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›Fraktiqua‹ — Bachelorarbeit

Fraktiqua — Beitrag zur Aussöhnung zweier vermeintlich zerstrittener Schriftgruppen

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Fragen

Antiquaschriften und gebrochene Schriften sind zwei unterschiedliche Ausprägungen ein und desselben lateinischen Alphabets. Der oft zitierte Antiqua-Fraktur-Streit fußt auf der Grundannahme, dass nur jeweils eine davon die richtige Schrift für unsere Sprache sei. Aber müssen sich Schriftgestalterinnen bei ihrer Arbeit zwingend für die eine oder die andere Richtung entscheiden? Oder gibt es irgendwas dazwischen? Wie kam es eigentlich zur Spaltung in zwei Schriftdialekte? Wo hört Antiqua auf, wo fängt Fraktur an? Können Elemente oder Attribute der einen Schrift auf die andere angewandt werden? Wie weit ließe sich dieses Spiel treiben und bis wann macht es Sinn?

Meine Bachelorarbeit ist die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit diesen Frage­stellungen; mit Grenzen, Graubereichen und ­Uneindeutigkeiten in der Schriftgestaltung.

Thesen

Die Begriffe ›Antiqua‹ und ›Fraktur‹ helfen uns, unterschiedliche Schriftentwürfe zu Gruppen zusammenzufassen. Sie sind Kategorien, die erst nach der Entstehung der beiden Schriftstile erfunden wurden um Ordnung zu schaffen. Die These, dass es etliche historische Beispiele geben muss, die sich dieser beider Kategorien entziehen beziehungsweise in einer Art Graubereich dazwischen verortet werden müssen, ist nicht allzu gewagt. Daraus lässt sich die Behauptung ableiten, dass es zwischen Antiqua und Fraktur keine harte Grenze gibt. Ferner stelle ich die These auf, dass das primäre Unterscheidungsmerkmal ›gebrochen‹ beziehungsweise ›nicht gebrochen‹ nicht ausreicht, um eine Schrift einer jener Kategorien zuordnen zu können. Vielmehr ist die Summe vieler – teils subtiler – Details dafür ausschlaggebend, wie wir eine Schrift beurteilen.

Geschichte unserer Schrift

Den ersten Teil meiner Arbeit bildet ein geschichtlicher Abriss, wie unsere heutige Schrift entstanden ist und wie es zu den beiden Ausprägungen Antiqua und Fraktur kam.

Es ist nicht möglich, sich mit Schrift­gestaltung zu beschäftigen, ohne einen genauen, analytischen Blick in die ­Vergangenheit zu werfen. Die Buch­staben, die uns heute nur allzu selbstverständlich erscheinen, sehen nicht zufällig so aus, wie sie aussehen. Der Grund dafür, dass in Deutschland bis etwa zur Hälfte des 20. Jahrhunderts zwei Alphabete – ein gebrochenes und ein rundes – gepflegt wurden, liegt unter anderem an einem Missverständnis.

Aus der römisch-antiken Capitalis monumentalis hatte sich im Mittelalter die karolingische Minuskel entwickelt. Diese wurde im Zuge der Gotik so eckig und schmal, dass bald alle Rundungen gebrochen waren. Die gotische Buchschrift war geboren. Aus ihr entwickelten sich die unterschiedlichen gebrochenen Schriften. Einigen Schreibkundigen der Renaissance war diese Ästhetik ein Dorn im Auge. Sie wollten sich ihrer antiken Wurzeln besinnen und griffen, in der Annahme es handle sich um die Schrift der alten Römer, wiederum auf die karolingische Minuskel zurück. Daraus entwickelten sie eine Druckschrift, die sie Antiqua (›die alte‹) nannten. Während sich in allen anderen Ländern Europas früher oder später die Antiqua als vorrangige Schrift durchsetzte, etablierte sich im deutschsprachigen Raum die Fraktur. Der Gebrauch der Antiqua beschränkte sich auf wissenschaftliche Texte.

Der Antiqua-Fraktur-Streit

Ab dem Spätmittelalter wurden die meisten deutschen Texte in den verschiedenen gebrochenen Schriften gesetzt. Die Antiqua wurde mit der römischen ­Kirche assoziiert, Luther wiederum setzte seine deutsche Bibel in der Fraktur, was diese zur evangelischen Schrift machte.

Der Antiqua-Fraktur-Streit ist eine bis zur Zeit des Nazi-Regimes reichende Auseinandersetzung darum, welche Schrift nun die deutsche Schrift sei. Die Debatte wurde auf allen möglichen diskursiven Ebenen geführt. In den meisten Fällen jedoch wurde nationalistisch beziehungsweise völkisch argumentiert. Wer sich mit dem Antiqua-Fraktur-Streit beschäftigt, muss sich zwangsläufig mit nationalistischen Ideologien beziehungsweise der Instrumentalisierung von Schrift für deren Zwecke auseinander­setzen.

Die Nazis beendeten den Streit kurzerhand, indem sie die gebrochenen Schriften – fälschlicherweise – als ›Judenlettern‹ verunglimpften und verboten.

Zwischenformen

Ein wesentlicher Abschnitt meiner Bachelorarbeit widmet sich der Sammlung und Kontextualisierung von historischen und zeitgenössischen Beispielen, die sich im Spannungsfeld zwischen ›gebrochen‹ und ›nicht-gebrochen‹ bewegen. An derartigen Schriften scheint es keinen Mangel zu geben. Eine in dieser Hinsicht besonders fruchtbare Zeit war der Jugendstil. Zur gleichen Zeit hatten aber auch nationalistische und völkische Bewegungen Hochkonjunktur. Sie befeuerten den seit Jahrhunderten schwelenden Antiqua-Fraktur-streit erneut und verhalfen der gotischen Ästhetik zu einem Revival.

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Gestalterische Lösungsansätze

Beim ersten Lösungsansatz war die Überlegung maßgebend, eine Schrift zu zeichnen, die von ihrer Formsprache her ganz klar eine Antiqua ist, also keinerlei Brechungen aufweist, über einen moderaten Breitfederkontrast verfügt und von klassischen Antiqua-Proportionen geprägt ist. Dennoch sollen einige Antiqua-fremde Elemente aus den Frakturschriften so integriert werden, dass sie vom Duktus her nicht fremd wirken. So sollen zum Beispiel die Gemeinen h und f über eine Unterlänge verfügen. Es gibt ein langes s. Die Umlaute werden mit einem hochgestellten kleinen e gebildet. Die Versalien sind nicht so streng nach den römischen Proportionen konstruiert et cetera.

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Der reine Antiquaschnitt wirkt durch den kalligraphischen Charakter und die rautenförmigen Punkte ohnehin schon etwas historisch. Die Fraktur-­Rudimente verstärken diese Wirkung allerdings noch zusätzlich.

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Ein anderer, naheliegender Ansatz – und dank der zeitgenössischen Typedesign-Software auch relativ leicht umsetzbarer – ist die Interpolation zwischen den beiden Schriftgruppen. Dabei generiert der Rechner beliebig viele Zwischenschritte. Während in der vorliegenden Arbeit eigentlich ausschließlich Antiquas mit Serifen behandelt werden, wurde für diese Versuchreihe – neben der Unger Fraktur – mit der Univers auf eine serifenlose Gleichstrich-Antiqua zurückgegriffen. Der Grund liegt auf der Hand: die morphologische Interpolation von Unger Fraktur und Univers ist ›Ungivers‹ – ein Glücksfall, der nicht ungenutzt bleiben darf!

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Dem finalen Ansatz liegt die These zugrunde, dass die Brechungen der Rundungen zwar ein zentrales – und das namensgebende – Charakteristikum von gebrochenen Schriften sind, aber nicht ausschließlich dafür verantwortlich, wie wir eine Schrift wahrnehmen beziehungsweise sie einordnen. Vielmehr ist es die Summe der Details, die die Brechungen ergänzen. Das sind in erster Linie die Serifen, die An- und Abstriche, die Unterlängen und Ligaturen, aber auch die ganz spezifischen

Wie sehr muss also eine astreine Antiqua modifiziert werden (die genannten Details wohlgemerkt und nicht die Rundungen), damit sich die Wirkung zugunsten einer gebrochenen Schrift ändert? Und lässt sich eine Grenze bestimmen, ab der die Schrift ins Gebrochene kippt?

Erster Schritt bei der Lösung dieses Problems war die Zeichnung einer ›ganz normalen‹ Antiqua, als Ausgangsmaterial sozusagen.

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Um obige These zu erhärten, dass die Ausgestaltung von Details zur Wirkung einer Schrift maß­geblicher beiträgt als die Form ihres Skeletts, habe ich nach und nach unterschiedliche Komponenten am Grundschnitt dahingehend verändert. Die grundlegende Form der Buchstaben bleibt dabei im Großen und Ganzen un­verändert.

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Fazit

Die Geschichte unserer Schrift(en) ist eine lange und verworrene. In Anbetracht dessen finde ich es erstaunlich, wie modern uns mitunter die Formen unserer Antiquabuchstaben heute noch erscheinen.

›Antiqua‹ und ›Fraktur‹ sind Kategorien, die nachträglich erfunden wurden, um das, was es gab, ordnen und beschreiben zu können. Dass sich nicht alle Schriftentwürfe in diese Schubladen zwängen lassen, liegt auf der Hand.

Es ist schwierig, mit der Gestaltung einer Schrift wissenschaftliche Fragestellungen zu Beantworten beziehungsweise Thesen zu veri- oder falsifizieren. Ist die Fragestellung ›Inwieweit macht die Anwendung von Fraktur-Attributen auf eine Antiqua Sinn?‹ überhaupt eine brauchbare wissenschaftliche Frage? Ich habe mit meinen Versuchsreihen zumindest gezeigt, dass es möglich ist. Sinn hat es für mich insofern gemacht, als dass ich zu einer ausgiebigen Beschäftigung mit der Geschichte der gebrochen Schriften angehalten wurde und deren beispiellose Formenvielfalt genießen durfte.

Verwendete Literatur

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Bilderverzeichnis

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Bild 2 | Schrift aus Franz Grillparzers ›Der arme Spielmann‹, Wien, 1914 | Hochuli, Jost (2011): Das Detail in der Typografie | Sulgen/Zürich: Niggli | Seite 12.

Bild 3 | Fraktendon (Boris Kahl) | https://www.volcano-type.de/fonts/categories/blackletter/fraktendon/fraktendon | abgerufen am 17.12.2018.

Bild 4 | Neudeutsch (Otto Hupp, 1899) | https://www.typografie.info/3/Schriften/fonts.html/neudeutsch-r734 | abgerufen am 13.12.2018.

Bild 5 | Baldur (bei Schelter & Giesecke, 1895) | http://luc.devroye.org/fonts-33282.html | abgerufen am 17.12.2018.

Bild 6 | Aufschrift auf dem Reichstagsgebäude in Berlin | https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e0/Dem_Deutschen_Volke_%2810939675836%29.jpg | abgerufen am 16.12.2018.

Bild 7 | Ode (Martin Wenzel, 2010) | https://ilovetypography.com/2010/ 09/01/ode-fresh-start-for-a-broken-script | abgerufen am 6.12.2018.

Bild 8 | Andron 2 (Andreas ­Stötzner, 2007) | https://www.typografie.info/3/Schriften/fonts.html/andron-r309 | abgerufen am 1.12.2018.

Bild 9 | Unbekannte Schrift auf einem Buchcover | Schuster, Peter (2016): Verbrecher, Opfer, Heilige. Eine Geschichte des Tötens. Klett-Cotta | Foto: Stefan Pabst.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Kommunikationsdesign

Art des Projekts

Bachelorarbeit

Betreuung

foto: Prof. Luc[as] de Groot foto: Frank Rausch

Entstehungszeitraum

Wintersemester 2018 / 2019

Keywords