In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
Im Rahmen des Kurses »Lug und Trug« [Modul 2.211 : Theorie] entwickelten wir ein neues, fiktives Produkt, dass sich die im Kurs vorgestellten Mittel von Lug und Trug zu eigen machte, und platzierten dieses im Internet. Das Produkt, die »Satte Tafel«, ist ein Tages-Discounter-Menü mit drei Mahlzeiten, dass für 3,76 € erhältlich und somit eine Anspielung auf die Äußerungen Thilo Sarrazins sein sollte, der 2008 bei einem Interview mit der Welt behauptete, man könne sich für diesen Betrag »völlig gesund, wertstoffreich und vollständig ernähren«.
Design als Mittel zum Verbergen, Täuschen, Vorspiegeln, Verzerren, Fälschen, Überlisten, Betrügen, Verführen ... Nicht nur wir Menschen, sondern auch zahlreiche Tiere benutzen Gestaltung, um sich durch Täuschung Vorteile zu verschaffen. In diesem Kurs wollen wir untersuchen, auf welche spezielle Weise Design an Strategien des Verbergens, Täuschens, Vorspiegelns, Verzerrens, Fälschens, Überlistens, Betrügens, Verführens usw. beteiligt ist. Begleitend dazu werden philosophische und alltagsmoralische Positionen zum Thema Wahrheit und Lüge, Ehrlichkeit und Falschheit, Ehrlichkeit und Betrug untersucht.>
Quelle: http://design.fh-potsdam.de/studium/lehrangebot/archiv/winter-2009-10.html
Ausgehend von unseren Erkenntnissen, durch die Vorlesungen und Dialoge mit Prof. Dr. Rainer Funke, kam bei uns die Idee auf, die gelernten Mittel von Lug und Trug einmal selbst auszuprobieren und ein fiktives Produkt auf dem Markt mit diesen Mitteln zu platzieren. Die erste Schwierigkeit lag darin, ein Produkt zu generieren, dass noch nicht existiert und dass trotzdem theoretisch denkbar wäre. Glücklicherweise half uns die Aussage eines SPD-Politikers bei der Ideenfindung: Thilo Sarrazin, der ehemalige Finanzsenator Berlins legte 2008 einen detaillierten Drei-Mahlzeiten-Speiseplan für Hartz-IV-Empfänger vor. Laut »BZ« schickte Sarrazin eine Mitarbeiterin zur Überprüfung der angegebenen Preise in einen Discounter. Er wollte damit beweisen, dass es problemlos möglich ist, sich »völlig gesund, wertstoffreich und vollständig zu ernähren« *1 und dies für lediglich 3,76 € also unter dem Regelsatz von 4,25 €. Sein Beispiel wurde in den Medien von verschiedenen Seiten kontrovers diskutiert. Ein genauer Blick in Sarrazins Rechenbeispiel zeigt die Lückenhaftigkeit und Kurzsichtigkeit seiner Rechnung. Auch Wohlfahrtverbände übten Kritik und offenbarten dadurch weitere Missstände: »In vielen Haushalten werde gar nicht gekocht um Strom zu sparen«. Was bedeutet es tatsächlich, sich für 3,76 € pro Tag ernähren zu müssen? Wie könnte ein kommerzielles Produkt aussehen, dass sich an betreffende Zielgruppe richtet und deren Ansprüchen gerecht werde soll?
*1: http://www.tagesspiegel.de/berlin/landespolitik/sarrazin-so-sollten-arbeitslose-einkaufen/1164148.html
Herausgekommen ist ein 3-Mahlzeiten-Tagesmenü, hergestellt von einer nicht-existenten Firma, welches im Preis und der Aufmachung auf die »Sarrazin-Diät« anspielt. Wir versuchten mit gängigen Gestaltungsmitteln ein fiktives Produkt zu erschaffen, um uns mit diesem in eine öffentliche Diskussion einzuschalten. Dazu verwendeten wir die Rhetorik der Discounter und Sarrazins Preisvorschlag. Mit dem Produkt wollten wir die Legitimität einer kommerziellen Reaktion auf Sarrazins Beispielrechnung öffentlich in Frage stellen.
Die »Satte Tafel« ist eine Assiette, gegliedert [und abtrennbar] in die Teile Frühstück, Mittag- und Abendessen. Unser Konzept sieht sieben unterschiedliche Menüs vor, für jeden Wochentag eines, um eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten. Exemplarisch haben wir das Menü »Schwäbische Küche« umgesetzt, welches aus den folgenden Komponenten besteht:
Morgens (Trocken-)Früchti-Müsli mit pulverisierte Milch, Schokocroissant und Instant-Kaffee
Mittag Schwäbische Spätzle mit Käse und Speck, Fruchtsalat, Multivitaminsaft und Snack
Abend Kartoffelsuppe mit knackiger Wurst, Vollkornbrot, Ketchup und Eistee
Alle Menü-Bestandteile (bis auf den Fruchtsalat und das Müsli) werden mit heißem Wasser angerührt. Dies ist stromsparend und der Wasserkocher ist das einzige zu verwendende Küchengerät. Der Herd bleibt aus. Auch abwaschen ist nicht nötig, denn das komplette Menü kommt in einer praktischen Plastikform daher und kann nach dem Verzehr einfach entsorgt werden. Das komplette Menü ist aus im Discounter erhältlichen Produkten zusammengesetzt und kostet zusammen weniger als 3,76 €. Der Produktname ist gleichzeitig das Produktversprechen: »Satte Tafel«.
Die Satte Tafel »unzubereitet« ...
und zubereitet
High-Tech Tiefziehen mit Besen und viel Gelduld
Nach der Ausarbeitung des Konzeptes wurde ein Prototyp realisiert, um das Produkt publizieren zu können. In Discountern suchten wir nach preisgünstigen, nahhaften Lebensmitteln und stellten ein Menü für drei Mahlzeiten zusammen. Den Produkten angepasst, fertigten wir passgenaue tiefgezogene Plastikformen an und platzierten die Lebensmittel darin. Wir kauften und modifizierten Besteck und Geschirr und hatten letztendlich einen fertigen Prototypen.
Die Form in der Presse. Durch die komplexe Struktur und die vielen Teilen war es schwierig eine saubere Form zu pressen. Im Detail (s.u) sieht man eine der ersten Formen und die letzte (saubere) Version.
Stefan Hermann beim Fotoshooting d. satten Tafel
Der Prototyp wurde bei einem Fotoshooting mit den zubereiteten Gerichten abgelichtet. Mit den Fotos gestaltete wir eine Verpackung, die sich visuell ins Discounter-Regal einordnen sollte. Auf der selbst erstellten Website www.satte-tafel.de wurde das Produkt angepriesen und der Anschein eines verschlossenen und intransparenten Herstellers vermittelt, der nicht eindeutig ermittelt werden kann. Der Webauftritt sollte uns bei der Bekanntmachung mittels Blogs, Twitter und sozialen Netzwerken helfen. Anschließend publizierten wir einzelne Produktbilder und ließen Informationen über ein neues Produkt »durchsickern«, dass der Sarrazin-Aussage geschuldet sei.
Die Gestaltung des gesamten Produktes war insofern schwierig, dass wir versuchen mussten, ein Design zu finden, was nicht unmittelbar als »Fake« auffliegen würde. Es musste daher die »Sprache der Discounter sprechen«, die untere Einkommensklassen ansprechen und durfte dabei aber auch nicht unglaubwürdig aussehen. Ein erwartungskonformes Billigprodukt also.
Leider hat die ganze Konzept und Produktgenerierung sehr viel länger gedauert als wir gedacht hatten. Besonders die komplexe Form machte beim Tiefziehen Probleme und die erwartungskonforme Gestaltung war eine besondere Herausforderung, die viel Zeit gefordert hat. Daher blieb wenig Zeit, das Produkt unauffällig zu promoten und der erhoffte Effekt blieb weitgehend aus. Wenig Leute griffen das Produkt auf und schrieben, geschweige denn, erbosten sich darüber.
Mit der »Satten Tafel« haben wir eine praktische Auseinandersetzung mit dem Thema »Lug und Trug« gefunden, die uns ermöglicht hat die Mittel der Design-Branche direkt zu testen anstatt sie nur zu analysieren. Es war wirklich schade, dass auf Grund der mangelnden Zeit das Bekanntmachen des Produktes und so die Reaktionen sehr verhalten waren oder vielleicht auch das Produkt nicht speziell genug war. Was als satirische Aktion geplant war, wurde als normales Produkt akzeptiert.