In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
Eine Untersuchung der Funktionen des Skizzierens im Designprozess von Interaktionsgestaltern mit Betrachtung kreativer Potenziale zur Förderung von Innovation und Umdenken sowie mit dem Ziel die Wichtigkeit des Skizzierens zu kommunizieren und dem Gestalter Vertrauen im Umgang damit weiterzugeben.
„Practice is the best of all instructors.“ — Publilius Syrus: Sententiae, Maxime 439
Über Jahrzehnte hinweg änderte sich die Einstellung von Gestaltenden weg von der uneingeschränkten Wichtigkeit des Endproduktes hin zur immer stärkeren Wertschätzung des individuellen Designprozesses, der das finale Produkt essentiell unterstützt oder selbst das Produkt ist. Innerhalb dieses Prozesses wenden Gestalter Methoden und Mittel an, um aus verschiedenen Perspektiven zunächst alle möglichen Konnektoren und Einflüsse aufzuspüren, darauf aufbauend Ideen zu generieren und sich dann auf einzelne Ideen zu fokusieren, sie auszuarbeiten.
Eines dieser Mittel oder Werkzeuge ist die Skizze. Sie ist Untersuchungsgegenstand dieser Thesis, die Möglichkeiten und Potenziale hinsichtlich ihrer Verwendung im Designprozess von Interaktionsgestaltern sichtbar machen soll. Die Relevanz dieses Werkzeuges für die Interaktionsgestaltung findet sich im vibrierenden Bereich zwischen analogem, handwerklichem Skizzieren und dem digitalen Gestalten bzw. dem Gestalten von Digitalem. Besonderer Fokus liegt auf dem Prozess, den Elementen und Funktionen des Skizzierens selbst, weniger auf dem daraus entstehenden Artefakt Skizze.
Mit dem Skizzieren verfolgen Gestalter diverse Funktionen, meist ohne bewusst darüber nachzudenken. Irgendwo dazwischen steckt die Kreativität als Antriebskraft für Innovation. In dieser Arbeit werden nicht nur die konventionellen Funktionen untersucht, sondern auch auf welche Weise sie zu brechen sind. Wie kann Umdenken und Innovation durch den kreativen Umgang mit dem Skizzieren gefördert werden? Ziel ist dabei auch, Wissen und Struktur in der Skizze weiterzugeben und damit mehr Gestaltern mehr Vertrauen in ihre Skizzierfähigkeiten zu geben bei gleichzeitiger Wahrung der Privatsphäre ihrer Gedanken.
Struktur der Arbeit Die vorliegende Thesis besteht aus dem theoretischen Fundament sowie der praktischen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Zunächst werden der Prozess und die charakteristischen Elemente der Interaktionsgestaltung beleuchtet, um darauffolgend das Skizzieren in diesem Kontext definieren zu können. Dies erfolgt unter anderem durch die Aufstellung dreier Funktionen, die es zulassen das Skizzieren in den Gestaltungsprozess einzuordnen. Mit dem Hinterfragen der Ironie und Kreativität im Alltag des Gestalters endet die Theorie.
Die praktische Untersuchung der Rolle des Skizzierens als Werkzeug der Interaktionsgestaltung wird durch Observation und Interviews eingeleitet. Die synthetisierten Erkenntnisse führen zu zielgerichteten Fragen und dann zum ersten Prototypen. Nach erneuter Iteration entsteht ein Skizzenbuch als finales Produkt. Dieses macht es Interaktionsgestaltern möglich, neben dem Trainieren der Skizzierfähigkeiten im Kontext der verschiedenen Funktionen, aus dem digitalen Gestalteralltag auszubrechen, Inspiration durch Perspektivwechsel zu provozieren und Spaß in Kollaboration zu fördern.
In diesem Kapitel wird der Begriff der Interaktionsgestaltung definiert, Sichtweisen und charakteristische Elemente herausgestellt und das Tätigkeitsfeld näher beschrieben. Neben den Abläufen im Gestaltungsprozess wird auch die Rolle von Einschränkung, Begründung und Entscheidung thematisiert. Zuletzt werden die fünf Dimensionen der Interaktionsgestaltung nach Gillian Crampton Smith erläutert.
Skizzieren gilt weithin als charakteristische Arbeitsweise von Gestaltern. Hierbei explorieren diese das (noch nicht) vorhandene Problem und verfolgen dabei diverse Absichten. Zum Verständnis des Problems werden Gegebenheiten und Einschränkungen miteinbezogen und Abhängigkeiten bedacht. Der Vergleich mentaler Modelle in einem Gestaltungsteam durch die kurze Ausführung von Ideen auf Papier regt Diskussion und Interpretation an, erweitert also den Ideenhorizont. Das Problem wird von mehreren Seiten beleuchtet, andere Perspektiven werden sichtbar. Die Skizze selbst ist Grundlage für Reflektion und derart offen in ihrem Konzept, dass sie zu Konversation, Kritik und Anregung einlädt. Das Skizzieren lässt den Prozess voranschreiten—ob explorativ oder fokussiert
Das Skizzieren in der Gestaltung ist sozusagen die Interaktion zwischen Selbst und Selbst oder Selbst und Welt. Gedenryd findet in seiner Dissertation How Designers Work einen passenden Begriff für diese charakteristische Arbeitsweise in Interaktion. Entgegen der klassischen Kognitionstheorie beschreibt er den Kognitionsprozess als „interactive […] between mind and world“, sich nicht nur auf den Geist des Menschen beschränkend. Vorstellungskraft, Wahrnehmung oder Kreativität resonieren im Spannungsfeld zwischen Gestalter und Welt—im Medium der Skizze oder im Prozess des Skizzierens. Dies ist eben jenes Charaktermerkmal, das die Arbeitsweise von Gestaltern ausmacht.
In einer Untersuchung zeichnete ich zusammen mit Studierenden des Interface Designs der Fachhochschule Potsdam deren Gestaltungsprozess auf und ließ sie eine Zuordnung treffen, wann und warum sie innerhalb dessen skizzieren. Das folgende Bild entstand im Zuge dieser Interviews. Die Erkenntnisse bestätigten im Voraus getätigte Vermutungen über die Funktionen der Skizze, die im Folgenden näher betrachtet werden.
Die Funktionen einer Skizze sind auch Anwendungsbeispiele und -szenarios. Sie beschreiben nicht nur den Umgang, sondern auch Zweck und Ziel. Sich über die Funktionen bewusst zu sein hilft dem Gestalter dabei, das Selbstbewusstsein für dieses Werkzeug aufzubauen und zur Skizzierkultur im eigenen Umfeld beizusteuern.
Wissen und Inspiration festhalten Im Designprozess sammeln Gestalter Wissen in Form von Erkenntnissen aus der Exploration von Ideen. Zum Beispiel formen Einschränkungen, das Verhalten des Benutzers oder das Zusammenspiel grafischer Elemente das Wissen des Gestalters. Dieses zu dokumentieren ist eine Funktion der Skizze. Da sich das Wissen, wie Donald A. Schön beschreibt, in der Handlung des Individuums wiederfinde, und das meist unbewusst, der Gestalter sich allerdings zu jeder Zeit über die Gründe seiner Entscheidungen bewusst sein soll, ist diese Funktion vor allem für den Gestalter selbst wertvoll. Die Art von Dokumentation in der Skizze erfolgt dabei völlig neutral, das Wissen wird also zunächst nicht bewertet.
Reflektion bewirken Ist Wissen gesammelt, muss darüber reflektiert werden. Schön prägte den Begriff der Reflektion in Aktion und sagt darüber:
„It is this entire process of reflection-in-action which is central to the ‘art’ by which practitioners sometimes deal well with situations of uncertainty, instability, uniqueness, and value conflict.“
Gestalter zeichnet diese Art zu denken aus. Sie können auf diese Weise besonders gut mit Unsicherheiten und Konflikten umgehen.
Das unbewusste Wissen würde bewusst aufgerüttelt und hinterfragt. Durch Reflektion und Kritik könne der Gestalter einen Perspektivwechsel herbeiführen, der zu Ungewissheit und Einzigartigkeit führe. Dieser Zustand ist für den professionellen Prozess unabdingbar. Er führe auch zu überraschenden, vielversprechenden oder auch unerwünschten Erfahrungen, wovon Reflektion in Aktion wiederrum stark abhängig sei. Das ist stark verbunden mit der Sichtweise von Gedenryd auf den Designprozess als Reframing eines Problems, denn prinzipiell passiert genau das durch Reflektion.
Kollaboration und Kommunikation
„Sketches are social things.“
Das Beste, was in einer Gruppenarbeit passieren kann, ist eine lebhafte Diskussion. Gedankenmodelle vergleichen, Kritik üben, sich gegenseitig mit Ideen füttern—die Konversation ist wichtig, um den Prozess voranzutreiben. Dass Gestalter dabei skizzieren, geschieht meist nebenher, unterstützt die Situation aber wesentlich durch die Förderung von Interaktion. Das bringt Bewegung in den Raum und treibt an. Im besten Fall schaffen es die Teilnehmenden dann sogar noch die Elemente des Designprozesses zu verstehen, also Begründungen, Entscheidungen und Einschränkungen miteinzubeziehen und festzuhalten und damit eine Art Protokoll der Situation zu schaffen.
Die Skizze kann Werkzeug sein, um kreatives Zutrauen zu fördern, weil sie genannte Funktionen mitbringt, die Kreativität fördern. Wie Kelley beschreiben ist die Förderung unabdingbar für innovatives Umdenken.
„The creative spark needed to come up with new solutions is something you have to cultivate, over and over again. One way to begin is to consciously increase the inspiration you encounter in your daily life.“
Der kreative Funke, von dem die Autoren sprechen, wird durch Reflektion und Wissensverarbeitung zunächst entfacht und springt dann in Kollaboration über—das ist das ideale Szenario, angewendet auf das Skizzieren. Aus diesem ergeben sich zahlreiche Fragen, die die Verbindung zwischen Funktionen der Skizze und Kreativität touchieren. Und genau darin liegt die Essenz dieser Arbeit: Wie kann Umdenken und Innovation durch den kreativ vertrauten Umgang mit dem Skizzieren gefördert werden? Wie kann die Ironie des Scheiterns für Innovation genutzt werden?
Dieses Kapitel beinhaltet den praktischen Teil der Bachelorarbeit.
Selbstobservierung Da ich selbst lange schon das Werkzeug Skizze für mich entdeckt habe, war es zunächst spannend den eigenen Prozess zu analysieren. Die Exploration des Problemraumes begann somit mit dem Durchforsten meiner Skizzen und der Beobachtung meiner Selbst während des Skizzierens in drei Etappen: Zur Systematisierung wurden hier bereits die drei Funktionen der Skizze in Betracht gezogen. Folgende Fragen sollten innerhalb dieser beantwortet werden:
Bei der Untersuchung, die auf den nächsten Seiten ausgeführt ist, fällt auf, dass ich in zwei verschiedenen Szenarien skizziere. Häufig tritt das Selbstgespräch-Ich in Erscheinung, das Wissen festhält und dieses reflektiert, aber auch zur Kommunikation vorbereitet und sehr detailiert darüber nachdenkt, wie genau das passieren könnte. Dem folgt das Kollaborations-Ich, das noch sehr schüchtern mit dem Werkzeug Skizze umgeht, weil Menschen zusehen. Ich blockiere mich selbst noch zu oft, um nicht im Mittelpunkt eines Gesprächs stehen zu müssen.
Erkenntnisse aus Interviews mit Interface Design Studierenden
Ich verstand in diesem Interview, dass die Art und Weise zu skizzieren individuell ist und man diese nur auf lange Zeit gesehen beeinflussen kann. Was jedoch gelenkt werden kann ist der Input oder die Inspirationsquelle, die Gestalter brauchen, um durch Überraschungsmomente kreativ und innovativ denken zu können.
How Might We? Fragen
Prototyp
Mit dem Wissen aus Exploration, Zielsetzung und Problemdefinition gehe ich über die in die nächste Phase: das Bauen eines Prototypen, der die Funktionen der Skizze für die Zielgruppe erfahrbar macht.
Inspiration für den ersten Prototypen finde ich in den sogenannten Kinderkritzel- und Ausmalbüchern. Vorgezeichnete Blumen, Monster, Menschen und Welten lassen Kinder und Erwachsene „kreativ sein ohne malen zu können“. Illustrierte Kritzelbücher mit Aufforderungen zum Vervollständigen sorgen durch hohe Interpretierbarkeit für viel Spaß und Kreativität.
Übertragen auf die Interaktionsgestaltung macht es Sinn ein prototypisches Produkt zu schaffen, das ähnliche Ziele verfolgt. Durch kontextuelle Aufforderungen tritt der Lesende in Interaktion mit dem Produkt. Zusammen mit den Funktionen eines Skizzenbuches nach Greenberg sind das Gründe für die Wahl des Mediums eines Buches für den ersten Prototypen. Die gewählten Aufforderungen basieren vorrangig auf den drei Funktionen des Skizzierens Reflektion bewirken, Wissen und Inspiration festhalten sowie Kommunikation und Kollaboration. Ich entscheide mich für Englisch als Sprache, da sie zeitgemäß und universell verständlich ist und der Prototyp damit auch interdisziplinären und internationalen Teams zugänglich wird. Die Interaktion mit dem Medium exploriere ich anhand verschiedener Experimente mit Papier im Buch. So entsteht ein sehr individualisierter, aufwändiger Prototyp mit einer Reihe an Beispielen des Zusammenspiels zwischen Medium und Inhalt.
Neben Szenarien notiere ich Entscheidungen und Erkenntnisse aus dem Prozess und dem Umgang mit dem Prototypen. Hierzu sind folgende Themen wichtig:
Inhalte
Der Inhalt des Buches basiert auf klar formulierten Abhängigkeiten, die in der Tabelle unten zu sehen sind. Die Kombination aus Funktionen des Skizzierens mit den Sichtweisen bzw. Kontexten der Interaktionsgestaltung gibt Ziele vor, die durch die Aufforderungen erreicht werden sollen. Die Ziele implizieren weniger harte Fakten, sondern viel mehr eine Veränderung im Verhalten des Gestalters und dessen Umfeld. Daraus resultiert dann hoffentlich die Steigerung der Fähigkeiten des visuellen Skizzierens.
Einige Aufforderungen innerhalb der Abhängigkeiten weisen einen ironischen und kreativen Charakter auf und sollen damit noch mehr für Ausreißer-Momente sorgen. Generell wird mit diesem inhaltlichen Konzept und der Gestaltung des Buches der Spaß in den Vordergrund gestellt und somit der Alltag in seiner Geradlinigkeit unterbrochen.
Finale
Die zwei wesentlichen Elemente in der Gestaltung des Buches sind Schrift und Seitenkennzeichnung. Durch eine Schrift mit handschriftlichem Charakter wird das Buch zu einem Werkzeug und kommuniziert Aufforderungen auf freundliche Art und Weise trotz ausschließlicher Verwendung von Versalien. Der Double Diamond gibt vor, an welcher Stelle des Designprozesses sich der Gestalter mit einer Aufforderung befindet. Das Buch hat die Maße eines konventionellen Notizbuches und passt in jede Tasche.
Eckdaten
Klappentext
„Processing Sketches“ ist ein Werkzeug für Interaktionsgestalter und Innovation betreibende Menschen, die innerhalb ihres Gestaltungsprozesses Potenzial für Inspiration und Veränderung sehen und nebenher noch die Fähigkeiten visueller Kommunikation verbessern möchten. Es befähigt zu Kreativität, Empathie und Ironie und stellt träge Abläufe auf den Kopf. Es hinterfragt, befragt und erzeugt Schmunzeln über den eigenen Beruf. Vor allem aber fördert es Kollaboration, Reflektion und Wissensverarbeitung auf die andere Art und Weise. Statt Frustration über und Rückenschmerzen wegen des digitalen Bildschirms, heißt es nun: Warum hat die schon wieder ein Schmunzeln auf den Lippen? Was steht denn da Interessantes in diesem Buch? Und: Lass uns zusammenarbeiten!
Beispielseiten aus dem Prototypen
„Digital metaphors will reconnect to their original physical sources as a way to recapture what has been lost in translation.“ — John Maeda, 2010
Die vollständige Bachelorarbeit hängt als PDF an. Das Literaturverzeichnis der Arbeit gilt auch für die hier stehende Incom-Dokumentation. Die Erklärung an Eides statt hängt der Bachelorarbeit an.
Amelie Kirchmeyer im Wintersemester 2018/19