten Sie diese nicht einfach weiter“158.

Die bereits von Dr. Claire Wardle erwähnten Minuten Abwartezeit gegenüber einer Nachricht walten zu lassen und diese nicht sofort zu teilen, spielt bei dieser Empfehlung ebenfalls eine wichtige Rolle. Sich nicht aus einer Kurzschluss- und Angstreaktion treiben zu lassen und somit Informationen unüberlegt zu verbreiten.

Auch die Quellen zu hinterfragen und sich Zeit zu nehmen diese zu recherchieren trägt Tagesschau.de an den Leser als Tipp heran: „Nehmen sie sich Zeit, um über die Behauptungen nachzudenken.

Woher kommt diese Nachricht?
Wer hat Ihnen diese geschickt?
Und gibt es eine Quelle für die Behauptung?“

Sie führen in diesem Punkt weiter aus, ob auf einen Forscher oder einen seriösen Medienbericht verwiesen wird. Oder ob es sich um eine anonyme Quelle handelt. „Berufen sich Absender auf angebliche Bekannte, die Kontakte zu hochrangigen Politikern hätten und „wirklich“ Bescheid wüssten. Vertrauen Sie solchen Angaben nicht“159, so Tagesschau.de.

Sehr präzise wird auch darauf hingewiesen, dass Zitate aus einem Medienbericht oder die Aussage eines Wissenschaftlers aus dem Kontext gerissen werden können und somit eine irreführende oder falsche Information darstellen. „Prüfen Sie, ob dort tatsächlich das steht, was behauptet wird. Oft basieren Gerüchte und Falschmeldungen auf Zitaten, die aus dem Kontext gerissen oder unvollständig wiedergegeben wurden“160.

Wie auch Herlinde Koelbl aufführte, sich bezüglich eines Themas durch unterschiedlichen Quellen zu informieren, empfiehlt auch Tagesschau.de bei „seriösen Medien, Behörden oder Ministerien, beispielsweise dem Gesundheitsministerium zu schauen, ob es dort Informationen zu dem jeweiligen Thema gibt“161.

Den letzten Tipp bezog Tagesschau.de auf den Prozess der Meinungsbildung. “Sprechen Sie mit anderen Menschen über Ihre Fragen und Sorgen. Erkundigen Sie sich bei Freunden und Bekannten, was diese von den Behauptungen halten, fragen Sie Personen, die fachlich mit solchen Themen vertraut sind. Tauschen Sie sich generell mit anderen Menschen aus und gönnen sich auch einmal eine Pause von den Nachrichten über die Pandemie“162.

Gerade in diesem letzten Punkt wird deutlich, dass Tagesschau.de den Hinweis gibt, sich auch „einmal eine Pause zu gönnen von den Nachrichten über die Pandemie“163 und dem Phänomen der erlernten Hilflosigkeit Momente der Entspannung und Ruhe entgegenzusetzen.

Auch die Warnung vor Phänomene der problematischen Meinungsbildung, wie im Kapitel Problematische Verhaltensphänomene bei der
Meinungsbildung beschrieben, sind in diesem Hinweis zu erkennen. Sich mit anderen Menschen auszutauschen kann das Phänomen der Filterblase schwächen oder umgehen, da man sich mit anderen Meinungen konfrontiert und seinen Informationshorizont damit erweitert.

Abschließend wird der allgemeine Appell formuliert: „Genau wie bei den Maßnahmen gegen das Coronavirus muss auch bei der Eindämmung von Fake News jede und jeder durch verantwortungsbewusstes und besonnenes Handeln helfen, die derzeitige Krise nicht zu verschlimmern“164.

Dieser letzte Hinweis macht die bereits beschriebene Eigenverantwortung jedes und jeder LeserIn deutlich. Denn im Umgang mit Informationen und wie wir diese in Zukunft lesen werden, möchte ich daran anknüpfend formulieren, dass wir die Verantwortung haben eine Haltung zu entwickeln und die einzig mögliche Revolution ist die, sich selbst zu verbessern und darauf zu hoffen, dass die anderen das gleich tun werden.

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7. Kreative Umsetzung der praktischen Arbeit

Da das Themengebiet der Bachelorarbeit sehr vielseitig ist und Inhaltspunkte aus Psychologie, Politik, Design und Soziologie vereint, war es mir bei der kreativen Umsetzung der praktischen Arbeit wichtig der Komplexität des theoretischen Teils gerecht zu werden.

Zuallererst legte ich mein Augenmerk auf den Begriff Echokammer, dem psychologischen Phänomen der Meinungsbildung, wie im Kapitel Problematische Verhaltensphänomene bei der Meinungsbildung beschrieben. Den Prozess, der beim Phänomen der Echokammer beschrieben wird, verstand ich als eine Art Abgrenzung zur Außenwelt. Als einen Raum den der Mensch sich selbst schafft, in dem nur noch die eigene Meinung bestätigt wird. Auch inspirierte mich der Begriff selbst. Das Echo, ein Wiederhall, dass wiederholt, was als Anfangssequenz akustisch erzeugt wurde. Die Kammer, die diesen Hall räumlich begrenzt. Ich kombinierte diese beiden Aspekte und überlegte, wie ich einen Raum schaffen kann, indem ich nur noch meine eigene Stimme hören konnte. Einen Raum, wo das Echo der eigenen Stimme, als Bestätigung der eigenen Meinung verstanden werden konnte. Diese Vorstellung des Raumes war für mich fokussiert auf den Kopf, mit dem wir unsere Meinungen gestalten und Gedanken und Sätze im Gehirn formen. Die Konzeption mit einem übermäßig großen Luftballoon, als Stilmittel der Echokammer und dem Wiederhall der eigenen Meinung, kam mir als kreative Umsetzung in den Sinn.

Um der Räumlichkeit und dem Hall der eigenen Stimme Ausdruck zu verleihen entwickelte ich die Idee, diese Luftballons über den Kopf eines Fotomodels zu stülpen. Bei der weiteren Entwicklung bemerkte ich, dass das Konzept einen Schwerpunkt legte auf einen negativen Aspekt der Meinungsbildung und somit ein Fazit meiner Bachelorarbeit suggerierte, dass ich zu einseitig empfand.

Ich entschied mich den Begriff der Echokammer nicht weiter künstlerisch nachzugehen und stellte mir folgende Frage: Was ist die Kernmotivation meiner Bachelorarbeit und worin soll der Fokus liegen, worauf der Leser und Betrachter schlussendlich gelenkt wird?

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7.1 Konzept und Entwurf

Den Ausgangspunkt mit den Großluftballons über den Köpfen entwickelte ich zu einer Fotoserie. In dieser sollen unterschiedliche Fotomodele in verschiedenen Szenen dargestellt werden, in denen eine Reizüberflutung an Eindrücken und Informationen vorkommen kann. Der Luftballon auf dem Kopf des Models soll in diesem Zusammenhang eine Abgrenzung zu der Reizüberflutung symbolisieren. Die skurrilen Fotoszenen sollen die Informationsfülle unterstreichen, deren Auswirkung Menschen überfordern können. Sich in reizüberflutenden Moment abzugrenzen um seine Aufmerksamkeitsspanne, wie im Kapitel Wirtschaftliche Interessen: Angst zahlt sich aus, nicht auszuschöpfen. Die Fotostrecke stellt dieses Paradoxon an doppelter Räumlichkeit dar. Zum einen den Raum, in dem viele Einflüsse wirken und zum anderen den Raum, der sich metaphorisch mit dem Ballon schafft. Der Ballon steht dabei für einen Ort der Rückbesinnung auf sich selbst, auf eine Abgrenzung zur Reizüberflutung. Wie in der Bachelorarbeit formuliert, ist die Aufmerksamkeit ein hohes Gut, um das mit Schlagzeilen und reißerischen Mitteln gekämpft wird, was die Aufmerksamkeitspanne erschöpfen kann. „Da unsere Aufmerksamkeit begrenzt ist, verbrauchen wir die Aufmerksamkeit für eine Information immer auf Kosten unserer Aufmerksamkeit für andere Informationen“165.

Der Fokus dieser Fotostrecke liegt darin, Achtsamkeit für uns selbst zu schaffen, in dem wir uns Momente der Ruhe gestatten und uns bewusst abgrenzen von Situationen, die unsere Aufmerksamkeit „fressen“.

Die Hoffnung besteht darin, dass wir durch diese Besinnung Kapazitäten unseres Aufnahmevermögens schützen. Das Konzept könnte sich ergänzen lassen durch Aufnahmen von Stilleben.
Dies kann für den Betrachter Momente der Ruhe schaffen und somit einen Kontrast zu den Fotos mit Fotomodelen schaffen.
Ergänzend zu der Fotostrecke soll ein Video entstehen, dass künstlerische Szene in dem Ballon selbst zeigt. Das Video soll dem Betrachter die Sicht in dem Ballon eröffnen, die Geräusche einfangen und die Betrachter daran teilhaben lassen, wie die Welt innerhalb eines solches Luftballons die Außenwelt abzugrenzen versucht. Das Video soll dabei Verwirrung stiften und Faszination wecken, dass ein menschlicher Kopf für einige Minuten in einem Ballon stecken kann.

7.2 Umsetzung

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Die Fotoserie soll in einem großformatigen Fotobuch dargestellt werden, da die Fotografien Raum brauchen um großflächig wirken zu können. Ein Format das dabei voraussichtlich entstehen wird liegt bei 27 cm x 37 cm. Der Einleitungtext des Fotobuches wird den Leser informieren über die Kapazitäten der menschlichen Aufmerksamkeit und der Aufmerksamkeitsökologie, wie auch in der Bachelorarbeit vorgestellt. Dabei wird eine Schriftart ausgewählt, die sich durch ihren Stil nicht in den Vordergrund drängt. Derzeit ist eine freie Schrift wie Archivo in Überlegung. Diese entspricht den Vorstellungen von Schlichtheit und Klarheit.

Das Layout soll knallbunte Neon-Seiten in das Buchkonzept integrieren um das Phänomen der Aufmerksamkeitsspanne zu verdeutlichen. Die Farben sollen nach den Kapiteln wechseln und den Betrachter immer wieder mit unterschiedlichen Farben überraschen. Die Bindung des Fotobuches wird voraussichtlich eine kalte Klebebindung werden.

Das Gewebe das dafür verwendet wird, wird von mir mit einer Neonfarbe eingefärbt, damit es dem Buchkonzept fablich entspricht. Dies stellt eine Buchbinde technische Herausforderung dar, da dies noch nie vorher an der Fachhochule Potsdam ausprobiert wurde.

Derzeit sind folgende Fotoszenen in Überlegung: Mediamarkt: Abteilung Fernseher, Hörsaal, Tankstelle, Einkaufscenter oder Einkaufstraße, Nachtszene: wo das Licht innerhalb des Luftballons leuchtet, Marktplatz, Bahnhof, Bus oder Bahnszenen, Café, Autokino oder Freiluftkino, Aufnahmen zuhause vor einem Computer oder Fernseher. Die Fotografien werden mit einer Canon 6D gemacht.

Die Video- und Innenaufnahmen des Ballons werden mit einer Kamera Rollei Bullet HD entstehen.
Da die Umsetzung mit den Ballons nicht ganz ungefährlich ist, da eine Erstickungsgefahr besteht, werden die Aufnahmen nur unter Betreuung und mit Sicherheitsmaßnahmen gemacht.

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8. Literatur-/ Bilderverzeichnis

Aufgrund der Fülle des Literatur- und Bilderverzeichnis weise ich auf das PDF meiner Bachelordatei bei der Projektinformation hin. Dort können alle Quelle nachgeschlagen werden.

9. Danksagung

Mein besonderer Dank geht an alle meine Kommilitonen und Professoren durch die ich so viel in meiner Ausbildung lernen durfte und die zu meinem Wachstum und meiner Entwicklung beigetragen haben.

Ich bedanke mich bei Prof. Lisa Bucher und Prof. Jörg Hundertpfund für die wunderbare Betreuung meiner Bachelorarbeit.

Und mein herzlicher Dank geht an meine Freunde und meine Familie, die mich als Statisten und Helfer bei meinem Bachelorprojekt tatkräftig unterstützt haben.

Auch möchte ich Friederike Goll danken, die als Buchbinderin der FHP bei der Verwirklichung meiner Buchkonzepte helfend an meiner Seite war.

Fachgruppe

Kommunikationsdesign

Art des Projekts

Bachelorarbeit

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2020