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valeo

Alienation Gesture-enhanced Tactile Pain Logging

Hintergrund

Schmerzen beeinflußen Bewegung, Verhaltensmuster, Körpergefühl und die emotionale Gesundheit. Ohne physikalische Ursachen wird das zu einem echten Problem. Hat man chronische Schmerzen, dann würde der behandelnde Arzt dem Patienten gern ein Schmerztagebuch mitgeben. In diesem soll dann 3x täglich aufgeschrieben werden, wann man wie, wo und eventuell warum Schmerzen hat. Für den Arzt ist das von großem Vorteil, da dieser dann ableiten kann, wie Medikamente anschlagen oder woher die Schmerzquelle kommt. Zudem hilft es natürlich beim Verstehen des Schmerzes an sich.

Und dennoch wird meist davon abgesehen, ein solches Büchlein zu verschreiben, denn diese besitzen mehrere schlechte Eigenschaften:

  1. Negative Konditionierung:
    Man wird darauf trainiert, seine Schmerzen besonders deutlich und detailreich zu fühlen. Längeres Nachdenken über die Schmerzstärke auf der häufig eingesetzten, abstrakten 10 Punkte Skala führt zu einer dementsprechenden Steigerung der Schmerzempfindung im Alltag.
  2. Open Data:
    Vorherige Einträge sind immer sichtbar. Sieht man nun schlechter werdende Werte, dann steigt die Möglichkeit der Depression. Weiterhin ist man dazu verleitet, vorherige Werte zu übernehmen. („Fühlt sich so an wie gestern.“)
  3. Beeinträchtigung:
    Am Tag mindestens dreimal ein Buch mit vielen Daten zu füllen wird als anstrengend und störend empfunden.

Ein Schmerztagebuch, welches diese Punkte anspricht, beseitigt und sogar positive Effekte auf die Schmerzwahrnehmung auslösen könnte- Das wäre sehr wünschenswert.

Idee

Mit Hilfe des Schmerzarztes Dr. med. Jan-Peter Jansen entwickelten wir ein Funktionskonzept der Schmerzveräusserung:

Extraction

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Unser valeo Prototyp hat ein minimalistisches, aber nicht medizinisches, Äusseres und besteht aus einer handlichen ovalen Form mit zwei drucksensitiven Seitenstreifen.

Durch kurzes Halten von valeo über die schmerzende Stelle und Druck gleich der empfundenen Intensität, wird Stärke und Ort gespeichert. Mit dieser Geste ist der Schmerz im Gerät gefangen.

Manifestation

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Im Inneren des Gerätes wird der Schmerz nun als bewegliches, auf die Neigung reagierendes, physikalisches Objekt mittels vier im Kreis angeordneter Vibrationsmotoren manifestiert. Die Größe dieses Objektes ist von der vorher empfundenen Intensität abhängig. Somit ist es tangible und kann getrennt vom Körper wahrgenommen werden.

Release

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Zur Unterstützung eines befreienden Effektes, wird durch eine Wegwerf-Geste eine haptische Animation gestartet, welche das Herrausschleudern des Objektes erleben lässt.

Transmission

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Das Schmerzobjekt wird dann von der Docking Station aufgefangen, sichtbar über ein Aufleuchten und Ausfaden eines Lichtes. Dabei werden die gesammelten Daten mit Zeitstempel in das Log geschrieben. Das Log kann dann automatisch oder manuell an den behandelnden Doktor geschickt werden und stellt somit die Basis für Analyse und Planung von Medikamenten dar. Das schnelle Vermerken von subjektiven Schmerzdaten könnte zudem Forschern ermöglichen Schmerz-Muster zu finden, welche zu früheren Prognosen von Krankheiten und besserem Medikamentenmanagement führen können.

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Prototype

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12 x 8 x 4.5 cm, lackiertes Plastik mit Arduino, 2 Drucksensoren unter Silikonstreifen, 4 Vibrationsmotoren, Accelerometer und 9V Batterie. Da sich unsere Tests auf die Interaktion mit dem Gerät bezogen, sind zwei Elemente nur konzeptionell angedacht: Der Datentransfer und die Miniatur-Kamera am Boden (Bodypart-Recognition durch (den nun von Microsoft aufgekauften) 3DV Systems DeepC™ Chipset, welcher in XBox-Natal eingesetzt wird).

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Usertest

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Nach einer Initial-Studie im Stephanus - Seniorenzentrum Müggelspree zur Verifizierung von Druck als Inputmethode für selbst ältere Menschen, erklärten sich 6 Patienten des Schmerzzentrums Berlin (4w, 2m, Ø 44,3 Jahre) dazu bereit, den Umgang mit valeo ca. 10min zu testen und uns an ihren Gedanken teilhaben zu lassen. Alle erlebten zu diesem Zeitpunkt zwischen 0,75 - 30 (Ø 10,1) Jahren Schmerzen in verschiedensten Formen. Auch benutzten alle bereits einmal ein Schmerztagebuch, einer sogar ein digitales. Aber es waren auch alle unglück damit- bezeichneten es als ein „Notwendiges Übel“. Zwei Patienten brachen es aus Depression ab, als sich die Werte zunehmend schlechter wurden.

Der Test verlief trozt einiger Probleme sehr gut. Ja- der größte Nachteil ist, dass man Eintragungen durch Druck nur selbst vornehmen kann. Patienten mit Handschmerzen, die sonst andere bitte, einen Stift in die Hand zu nehmen, sind nun ausgeschlossen. Dafür konnten die 3 oben genannten Punkte positiv angesprochen werden:

  1. Keine Konditionierung:
    Druck als Eingabe ist hochgradig subjektiv, verhindert daher abstrakte Bestimmungen der Schmerzintensität und das damit verbundene intensivere „Hineinfühlen“.

  2. Covert Data:
    Durch das Verstecken der früheren Daten, wird die aktuelle Messung nicht beeinflusst, kann aber auf Abruf zusammen mit dem Arzst analysiert werden. Dadurch kann auch gege Depressionen vorgegangen werden.

  3. Weniger störend:
    Die Interaktion ist so schnell, dass sie sie sofort ausgeübt werden kann und somit nachträgliches oder zeitlich festgelegtes Schreiben überflüssig macht.

Neben diesen praktischen Vorteilen kann valeo aber auch dazu beitragen, die Schmerzen zu senken. In unserem Usertest hat das trotz des prototypischen Status zweimal funktioniert. Schmerzen im Rücken waren „für einige Zeit weg“ und in dem anderen Fall bemerkte eine Patientin mit starken Ellenbogenschmerzen nach der Benutzung: „Ich kann es noch ganz leicht in der Tiefe spüren, aber ansonsten ist es wesentlich besser“.

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Fazit

Mit dieser neuen Art eines digitalen, haptischen Schmerztagebuches, ist es durch die reduzierten negativen Effekte für Ärzte wieder möglich, bedenkenlos Aufzeichnungen anfertigen zu lassen. Die bestehende Möglichkeit, als eigentlich aufnehmendes Tagebuch, zudem aktiv auf die Schmerzwahnehmung einzuwirken, zeigt die Vorteile eines Tangible User-Inerfaces gegenüber einem Traditionellen.


Das Paper, welches alle Details, den kompletten Test und Related Work beinhaltet, wurde auf der TEI'10 präsentiert. Es kann hier oder direkt (kostenpflichtig, aber offiziell) in der ACM-Library heruntergeladen werden.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Interfacedesign

Art des Projekts

Studienarbeit im zweiten Studienabschnitt

Betreuung

foto: Prof. Reto Wettach foto: Prof. Nils Krüger

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2009